# taz.de -- Soziale Fragen und grüne Klimapolitik: Das ist also richtiger Urlaub
> Wer kann es sich leisten, mit teuren Zugreisen die Welt zu retten? Und
> sich dabei moralisch über Mallorca-Pauschalurlauber zu erheben?
IMG Bild: Trampen oder fliegen? Viele Wege führen in den Urlaub
An die ersten Schulstunden nach den Sommerferien erinnere ich mich gut.
Immer gab es diese Runde, in der man erzählen sollte, wo man die sechs
Wochen verbracht hatte. Durch die Reiseberichte der anderen lernte ich neue
Orte kennen: Korsika, Sardinien, Algarve. Mich und ein paar andere fragte
der Lehrer nur pro forma, weil wir die sechs Wochen entweder mit täglicher
Kickerei auf der Schwäbischen Alb verbrachten oder die Familie der Eltern
in der Türkei besuchten. Wenn es in die Türkei ging, dann mit dem Auto.
Fliegen war zu sechst zu teuer.
„70 Euro mehr für einen Mallorca-Flug können sich Besserverdienende locker
leisten, für so manche Familie aber kann das den Traum vom Sommerurlaub
beenden“, hat Armin Laschet gesagt. Ich musste an eine Mitschülerin denken,
eine Industriellentochter, die in der Stunde nach den Ferien auch mal von
Mallorca berichtet hat.
Laschet geht es natürlich nicht um Familien mit wenig Geld, es geht ihm um
Wahlen. Er muss den Grünen, die Kurzstreckenflüge überflüssig machen und
Langstreckenflüge vermindern wollen, etwas entgegensetzen. Trotzdem hat er,
der antisozialere Kandidat (keine Steuererhöhungen, keine
Mindestlohnerhöhung), einen wunden Punkt getroffen.
Dass Klimapolitik und Kapitalismus zusammengehen, das demonstrieren die
Grünen mit ihrer Rede [1][von der sozial-ökologischen Marktwirtschaft]; die
Grünen, die von den Joe Kaesers des Landes geliebt werden, weil auch die
Joe Kaesers begriffen haben: Die Zukunft des Kapitalismus ist grün.
Noch nicht geklärt ist der Zusammenhang zwischen sozialen Fragen und grüner
Klimapolitik. Laschet ist das egal. Aber den Grünen scheint es das auch zu
sein. Oder wie glaubwürdig ist eine Partei, die progressive Sozialpolitik
neben progressiver Klimapolitik behauptet, zugleich das Ende von Hartz IV
[2][mit lächerlichen 50 statt 200 Euro] mehr Grundsicherung einläuten
will?
So drängend die Frage des Klimawandels auch ist, ein paar Fragen müssen wir
klären, bevor wir kollektiv die Welt retten: Wer soll sie für wen retten?
Und was haben die einen von der Weltrettung, wenn die Welt für sie auch
danach eine Zumutung bleibt? Das Thema Urlaub kann man dabei in einer Welt,
die von Lohnarbeit und alltäglicher Disziplinierung regiert ist, nicht
wichtig genug nehmen: Wer kann es sich leisten, mit teuren Zugreisen die
Welt zu retten? Und sich dabei moralisch über Mallorca-Pauschalurlauber zu
erheben?
Seit meinem Auszug von zu Hause bin ich nicht mehr mit meinen Eltern in die
Türkei gefahren. Ich wollte mal diesen richtigen Urlaub ausprobieren, von
dem die anderen erzählt haben. Den ersten habe ich mit dem
Semesterferienjobgeld finanziert: Spanien und Portugal. Weil der Wille
allein nicht reicht und das Geld knapp war, bin ich getrampt und habe auch
mal auf einer Parkbank geschlafen. Für die Geschichten, die ich nach den
Sommerferien erzählen konnte, war das gar nicht so schlecht.
18 Jun 2021
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## AUTOREN
DIR Volkan Ağar
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