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       # taz.de -- Aktionstage für Verkehrswende: Picknick auf der A100-Baustelle
       
       > Am Samstag endet nach sechs Stunden die Besetzung der Baustelle der
       > Stadtautobahnverlängerung. Am Rand ging die Polizei gegen die Presse
       > vor.
       
   IMG Bild: Die Aktivist*innen von „Robin Wood“ haben bei dem sonnigen Wetter auf der A100-Baustelle die praktischeren Uniformen an
       
       Berlin taz | Nacheinander rutschen etwa dreihundert Aktivist*innen in
       den markanten Maleranzügen der Klimabewegung einen Sandhügel hinunter – und
       plötzlich ist um halb neun Uhr morgens die Autobahnbaustelle erreicht. „Wir
       haben es geschafft!“, ruft eine von ihnen über ein Megaphon. Applaus bricht
       aus, der in den Sprechchor „Ganz Berlin hasst die A100“ übergeht.
       
       „Ich bin ein bisschen überwältigt“, sagt eine vielleicht siebzehnjährige
       Aktivistin, die zum ersten Mal auf einer solchen Demo dabei ist. Einige
       Nebeltöpfe werden gezündet und ein Transparent ausgebreitet, auf dem die
       zentrale Forderung der Initiative „Sand im Getriebe“ zu lesen ist: „A100
       stoppen – Verkehrswende jetzt“.
       
       Eine S-Bahn fährt vorbei, sie hupt zur Begrüßung. Von der Polizei ist zum
       jetzigen Zeitpunkt noch nichts zu sehen.
       
       „Wir machen es uns jetzt gemütlich und bauen unsere Utopie“ wird über das
       Megaphon verkündet. Darauf breiten die Aktivist*innen Picknickdecken
       aus, einige fangen an, Fussball oder Frisbee zu spielen. In diesem Moment
       gleicht der Protest eher einem Strandpicknik.
       
       Für Maya Winkler, Pressesprecherin von „Sand im Getriebe“ in Berlin, ist
       genau dies die Vision: „Für einen Tag bauen wir hier ein Schwimmbad, das
       soll auch in der Zukunft so sein“, sagte sie der taz. „Unser Motto für
       heute lautet: Freibäder, Clubs und Wohnraum, statt Abgase, Lärm und
       Schmutz“.
       
       Ein erster Demonstrationsfinger hatte sich bereits morgens um 4 Uhr
       formiert und war von Neukölln aus kommend die Rampe zur Autobahnbaustelle
       hinuntergezogen. Beim ersten Polizeikontakt war jedoch Schluss, die circa
       80 Aktivist*innen landeten im Kessel, in dem sie viele Stunden
       verblieben.
       
       ## „Keinerlei Gesprächsbereitschaft“ seitens der Polizei
       
       Im Zuge dieser Aktion kesselte die Berliner Polizei auch eine Gruppe von 12
       Journalist*innen. Trotz Intervention des Sekretärs der Deutschen
       Journalist*innen- Union bei Verdi, Jörg Reichel, der darauf hinwies, dass
       die Journalist*innen lediglich ihre Arbeit verrichteten und die Polizei
       nicht behindern würden, nahmen Polizist*innen deren Personalien auf.
       Später erhielten die zwölf Betroffenen einen Platzverweis.
       
       Gegenüber der taz sagte Reichel, die Polizist*innen hätten „keinerlei
       Gesprächsbereitschaft“ gezeigt. Nur eine halbe Stunde später wurden die
       Journalist*innen ein zweites Mal kontrolliert, diesmal von der
       Bundespolizei. Reichel kritisierte die „massive Behinderung von
       Pressearbeit“.
       
       ## Auch die Autobahnbauer zeigen sich vom Protest beeindruckt
       
       „Mir geht es vor allem um eine Diskursverschiebung“, erklärt später ein
       junger Mann seine Motivation, an diesem Samstag bei der Aktion dabei zu
       sein. Er sitzt in einer Gruppe, die es sich auf einer Decke bequem gemacht
       hat und Karten spielt. „Wir wollen eine demokratische Diskussion anregen,
       wie der Verkehr in dieser Stadt organisiert werden soll“, fügt eine junge
       Frau hinzu. Derzeit sei das Denken aber festgefahren, weshalb solche
       Aktionen befreiende Impulse setzen könnten.
       
       Bis halb drei, also etwa sechs Stunden, halten die Aktivist*innen trotz
       brütender Hitze die Stellung. Im Gespräch mit der taz zeigt sich auch ein
       Sprecher der Autobahn GmbH und ein weiterer Mitarbeiter beeindruckt von dem
       friedlichen Protest: „Das sind Bilder, die auf uns und die Politik wirken.“
       
       Gleichwohl verteidigen sie das Vorhaben, zumindest den 16. Bauabschnitt,
       für den Baurecht bestehe, fertigzustellen. Die Bauarbeiten, die bis 2024
       abgeschlossen sein sollen, wären aufgrund der angekündigten Proteste für
       diesen Tag ausgesetzt worden, so der Sprecher der Autobahn GmbH. Er
       verspricht, den gestellten Strafantrag wegen Hausfriedensbruch
       zuzückzuziehen, um ein friedliches Abziehen der Aktivist*innen zu
       ermöglichen.
       
       Die Polizei aber beharrt auf ihrem Recht, die Personalien der anwesenden
       Klimaaktivist*innen festzustellen – schon alleine, da dies aufgrund
       des gestellten Strafantrags formal notwendig sei. Es folgen zähe
       Verhandlungen. Zwischendurch entscheiden sich die Beamt*innen wohl zur
       Räumung, einige Protestierende werden teils brutal weggezerrt. Daraufhin
       stellten sich die Aktivist*innen als Block auf und bewegen sich
       konfrontativ in Richtung Polizeilinie, dort schwingen einzelne Beamte ihre
       Schlagstöcke, um die Menge zum Stillstand zu bringen.
       
       Schließlich erklärt sich die Polizei bereit, die Feststellung der
       Personalien auch über eine Videostraße zu vollziehen. Durch diese sollen
       die Aktivist*innen einzeln und ohne Maske den Bereich verlassen, auf
       weitere Maßnahmen würde verzichtet.
       
       „Sand im Getriebe“-Pressesprecherin Maya Winkler zeigt sich gegenüber der
       taz zufrieden: „Es ist der beste Kompromiss, den wir bekommen konnten. Gut
       ist, dass wohl keine Strafanzeigen gestellt werden. Viele Menschen
       verfärben sich jetzt das Gesicht, um die Identifizierung zu erschweren.
       Letztendlich gilt: Klimaschutz ist kein Verbrechen – und wir werden
       weitermachen“, so Winkler.
       
       ## 200.000 Euro pro 1 Meter A100
       
       Die Blockade der A100 ist Teil des bundesweiten [1][Aktionswochenendes
       gegen Autobahnen], organisiert vom Bündnis „Wald statt Asphalt“. In über 50
       Aktionen wird eine sozial- und klimagerechte Mobilitätswende gefordert.
       Weiterer Straßenbau sei dagegen Ausdruck des „Autokapitalismus“, so Lou
       Winters vom Berliner Bündnis „Sand im Getriebe“ in einer Mitteilung im
       Vorfeld. Sie bezeichnete die Berliner A100 als „Klimakiller-Projekt“, das
       eine „Schneise der Verwüstung“ durch die Stadt ziehe.
       
       Der Autobahnausbau sieht neben dem fast fertiggestellten 16. Bauabschnitt
       von Neukölln bis zum zum Treptower Park, auch einen 17. Abschnitt vor, der
       über die Spree zum Ostkreuz und schließlich bis zur Storkower Straße führen
       würde. Nach Angaben der Initiative „A100 stoppen“ wurden bereits jetzt mehr
       als 300 Kleingärten, zwei Wohnhäuser und etwa 450 Bäume niedergemäht. Der
       17. Abschnitt bedroht zudem Berliner Szeneclubs wie etwa die Wilde Renate
       oder das About blank.
       
       Zumindest [2][Linke und Grüne sind eigentlich gegen das Projekt]. Doch der
       Landesregierung sind die Hände gebunden, da Autobahnen in die Zuständigkeit
       des Bundes fallen – und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ist
       bekanntlich großer Fan von sechsspurigen Autotrassen. Dabei kostet laut
       „Sand im Getriebe“ ein Meter A100 stolze 200.000 Euro. Zudem könnten auf
       der Fläche laut einer Analyse des ium-Instituts für Urbane Mobilität aus
       dem Jahr 2017 über 8.800 neue Wohnungen für 22.000 Menschen entstehen.
       
       5 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Timm Kühn
   DIR Erik Peter
       
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