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       # taz.de -- Die Wahrheit: Mondkacke statt Rührei
       
       > Unterwegs auf der Schleimspur schleimiger Lebewesen mit gar seltsamen
       > Namen. Die Unesco hat eine Namensprämie für neue Pflanzennamen
       > ausgesetzt.
       
   IMG Bild: Schleim absondernde Schnecke für Suppen
       
       Wie viele Tier- und Pflanzenarten sterben aus, ohne je auch nur einen Namen
       gehabt zu haben? Um das namenlose Aussterben zu verhindern, hat die Unesco
       eine Namensprämie für jeden neuen Tier- und Pflanzennamen ausgesetzt: 100
       Euro pro Lebewesensnase.
       
       Das rief die übel beleumundeten Nomenklatoren auf den Plan, skrupellose
       Namensspürhunde und geldgieriges Gesindel, das sogar die Namen ihrer
       Großmütter für einen Appel und ein Ei verkaufen würde.
       
       Was Wunder, dass die Namensgeier sich auf die Klasse der Myxomyceten
       stürzten wie ein Schleimpilz auf morsches Holz. Myxomyceten, vulgo
       Schleimpilze, weisen etwa 1.000 Arten weltweit auf und in Deutschland rund
       350. Und das Schönste ist, die meisten von ihnen sind bislang namenlos! Die
       kaum bekannten Schleimpilze sind meist kleine glitschige Zellhaufen, auf
       die jeder schon getreten ist, ohne es zu merken.
       
       ## Parasitäres Protoplasma
       
       Die kleinen Schleimer tun ihrerseits weder Mensch noch Tier noch Pflanze
       etwas zuleide und leben genügsam von Totholz und Bakterien. Leider werden
       die kleinen Schleimpilze von den Nomenklatoren lieblos als „Parasitäres
       Protoplasma“ bezeichnet. Na gut, das sind sie ja auch, aber von irgendetwas
       muss der kleine Myxomycet ja leben. Doch man sollte ihm deshalb noch lange
       nicht bedenkenlos lieblose Schmähnamen anhängen!
       
       Wirft man einen kurzen Blick auf das typische Leben eines gewöhnlichen
       Schleimpilzes, beginnt es wie das des Menschen als Spore. Der begeißelte
       sympathische Schwärmer versucht aber gar nicht erst eine Eizelle zu
       penetrieren, sondern verschmilzt solidarisch mit anderen Sporen zu einem
       schutzlosen, schleimigen Plasmodium, das ohne äußere Zellwand ängstlich
       durch den Wald kriecht, immer gewahr, gefressen oder zertreten zu werden.
       
       Es lebt ängstlich auf faulenden, vegetabilen Baumstümpfen, immer in der
       Angst, von geldgierigen Nomenklatoren entdeckt zu werden. Wenn das
       passiert, wird es zumeist mit blutrünstigen und abstoßenden Namen für immer
       abgestempelt: Blutmilchpilz, Hexenbutter, Zinnoberroter Pustelpilz oder
       Eierschleimpilz.
       
       Die sonst so zurückhaltenden Angelsachsen sind keinen Deut besser als
       Namensgeber der scheuen Schleimpilze: Die Lohblüte nennen sie Scrambled Egg
       Slime (Rührei), DogVomit Slime (Hundekotze) und Flower of Sulphur
       (Schwefelschleim). Na, immerhin Flower werden manche sagen.
       
       ## Caca de luna
       
       Die mexikanischen Nomenklatur-Kollegen sind auch zu tadeln, sie tauften
       einen ihrer Schleimpilze „Caca de luna“ (Mondkacke), was sie nicht davon
       abhält, die Pilzpolster, gebraten wie Rührei, zu vertilgen.
       
       Irgendwann hatten die harmlosen Schleimpilze die Nase voll. Sie taten sich
       zusammen, um zurückzuschlagen. 1973 überfiel eine „Horde Schleimpilze“
       einen Vorort von Dallas und belagerte in Legionen Strommasten, Gärten und
       Parkanlagen. Die entsetzte Feuerwehr versuchte, den gelben Schleim mit
       Wasserstrahlen zu entfernen, was die wasserliebenden Schleimmassen nur noch
       stärker machte. Erst als der Feuerwehr das Wasser ausging und die Sonne von
       Dallas erbarmungslos schien, zog sich der gelbe Schlammbatz in die
       Kanalisation zurück und wartet seitdem auf einen günstigen Zeitpunkt, um
       wieder zuzuschlagen.
       
       Im Labor konnten mittlerweile immerhin Schleimteppiche von bis zu 5,5
       Quadratmetern gezüchtet werden, es ist also nur eine Frage der Zeit, wann
       ein wahnsinniger Wissenschaftler die nächste Schleimpilzattacke anzettelt!
       
       Doch es gibt auch poetische und herzerfreuende Schleimpilznamen, wer möchte
       nicht ein Dunkles Fadenkeulchen, den allerliebsten Wuschelköpfigen
       Schleimpilz oder den knusprigen Bretzelschleimpilz in seinem Garten
       begrüßen?
       
       Nur einen wollen wir dort niemals sehen, den Gelblichen Haarstäubling, den
       damischen. Der soll bleiben, wo er hingehört, im feuchten Dunkel der
       amerikanischen Sümpfe!
       
       23 Jun 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kriki
       
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