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       # taz.de -- Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien: „Plötzlich haben sie uns gejagt“
       
       > Hedija Krdzic verlor beim Massaker von Srebrenica ihren Mann. Sie
       > berichtet, wie sie das Tribunal gegen den Ex-General Ratko Mladić sieht.
       
   IMG Bild: Trauer um die die Opfer des Genozids am Gedenkfriedhof Srebrenica–Potočari
       
       Berlin taz | „Es ist an der Zeit“, sagt Hedija Krdzic. Wenn das UN-Tribunal
       am Dienstag das abschließende Urteil über Ratko Mladić fällt, hat sie 26
       Jahre auf Gerechtigkeit gewartet, in denen sie ohne ihren Vater und ihren
       Ehemann leben musste. Diese hat sie zusammen mit anderen Verwandten, mit
       Nachbarn und Freunden 1995 verloren, als serbische Truppen in der Stadt
       Srebrenica bosniakische Männer und Jungen von den Frauen trennten und an
       drei Tagen 8.000 von ihnen töteten und in Massengräbern verscharrten.
       
       Das [1][Massaker] gilt als das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit
       dem Zweiten Weltkrieg und wurde von UN-Gerichten als Genozid klassifiziert.
       Ziel sei es gewesen, die muslimische Bevölkerung von Bosnien-Herzegowina zu
       vernichten.
       
       Der dieser Taten beschuldigte Ratko Mladić, Oberbefehlshaber der Armee der
       Republika Srpska, gilt als Architekt der Strategie der „ethnischen
       Säuberung“, die den Bosnienkrieg 1992 bis 1995 bestimmen sollte.
       
       Beim Einmarsch in das vor dem Krieg vor allem von Muslim*innen bewohnte
       Srebrenica sagte Mladić mit einem Lächeln in eine Fernsehkamera: „Hier sind
       wir, im serbischen Srebrenica am 11. Juli 1995. […] Wir präsentieren die
       Stadt dem serbischen Volk.“
       
       ## „So viele Knochen in den Wäldern“
       
       Hedija Krdzic erinnert sich, dass ihre Mutter damals Mladić in der Stadt
       gesehen hatte. Da hatten sie schon jahrelang um ihr Überleben gekämpft,
       denn als UN-Protektorat für flüchtende Muslim*innen in Bosnien war die
       Stadt drei Jahre lang von serbischen Truppen eingekesselt. Schon vor dem
       11. Juli waren viele Menschen gestorben.
       
       „So viele Knochen liegen in den Wäldern, so viele Mütter müssen ohne ihre
       Söhne leben, so viele Kinder ohne ihre Väter“, sagt Krdzic und drückt ein
       Kissen an sich, während sie in ihrer Berliner Wohnung auf dem Sofa sitzend
       erzählt. Nach Deutschland war sie am letzten Tag des Massakers geflohen.
       
       Vor einem Monat musste Krdzic selbst vor Gericht aussagen. Denn neben dem
       öffentlich viel beachteten Prozess gegen Mladić gibt es weitere
       Nebenprozesse. Etwa gegen den lokalen Kommandanten Mile Kosorević, dessen
       Gesicht sie an jenem Tag per Bildschirm sah.
       
       Wegen der Coronapandemie musste sie per Livestream in einem Berliner
       Gericht aussagen, wie Soldaten dieses Mannes ihre damalige Kollegin
       vergewaltigten und deren Freund töteten. „Ich war pitschnass geschwitzt,
       fix und fertig“, sagt sie. Denn Kosorević gab vor, ihr nicht zu glauben,
       und provozierte sie.
       
       ## Mladić kann Tribunal für Lügen nutzen
       
       Während Krdzic erzählt, sitzt ihre Tochter Emina die ganze Zeit neben ihr.
       Sie fürchtet, dass auch Mladić die Bühne, die ihm das Urteil bietet,
       ausnutzen könnte. „Er weiß ganz genau, dass ihm ganz Bosnien, ganz Serbien,
       die ganze Welt zuhört“, sagt sie. Das werde er für seine Lügen nutzen.
       
       Krdzic ist wichtig, dass die Verantwortlichen vom UN-Tribunal zur
       Rechenschaft gezogen werden. Gänsehaut bekomme sie vor allem, wenn sie an
       die Täter von nebenan denkt: An ihre damaligen Nachbarn oder den
       Grundschullehrer, zu denen sie stets ein freundschaftliches Verhältnis
       hatte. „Plötzlich waren sie andere Menschen“, sagt sie. „Plötzlich haben
       sie uns gejagt.“
       
       So ist ihr am wichtigsten, dass der Genozid an den Bosniak*innen
       [2][endlich von allen anerkannt] wird. Noch immer wird er geleugnet, etwa
       von dem serbischen Nationalistenführer Milorad Dodik. Dass eine
       Verurteilung Mladićs daran etwas ändert, glaubt sie nicht und berichtet,
       wie die Straßen Srebrenicas, das heute in der serbischen Teilrepublik
       liegt, zum orthodoxen Weihnachtsfest geschmückt werden: Mit großen
       Plakaten, darauf auch das Gesicht von Mladić. „Dass ganz Serbien seine
       Schuld anerkennt, ist mir am wichtigsten“, sagt Krdzic.
       
       Die Urteilsverkündung wird sie im Fernsehen verfolgen, wie sie es all die
       Jahre mit dem Tribunal getan hat. Noch wichtiger ist ihr aber, im Juli ihr
       altes Dorf Osmace in den Bergen Bosnien-Herzegowinas zu besuchen. In jenem
       „schlimmsten Monat im Jahr“, wenn sich der Genozid und der Tod ihres Mannes
       jähren, will sie vor Ort sein, um mit ihrer Tochter das Grab zu besuchen.
       
       7 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jana Lapper
       
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