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       # taz.de -- Die Wahrheit: Baerbock beleidigt Schwiegermutter
       
       > Die irrsten „Bild“-Schlagzeilen aus dem Wahlkampf 2021. Im Visier des
       > Blut-und-Sperma-Blatts: die grüne Kanzlerkandidatin. Ein Rückblick.
       
       Den Auftakt zum Wahlkampf bildete Hans-Georg Maaßens Wortkunst. Der
       ehemalige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz und Thüringer
       Bundestagskandidat der CDU zerlegte Annalena Baerbock, zumindest
       namenstechnisch. Akribisch dechiffrierte der buchstabengetreue Maaßen das
       Akronym, das sich aus sämtlichen Namen der grünen Kanzlerkandidatin bilden
       ließ: ACAB. Die Bullenscheiße dampfte, war aber nur der Beginn einer
       Güllekampagne mit der ganz großen Schweinekanone: Bild. Denn was ist schon
       ein wirrer Maaßen, wenn man eine erfahrene Dreckschleuder einsetzen kann.
       
       Und so traf sich gut vier Monate vor der Bundestagswahl 2021 im neuen
       Berliner Verlagshaus an der Zimmer-, Ecke Springer-Straße eine eigens
       gegründete geheime „Task Force Strategic Affairs Shaming Annalena Baerbock
       Election Germany“, die nach Maaßen-Manier als Anagramm kurz „ABGEFASST“
       genannt wurde. Ziel der Truppe aller Chefredakteure des Springer-Verlags
       war es, unter Leitung von Bild-Boss Julian Reichelt den Wahlkampf gegen die
       Grünen-Kandidatin in eine Richtung zu lenken, für die der Begriff
       „Schmutzkampagne“ höchstens ein Kuschelwort sein würde.
       
       Schon das Brainstorming der führenden Köpfe bediente die niedersten
       Erwartungen. Zwar hatte man bedauerlicherweise in der Springer-Secreta, im
       großen Tresor, in dem die übelsten und skandalträchtigsten Papiere lagen,
       mit denen Prominente erpresst oder in den Selbstmord getrieben wurden,
       nichts, aber auch rein gar nichts über Baerbock gefunden. Aber der
       journalistische Jagdtrieb war geweckt. Jede noch so dünnpfiffige Idee kam
       auf den „Donnerbalken“ getauften Konferenztisch, auf dem aus
       Latrinenparolen unappetitliche Soßen wild zusammengerührt wurden, die der
       voyeuristischen Öffentlichkeit schmecken sollten. Nach der alten
       Bild-Devise: „Dreck bleibt immer hängen.“
       
       „Was ist mit Kinderpornografie?“, fragte Reichelt ins schmierige Rund. Das
       sei der leider viel zu betulichen Baerbock kaum nachzuweisen, wurde
       abgewinkt. „Nachweisen, nachweisen! Wir wollen hier nichts nachweisen! Wir
       sind verfickt noch mal im verdammten Krieg gegen Deutschland!“ Da war er
       wieder, der alte Kriegsreporter Reichelt, der sich nur wohlfühlte, wenn es
       in den Schützengräben nach eitrigem Wundwasser, ranzigem Sperma und
       verbranntem Blut roch. „Wir brauchen was mit Kindern, irgendwas!“
       
       ## Witwenschüttler ziehen Dürftiges an den fettigen Haaren herbei
       
       Die berühmten Witwenschüttler von Bild wurden eilig in Bewegung gesetzt,
       brachten zwar nur Dürftiges hervor, aber die erste Schlagzeile war schnell
       geboren: „Baerbock verkauft Kinder an Zigeuner“, titelte Bild am 19. Juni
       2021. Die Geschichte hinter der Zeile war so öde wie an den fettigen Haaren
       herbeigezogen. Ein französisches Au-pair-Mädchen, das die Kinder Baerbocks
       beaufsichtigte, hatte eine bulgarische Freundin, deren Großvater aus einer
       Roma-Sippe stammte, und der alte Mann hatte den Kleinen während eines
       Besuchs Süßigkeiten geschenkt.
       
       Dass Baerbock für die nächsten Monate einen schlagkräftigen Spitznamen
       bräuchte, hatte die Task Force als Erstes festgelegt. Die Bezeichnung
       musste unbedingt herablassend sein, sie verächtlich machen und in fast
       jeder Schlagzeile auftauchen, um den Lesern einzubläuen: Hier droht Gefahr
       für das Land unserer Väter und Mütter von einer liederlichen Person, die
       sich anschickte, die Macht zu ergreifen. Also hieß es bald nur noch
       „Pummelchen Baerbock kostet Mann 300 Euro am Tag“ oder „Pummelchen
       Annalena beleidigt Schwiegermutter“. Das Nebengleis der
       Schwiegermutter-Geschichte bediente Bild den gesamten Monat Juli durch. Von
       „Pummelchen bringt Schwiegermutter zum Weinen – schuld war der Bienenstich“
       über „Jetzt spricht Pummelchens Schwiegermutter!“ bis zum Klassiker „Sorgen
       um Pummelchens Schwiegermutter: Herzinfarkt“.
       
       Überhaupt bestand Baerbocks Kosmos allein aus ihrer Familie, jedenfalls für
       Bild. Kindergärten und Familienfeste, entfernte Verwandte auf Hochzeiten
       von Cousinen, im Blick standen aber vor allem die Essgewohnheiten und
       Kochkünste ihres Gatten Daniel Holefleisch, bei dessen Name sich Bild kein
       schlechtes Wortspiel verkniff. Der Hausmann Holefleisch wurde gern als
       „König Ohnefleisch“ tituliert, weil er daheim angeblich keine Burger essen
       durfte und es heimlich tat.
       
       Auf sein Gewicht waren die Bild-Macher geradezu fanatisch fixiert, er habe
       zu Beginn des Wahlkampfs 70 Kilo gewogen und in drei Monaten 40 Pfund
       zugelegt. Und da er nicht kochen könne, lebe die Familie von Takeaway, so
       Bild, die am 9. August verkündete: „Pizza im Ofen vergessen. Baerbock-Haus
       brennt.“ Eine Titelzeile, die sich Julian Reichelt in einer ereignisarmen,
       heißen Sommernacht persönlich aus den Fingern sog, als ein Bote für die
       gelangweilt wartenden Layouter im Springer-Haus Pizzas brachte.
       
       ## Papst verweigert der Kandidatin eine Privataudienz
       
       Politik kam in der Baerbock-Berichterstattung allenfalls am Rande vor:
       „Baerbock betet nicht für Deutschland“, hieß der Aufmacher am 20. August.
       Wobei göttlicher Beistand kaum zu erwarten war: „Papst boykottiert
       Baerbock“, klotzte Bild am 2. September, weil der Vatikan der Grünen
       angeblich eine Privataudienz beim Papst verweigerte, um die sie allerdings
       gar nicht nachgesucht hatte. „Hat Gott Baerbock verlassen?“, fragte das
       Fischeinwickelblatt dann drei Tage später gleich an oberster Stelle nach,
       weil die Kanzlerkandidatin nach einer verhaspelten Rede in die noch
       geöffneten Mikrofone hineingeflucht hatte: „O Gott, was ’ne Scheiße!“
       
       Je näher der heiße Wahltermin rückte, desto eisiger wurden die
       Boulevardisten, und die wahren Wünsche ihres Führers traten immer offener
       zu Tage: „Baerbock peng – und weg“, knallte Reichelt am 8. September auf
       die Titelseite, nachdem bei einer Wahlkampfveranstaltung neben der
       Kandidatin auf der Bühne ein Luftballon zerplatzte und Baerbock sichtlich
       erschrak. „Baerbock bereit für Russenpeitsche?“, fragte Bild am nächsten
       Tag, um dann von selbsternannten Experten nachweisen zu lassen, dass das
       „Pummelchen nicht wehrfähig gegen Putins Russland“ sei.
       
       Fast schon gemütlich klang da kurz vor der Wahl am 23. September der Titel
       „Pummelchen mit neuen Ohren“. Eine Schönheitsoperation habe Baerbock
       vornehmen lassen, um attraktiver zu wirken, behauptete Bild. Dass mit Ohren
       nicht Ohren gemeint waren, sorgte inzwischen schon kaum mehr für
       Aufmerksamkeit. Denn die ehemals auflagenstarke Boulevard-Postille hatte
       mit ihrer Ekelkampagne nur mäßigen Erfolg, der Ausgang der Bundestagswahl
       2021 ist bekannt.
       
       Was aber Julian Reichelt mittlerweile anstellt, weiß kein Mensch. Der
       Chefredakteur ist nach der Wahl verschwunden. Seine offenbar erleichterten
       Kollegen jedenfalls schlagzeilten wie üblich ungeniert: „Bild-Boss
       zerstückelt und aufgegessen“.
       
       19 Jun 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Ringel
       
       ## TAGS
       
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