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       # taz.de -- Homosexueller Football-Profi Carl Nassib: Touchdown im Garten
       
       > Nach 15 Jahren macht Football-Profi und NFL-Spieler Carl Nassib seine
       > Homosexualität öffentlich. Viele Profikollegen zollen ihm Respekt.
       
   IMG Bild: Carl Nassib: „Ich wollte mir nur einen kurzen Moment Zeit nehmen, um zu sagen, dass ich schwul bin“
       
       Er ist nicht der Erste. Nicht der erste Schwule im American Football, nicht
       der erste Profi, nicht einmal der Erste, der einen Vertrag mit der NFL hat.
       Und dass er der erste Footballer dieser Profiliga ist, der aktiv spielt,
       wird zwar überall betont, klingt aber doch etwas konstruiert. Was Carl
       Nassib zur historischen Persönlichkeit macht, ist nicht das Bekenntnis des
       28-jährigen Footballers, schwul zu sein, sondern dass er es mit einer Woge
       der Zustimmung tut.
       
       „Stolz auf dich“, twittert sein Club, die Las Vegas Raiders. Und der
       mächtige Commissioner der NFL, Roger Goodell, teilte schnell mit, er sei
       „stolz auf Carl, dass er heute mutig seine Wahrheit gesagt hat“. Viele
       Profikollegen nutzten die sozialen Medien, um Carl Nassib zu gratulieren.
       
       Für diese einfache Wahrheit hat Nassib, der seit fünf Jahren in der
       wichtigsten Football-Liga der Welt spielt, 15 Jahre Anlauf genommen. Am
       Sonntag hat er sich dann in seinen Garten in West Chester, Pennsylvania,
       gesetzt und ein Instagram-Video aufgenommen. „Ich wollte mir nur einen
       kurzen Moment Zeit nehmen, um zu sagen, dass ich schwul bin“, sagt er da
       und lächelt. „Ich wollte das schon eine Weile tun, aber jetzt endlich fühle
       ich mich gut genug, um es loszuwerden.“ Im September beginnt die neue
       NFL-Saison, aber jetzt findet der Pride Month statt. Das ist für Nassib ein
       guter Moment: „Ich lebe gerne zurückgezogen, daher hoffe ich, dass ihr
       wisst, dass ich dies hier nicht mache, weil ich Aufmerksamkeit bekommen
       will. Ich denke einfach, dass Repräsentation und Sichtbarkeit so wichtig
       sind.“ Deshalb hat Nassib gleich 100.000 Dollar an das Trevor Project
       gespendet, das sich seit Jahren um die Suizidprävention bei
       LGBTQ+-Jugendlichen kümmert.
       
       Suizidgedanken sind nämlich ein Thema, das bei schwulen Profis in dieser
       arg [1][von merkwürdiger Maskulinität geprägten Sportart] nicht
       ungewöhnlich ist. Als 2017 der Ex-Profi Ryan O’Callaghan sein Coming-out
       hatte, sieben Jahre nach Karriereende, berichtete er zugleich von Gedanken
       und Ängsten, dass er sich manchmal lieber selbst getötet hätte, als das
       zuzugeben. In den sechziger und siebziger Jahren war Dave Kopay in der NFL
       aktiv. Er hatte so viel Angst vor einem Coming-out, dass er zunächst ein
       Priesterseminar besuchte, dann eine Flugbegleiterin heiratete – alles,
       damit niemand merkt, dass er schwul ist. Als Kopay seine Geschichte
       offenbarte, teilte er noch mit, dass er einmal eine Affäre mit einem
       anderen NFL-Profi gehabt habe, Jerry Smith. Der war 1986 an Aids gestorben,
       ohne je über seine Homosexualität gesprochen zu haben.
       
       ## Outing nach Ende der Profilaufbahn
       
       Michael Sam wird noch oft erwähnt. Der wurde 2014 von der NFL rekrutiert,
       erhielt also als talentierter Collegespieler einen Vertrag. Nachdem die
       Unterschrift geleistet war, outete Sam sich, und er bekam keinen einzigen
       Einsatz. Später spielte er als Profi in einer unteren Liga in Kanada.
       
       O’Callaghan, Kopay, Sam, aber auch andere Profis wie Esera Tuaolo oder Roy
       Simmons haben den Weg bereitet, damit Carl Nassib laut und ohne Anfeindung
       aussprechen kann, dass er Männer liebt. Simmons, der sich Jahre nach Ende
       seiner Profilaufbahn outete, sagte einmal, er habe das Gefühl gehabt, keine
       andere Wahl zu haben. „Die NFL hat einen Ruf und das ist nicht nur eine
       Sache von Begriffen“, sagte er 2003, elf Jahre vor seinem Tod. NBA-Profis
       seien „Gladiatoren, sie sind männlich, sie treten dir in den Arsch“.
       
       Carl Nassib sagte nun, als er lächelnd in seinem Garten saß und in die
       Videokamera sprach, er hoffe, „dass eines Tages Videos wie dieses und der
       ganze Coming-out-Prozess nicht mehr nötig sind“. Bis dahin werde er alles
       dafür tun, „eine Kultur zu kultivieren, die akzeptierend und mitfühlend
       ist“. Unterstützung hat er dafür von vielen Seiten. „Sport ist in vielerlei
       Hinsicht eine der letzten Bastionen, in der Homophobie wächst“, sagte Cathy
       Renna von der National LGBTQ Task Force, die sich seit fast 50 Jahren um
       die Rechte queerer Menschen in den USA kümmert. „Einen Profisportler dieses
       Kalibers zu haben, besonders in einer der großen Ligen wie der NFL, ist
       wirklich historisch.“
       
       22 Jun 2021
       
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