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       # taz.de -- Bakus Jugend träumt von Europa: In Elvins Welt
       
       > Unsere EM-Kolumnistin trifft einen Taxifahrer, einen Büdchen-Besitzer und
       > einen Papierflieger-Experten mit Red-Bull-Erfahrung.
       
   IMG Bild: Schlenderndes Jungvolk in Baku: Und der Fußball ist auch immer dabei
       
       Ich stehe vor dem Stadion in Baku und bewundere Elvins Nonchalance. Elvin
       ist einer der Volunteers, und wie sehr viele junge Männer hier hat er ein
       Treffen vorgeschlagen. Allein, Elvin hat gerade online mündliche
       Uni-Prüfung. Das Handy vor der Nase, redet er wechselseitig mit dem Prof
       und mit mir. Weil es aber doch etwas lästig ist, dass ständig der Prof
       etwas fragt, verschieben wir das Treffen auf ein paar Stunden später.
       
       Er hat bestanden. [1][Elvin ist in Baku geboren], sein gesamter Habitus ist
       völlig anders als der des gleich alten Kioskbesitzers vom Dorf, mit dem ich
       zuletzt unterwegs war. Elvin spricht Englisch, nicht Russisch, und statt
       pantürkischer Träume will er unbedingt nach Europa. Er klagt über die
       strengen Gesetze im Land – wer einmal im Knast gesessen habe, habe keine
       Chance mehr, eine legale Arbeit zu finden. Elvin will weg hier. Er will
       dringend sein Englisch verbessern, und so üben wir.
       
       Die Bude, wo wir sitzen, einer dieser Pizza-Burger-Burrito-Orte am Stadion,
       kenne ich. Das Essen ist grausam und der Besitzer fantastisch, ein älterer
       russischsprachiger Mann mit Charme und der Melancholie aus Sowjetzeiten.
       Er trägt eines dieser selbst gestochenen Seemanns-Herzen auf dem Arm und
       weicht mir beim Essen nicht von der Seite. Er ist Bayern-Fan („In
       Aserbaidschan läuft jedes Bundesliga-Spiel“), schwärmt für Arjen Robben und
       kritisiert den Kommerz.
       
       ## Papierfliegen mit Red Bull
       
       „Früher war Fußball anders. Heute haben sie seine Seele verkauft.“ Es ist
       das erste Mal, dass ich in Baku solche Kritik höre. Mich beschleicht das
       Gefühl, dass die Älteren anders geprägt sind. Auf dem Weg zum Flughafen
       spreche ich mit dem alten Taxifahrer, der sehr vehement den Kapitalismus
       kritisiert. „Früher hatte ich freie Wochenenden, wir haben gelebt, Reiche
       gab es nicht. Heute gibt es nur zwei Arten von Menschen hier: Oligarchen
       und Arme.“ Er klagt über die gestiegenen Preise, die Korruption, seine
       prekäre Arbeit und den Stress. Und schwärmt von alten Zeiten in Sankt
       Petersburg.
       
       Für Elvin dagegen ist der Fixpunkt im Westen, der große Traum Österreich.
       Ein Land, das er völlig ironiefrei als Red-Bull-Country bezeichnet. Red
       Bull nämlich hat ihn einst dorthin eingeladen. An diesem Punkt stellt sich
       heraus, dass Elvin aserbaidschanischer [2][Meister im
       Papierflieger-Fliegen] ist. Das kam im Wesentlichen, weil er sich dachte,
       so schwer könne das doch nicht sein, und so schwer war es dann auch nicht.
       Der Meistertitel, „das war der schönste Moment meines Lebens“.
       
       Der zweitschönste war, dass Red Bull ihn daraufhin zur Weltmeisterschaft
       nach Salzburg einlud. Es gab sehr viel Rum und Wodka und sehr viel Red
       Bull, wie viel von jedem pro Nacht, zählt Elvin sehr detailliert auf. Als
       ich gehe, sagt er noch, er habe zwei Geschenke für mich mitgebracht, eine
       Linse fürs Handy und einen Kuli. Schreiben und Fotografieren, weil ich ja
       Journalistin sei. „Der Stift ist deine Waffe“, erklärt er fast feierlich.
       Und er solle mich erinnern, dass ich einen Freund in Baku hätte. Ich werde
       Baku vermissen.
       
       17 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.sportschau.de/fussball/uefaeuro2020/video-aserbaidschan-bei-der-euro--eine-tour-durch-baku-100.html
   DIR [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Red_Bull_Paper_Wings
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Schwermer
       
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