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       # taz.de -- Linkspartei in der Krise: Nah am Abgrund
       
       > Die Linkspartei verzettelt sich in einem internen Richtungsstreit. Ihr
       > fehlen Strategien und Zuversicht. Daran wird auch der Parteitag wenig
       > ändern.
       
   IMG Bild: Sichtlich mitgenommen: Die Linkspartei
       
       Die Linkspartei lädt am Wochenende zum Wahlprogrammparteitag, Ein Aufbruch
       soll es sein, das Spitzenkandidatenduo Janine Wissler und Dietmar Bartsch
       soll öffentlich gekrönt werden. Doch statt des berauschenden
       Wahlkampfstarts wird es vermutlich zäh werden. Die Partei ringt um die
       Außenpolitik, um eine mögliche Regierungsbeteiligung, vor allem aber ringt
       sie mit sich selbst. Sie steht gefährlich nah am Abgrund.
       
       Bei Umfragewerten von 6 Prozent ist es nicht mehr unmöglich, dass die
       Linkspartei dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören wird. Wie konnte es
       so weit kommen?
       
       Um das zu verstehen, reicht es nicht, auf den Parteitag zu schauen. Er ist
       nur Ausdruck einer tieferen Lähmung, die auch in die gesellschaftliche
       Linke hineinreicht. Die Linkspartei ist in Deutschland derzeit im Grunde
       bedeutungslos. Ihre Debatten drehen sich weitgehend um sich selbst. Man
       zerfleischt sich lieber selbst als den politischen Gegner.
       
       Das wurde deutlich, als auf Sahra Wagenknechts zur Unzeit erschienenes
       [1][Buch „Die Selbstgerechten“], eine Abrechnung mit der eigenen Partei im
       Wahljahr, manche GenossInnen mit einem Antrag auf ein
       [2][Ausschlussverfahren] reagierten. Hier das egozentrische Verhalten
       Wagenknechts, dort Linkssektierertum. All das sind Zeichen der Schwäche. Es
       scheint, als würde man lieber bereitwillig im Besitz der reinen Wahrheit
       untergehen, als dem anderen einen Punkt zuzugestehen.
       
       Und das passiert während einer Gesundheitskrise mit sozialen Folgen. Es
       passiert in einer Zeit, in der Fragen der sozialen Sicherheit hoch im Kurs
       stehen und sich mit Fridays for Future eine Jugendbewegung formiert hat,
       die nach einem Systemwechsel ruft.
       
       Vor uns steht die Mammutaufgabe, den anstehenden sozial-ökologischen Umbau
       der Industrie anzugehen und die schwarze Null zu kippen. Ein grün-rot-rotes
       Bündnis schneidet, wenn in Umfragen nach Koalitionen gefragt wird, gar
       nicht schlecht ab. Von alldem müsste die Linkspartei eigentlich
       profitieren.
       
       ## Sterile Scheindebatten
       
       Doch das tut sie nicht. Statt konkrete Vorhaben ins Zentrum zu rücken,
       führt sie Debatten um Klasse und Identitätspolitik, um eine
       „Lifestyle-Linke“ und „Bewegungslinke“. Das Paradoxe an diesen sterilen
       Debatten ist, dass sie durchaus einen realen Kern haben. Denn natürlich
       teilt sich die Gesellschaft in Milieus auf, die einer spezifischen
       Ansprache und Politik bedürfen. Das Problem ist vielmehr, dass diesen
       Debatten der Bezug zu den realen Menschen fehlt.
       
       In Sachsen-Anhalt haben jene, die sich selbst als Arbeiterinnen und
       Arbeiter bezeichnen, eher die AfD als die Linkspartei gewählt. Diesen Trend
       gibt es nicht nur im Osten – und er muss die Partei beunruhigen. Die alte
       soziale Basis stirbt förmlich weg oder wendet sich von der einstigen
       Protestpartei ab.
       
       ## Weder Fisch noch Fleisch
       
       Die Partei gewinnt zwar in den urbanen Milieus, doch dies macht diese
       Verluste nicht ausreichend wett. Die Ironie ist, dass man am Ende weder
       Fisch noch Fleisch ist, weder Arbeiterpartei noch eine moderne,
       bewegungsnahe linke Partei. Der Linkspartei geht damit ein Stück Identität
       verloren.
       
       Das müsste nicht so sein. Jede sozialistische Partei tritt mit dem Anspruch
       an, für die Geknechteten einzustehen und eine menschliche Gesellschaft für
       alle anzustreben. Eigentlich müssten sich sowohl die Jüngeren, die sich um
       das Klima sorgen, wie die Älteren, die sich von der Wende noch betrogen
       fühlen, bei der Linken sammeln.
       
       Jede erfolgreiche sozialistische Partei lebt von einer Bewegung, die sie
       trägt. Es gibt also keine bewegungslose Linkspartei, so wie es keine ohne
       die Schwächsten geben kann. Die Debatten, die die Partei und auch die
       gesellschaftliche Linke so umtreiben, sind so lange Scheindebatten, wie sie
       keinen Kontakt zur realen Welt haben.
       
       ## Gespaltene Sammlung
       
       Ein Beispiel, wie es nicht geht, war die von Wagenknecht unterstützte
       Sammlungsbewegung „Aufstehen“. Sie scheiterte vor zwei Jahren an eigenen
       Verfehlungen – und nicht daran, dass es keine gesellschaftliche
       Notwendigkeit für eine solche oppositionelle Bewegung gegeben hätte.
       „Aufstehen“ war von Anfang an mehr Instrument im innerparteilichen
       Machtkampf als alles andere. Das war politisch verantwortungslos. Die
       Beteiligten manövrierten das Projekt schnell ins Aus.
       
       Am erfolgreichsten sind linke Parteien und Bewegungen, wenn sie konkrete
       Probleme mit brauchbaren Strategien bearbeiten. So ist es beim Klimawandel
       und der Sorge um Jobs und der Mietenkrise in Großstädten. Der
       [3][Mietendeckel oder eine Kampagne wie „Deutsche Wohnen & Co enteignen“]
       zur Vergesellschaftung von Wohnraum in Berlin – der Inbegriff
       revolutionärer Realpolitik – ist in der Lage, zu mobilisieren.
       
       Die Probleme liegen also auf der Straße, die Partei hat nur
       Schwierigkeiten, sie zu heben. Dazu müsste sie weniger Nabelschau betreiben
       – und raus in die Welt. Peter Mertens, Vorsitzender der belgischen Partei
       der Arbeit „PTB“, bringt den Erfolg der Partei auf die Formel, man habe den
       Menschen schlicht zugehört und dann gefordert, was sie wollten. Das allein
       reicht nicht, ist aber ein guter Anfang.
       
       ## Ohne Strategie
       
       Eine anderes Beispiel war die Kampagne von Bernie Sanders. Sie war
       erfolgreich, weil sie eine authentische Führungsfigur mit einem
       ambitionierten Programm verband, das auch den einfachen Leuten deutliche
       Verbesserungen für ihr Leben versprach, etwa eine Krankenversicherung.
       
       In Deutschland fehlen solche populären Kampagnen, obwohl alle Bereiche der
       Daseinsvorsorge massiv unter Beschuss stehen. Kampagnenfähig wäre die
       Linkspartei, wenn sie bei Wohnen und Gesundheitsvorsorge, Mobilität und
       sozialer Absicherung konkrete Vorschläge macht, inhaltlich zuspitzt und
       intern eine Arbeitsteilung zulässt.
       
       Davon ist die Partei weit entfernt. Ihr fehlen Strategien und Zuversicht.
       Und der Aufbruch, den sie braucht, lässt sich kaum auf der Bühne eines
       Parteitages inszenieren.
       
       17 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Neues-Buch-von-Sahra-Wagenknecht/!5771163
   DIR [2] https://www.stern.de/politik/deutschland/sahra-wagenknecht--mitglieder-der-linken-beantragen-ihren-parteiausschluss-30566558.html
   DIR [3] /Plan-der-Linkspartei/!5762360
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ines Schwerdtner
       
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