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       # taz.de -- Pro und Contra Schulöffnungen: Rückkehr zum normalen Unterricht?
       
       > Die Coronazahlen sind im freien Fall, im Nachbarland Brandenburg geht der
       > Komplettunterricht wieder los. Muss Berlin nachziehen?
       
   IMG Bild: Volle Klassen statt Wechselunterricht fordern Grüne, CDU – und SPD-Spitzenkandidatin Giffey
       
       JA! 
       
       Eine Lage in Coronazeiten falsch einzuschätzen und sich zu korrigieren ist
       alles andere als verwerflich – zu vielfältig ist die Expertise, zu schnell
       sind die Veränderungen, und im Nachhinein ist man seit Ewigkeiten immer
       schlauer. Umso wichtiger ist bei Politikern die Fähigkeit, Beschlüsse zu
       überdenken und zu revidieren, wenn sich die Entscheidungsbasis verändert
       hat.
       
       In dieser Situation ist gerade Regierungschef Michael Müller (SPD). Die
       Schulen würden [1][bis zu den Sommerferien im Wechselunterricht] bleiben,
       hat der Senat vor eineinhalb Wochen beschlossen, also jenem Modus, indem im
       Tages- oder Wochenwechsel jeweils nur eine Hälfte der Schüler in die
       Klassenräume kommt. Zwei Tage später bekräftigte Müller den Beschluss noch
       mal. Begründung: Es seien nur noch wenige Wochen bis zu den am 24. Juni
       startenden Sommerferien.
       
       Seither aber sind zwei Dinge passiert: Anders als vielleicht befürchtet,
       ist der Coronarückgang nicht verebbt. Vielmehr hat sich die Inzidenz von
       63,3 am Tag jenes Senatsbeschlusses auf nun 34,1 fast halbiert. Zudem
       entschied das Kabinett in Brandenburg, wo die Ferien am selben Tag
       starten, alle Schüler zusammen in die Klassen zu holen –
       SPD-Bildungsministerin Britta Ernst hatte das schon vorige Woche
       angekündigt.
       
       Statt virologisch-epidemiologischer Gründe führt Müller angebliche
       Organisationsprobleme an, die für weiteren Wechselunterricht sprechen
       sollen. Doch was wäre groß zu organisieren? Außenstehende mögen ja
       vielleicht interne Schwierigkeiten nicht erkennen – aber worin besteht das
       Problem, Schülern zu sagen: Seid Montag bitte alle wieder in der Klasse?
       
       ## Spitzenkandidatinnen machen Druck
       
       Jenseits des Senats scheint sich in der rot-rot-grünen Koalition dazu etwas
       zu bewegen – aus der Opposition heraus verlangt die CDU sowieso all in. Bei
       den Grünen fordert jetzt nach Fraktionschefin Silke Gebel auch
       Spitzenkandidatin Bettina Jarasch das Ende des Wechselunterrichts. Gebel
       kritisiert zu Recht, es passe nicht zusammen, wenn bald wieder Kongresse
       mit 250 Menschen möglich sein sollen, die Kinder aber nicht zusammen in die
       Schule dürften. Und bei der SPD hat nun Spitzenkandidatin Franziska Giffey
       in einem Morgenpost-Interview den eigenen Parteifreunden in der
       Landesregierung nahegelegt, ihre Entscheidung zu überdenken.
       
       Eltern, die gut mit dem Wechselbetrieb zurechtkamen, mögen sagen: Was
       soll’s? Viele andere aber werden über jeden Tag froh sein, an dem Haushalt
       und Homeoffice nicht länger mit Homeschooling zu verbinden sind. Und
       Bildungsexperten sagen längst, dass jeder Tag mehr im Klassenraum ein
       gewonnener Tag ist. Stefan Alberti
       
       NEIN! 
       
       Die Schulen in Berlin, das muss man vorweg festhalten, sind derzeit nicht
       geschlossen. Der Wechselunterricht sieht vor, dass jedes Kind entweder
       einige Stunden täglich oder zweiwöchentlich mit vollem Stundenplan die
       Schule von innen und seine LehrerIn live sieht. Auch die Notbetreuung für
       Grundschulkinder im nachmittäglichen Schulhort wird ab kommenden Montag
       beendet. Dann haben wieder alle Kinder Anspruch auf Hausaufgabenhilfe und
       Schach-AG, nicht nur die aus „systemrelevantem“ Elternhaus.
       
       Das ist noch nicht wieder der normale Regelbetrieb, aber es ist auch nicht
       nichts. Daran sollte man sich erinnern und kurz innehalten, bevor man in
       den Macht-die-Schulen-wieder-auf-Chor einstimmt, der nun angesichts einer
       rasant sinkenden 7-Tage-Inzidenz und einer raschen Rückkehr in den
       Präsenzunterricht in anderen Bundesländern, auch im Nachbarland
       Brandenburg, lauter wird. Besonders laut sind dabei übrigens die
       KandidatInnen diverser Parteien, die noch eine Wahl zu gewinnen (oder zu
       verlieren) haben in diesem Jahr. Eher zurückhaltend bisher: zentrale
       Akteure wie der Landeselternausschuss und die Gewerkschaften.
       
       Keine Frage: Kinder mit Laptop und engagiertem Elternhaus sind, Stichwort
       Chancengerechtigkeit, beim Homeschooling im Vorteil. Und natürlich muss man
       ohne Frage ernst nehmen, wenn Kinder- und Jugendärzte vor negativen
       Langzeitfolgen durch den eingeschränkten Schulbetrieb in der Pandemie
       mahnen. Wenn die Polizeiliche Kriminalstatistik, die am Mittwoch
       vorgestellt wurde, bundesweit einen Anstieg der Kindesmisshandlungen um 10
       Prozent registriert – die meisten Taten im häuslichen Umfeld –, ist das
       schlicht alarmierend. Zumal ExpertInnen und Beratungsstellen immer wieder
       darauf hinweisen, dass in den Lockdowns die Hilfeersuchen eher abnehmen –
       weil Schutzräume wie Schule eben nicht da sind, weil LehrerInnen blaue
       Flecken nicht sehen können.
       
       ## Das Lernen funktioniert
       
       Nun sind die Schulen aber nicht mehr im Lockdown. Und wenn man
       Schulleitungen fragt, dann sagen die oft: Wir erreichen die Kinder, das
       Lernen in den kleineren Gruppen funktioniert gut, manchmal sogar besser
       als vorher. Und die Kinder, die wir lange nicht sehen oder die schon vor
       der Pandemie Sorge bereitet haben, haben wir ohnehin auf dem Schirm.
       
       In vier Wochen sind Sommerferien, Berlin ist dieses Jahr unter den frühen
       Ländern. Nach den Ferien dürften, wenn vielleicht noch nicht die
       Jugendlichen, so doch ein großer Teil der Erwachsenen geimpft sein. Wenn
       man dann die Schulen nach den Ferien wieder vollständig öffnet, kann man
       vermutlich sicher sein, dass sie auch offen bleiben. Und das ist doch das
       Ziel. Anna Klöpper
       
       27 May 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Entspannung-bei-Corona-in-Hamburg/!5770574
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
   DIR Anna Klöpper
       
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