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       # taz.de -- EM-Abschied in Nordmazedonien: Eine fast unschuldige Liebe
       
       > Im nordmazedonischen Skopje feiert man den EM-Auftritt der
       > Nationalspieler trotz der drei Niederlagen – weil man einfach Spaß an
       > ihrem Fußball hat.
       
   IMG Bild: Außenseiter, na und? Nordmazedonische Fans feiern in der Altstadt von Bukarest so oder so
       
       Wenn Nordmazedonien eines beherrscht, dann Lässigkeit. Wenige Stunden vor
       dem letzten EM-Spiel des schon ausgeschiedenen Teams ist rein gar nichts
       los am zentralen Platz in Skopje. Der gigantische Alexander der Große bäumt
       sich einsam samt Gaul, unter ihm hat das Fernsehen ein kleines Fußballtor
       aufbauen lassen, das von einem Nordmazedonien-Maskottchen mit Entenkopf
       gehütet wird. Ein paar Kinder hocken in der schwülen Hitze drum herum. Ein
       Vater schießt erbarmungslos drauf, während die bemitleidenswerte Ente
       hierhin und dorthin stolpert im Versuch, einen Ball zu halten.
       
       Die besorgte Frage, ob denn wirklich Fans zum Public Viewing kommen werden,
       beantwortet der Kellner der benachbarten Kneipe gut gelaunt: „Wie immer.
       Die haben alle reserviert.“ Und tatsächlich: Kurz vor Spielbeginn tauchen
       die Fans auf, [1][eher dezent denn nationalistisch], die Hymne wird nur
       verschämt grinsend mitgesungen. Ein Käsehersteller drückt jedem, der sich
       nicht wehrt, eine Nationalflagge in die Hand. Dann geht es los.
       
       Dass Nordmazedonien bei dieser EM enttäuscht hätte, kann man trotz der null
       Punkte kaum behaupten. Das Team, dessen ganzer Kader 61 Millionen Euro wert
       ist, ein Zehntel von dem der Niederländer, hatte bestenfalls
       Außenseiterchancen. Was erwartet man sich also als Nordmazedonier von der
       EM? „Wir sind froh, dabei zu sein“, erwidert der Kellner recht unbekümmert.
       „Jeder Punkt ist gut.“ Er habe natürlich schon irgendwie gehofft, die
       Gruppenphase zu überstehen. „Aber wir sind nicht enttäuscht.“ Ein
       Gesprächspartner am Vortag bringt es so auf den Punkt: „Offiziell hat
       niemand etwas erwartet. Aber nach zwei Niederlagen waren die Leute schon
       ein bisschen enttäuscht. Ich habe ihnen gesagt: Was habt ihr denn geglaubt,
       was passiert?“
       
       Falls es Trauer gab, ist sie nun wieder der Feierlichkeit gewichen.
       Überwiegend junge Leute, Frauen wie Männer, haben sich versammelt, allesamt
       bestens gelaunt. Der Kellner ist überzeugt, ein Sieg heute sei möglich. Auf
       die Nachfrage, ob das nicht ein bisschen optimistisch sei, grinst er breit
       die deutsche Reporterin an: „Wieso? Das ging gegen Deutschland ja auch.“
       
       ## Bejubelte Tacklings
       
       Und für zwanzig Minuten sieht es tatsächlich so aus, als könne sich der
       Traum erfüllen. Die Nordmazedonier sehen gar nicht ein, sich nur im
       Strafraum zu verschanzen, und kontern gefährlich. Jedes erfolgreiche
       Tackling, jeder Angriff über die Mittellinie wird in der Bar bejubelt, als
       wär’s ein Treffer. In der neunten Minute reißt es die Gäste ungläubig von
       den Stühlen, als Ivan Trickovski tatsächlich die Führung für Nordmazedonien
       erzielt, aus dem Abseits allerdings. Und zehn Minuten später ist der
       Außenseiter noch einmal im Pech, als Aleksandar Trajkovski nur den Pfosten
       trifft. So hätte alles anders kommen können und kommt dann doch wie
       erwartet: Die Niederländer werden stärker, die Nordmazedonier an den
       eigenen Strafraum gefesselt, am Ende steht es 3:0 durch Depay und
       Doppelpack von Wijnaldum.
       
       Das Publikum trägt es mit Nachsicht. „Wir sind alle so stolz auf die
       Jungs“, erklärt eine junge Frau im Pandev-Trikot. Normalerweise schaue sie
       keinen Fußball, jetzt aber schon. „Niemand hier hat irgendwas erwartet, wir
       freuen uns einfach.“ Ein junger Mann, der sich als Barça-Fan zu erkennen
       gibt, erklärt, er habe schon darauf gehofft, dass sie zumindest einen Punkt
       mitnehmen. „Aber sie haben sich toll geschlagen.“
       
       In Skopje nimmt man die EM wie Union Berlin die Conference League, gefeiert
       wird immer. Das urbane Publikum, samt und sonders mit perfektem Englisch,
       gibt gern Auskunft, und erzählt gleich noch über Lebensträume. Ein Student
       erzählt in hervorragendem Deutsch, er wolle unbedingt in Deutschland leben,
       er nehme Privatunterricht. Sein Sitznachbar von der türkischen Minderheit
       berichtet, wie er für beide Nationalteams schreit. „Das gibt mir
       Gänsehaut.“ Es ist eine fast unschuldige Liebe zum Fußball.
       
       Und während der große Nationalheld Goran Pandev bei diesem Spiel seinen
       Abschied feiert und unter Tränen die Fußballbühne verlässt, ruhen die
       Hoffnungen für die Zukunft vor allem auf Eljif Elmas, dem erst 21-Jährigen
       vom SSC Neapel. In fünf Jahren werde der ein ganz Großer sein, ist sich der
       Kellner sicher. „Dieses Team hat eine große Zukunft.“ Sein nächster Traum:
       sich für die WM zu qualifizieren. [2][Die WM in Katar als Sehnsuchtsort,
       auch das gibt es.]
       
       22 Jun 2021
       
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