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       # taz.de -- Nach der Brandkatastrophe in Australien: Wo Vögel wieder singen
       
       > Kangaroo Island lag im Frühjahr 2020 in Schutt und Asche. Eineinhalb
       > Jahre später dominiert im Naturparadies wieder die Farbe Grün.
       
   IMG Bild: Das Leben kehrt zurück: Frisches Grün spießt in den verbrannten Wäldern von Kangaroo Island
       
       Kangaroo Island taz | Nikki Redman ist in ihrem Element. „Schau mal, alles
       schwarz, aber …“, sagt die Reiseführerin und zeigt auf einen kleinen Baum.
       Verkohlt sieht die Pflanze aus. Der Eindruck täuscht. „Unten in den
       Wurzeln, da lebt der Baum weiter“. Tatsächlich: kleine, grüne Zweige
       schießen durch den Sand; brechen durch scheinbar tote Rinde. Redman,
       Reiseführerin auf [1][Kangaroo Island], ist auf der Insel geboren,
       aufgewachsen, und hat fast immer hier gelebt. „Ein paar Mal ging ich weg“,
       erzählt sie, „aber es zog mich immer wieder nach KI zurück“. KI – „Käi-Ei“
       – so nennt hier jeder die Insel vor der südaustralischen Küste – sei ihr
       Zuhause. Mehr noch: „Ich bin KI“, sagt die Mittvierzigerin.
       
       Und dann füllen sich Nikkis Augen mit Tränen. Plötzlich sei sie wieder da,
       die Erinnerung, plötzlich beiße er wieder, der Schmerz. „Es ist hart“, sagt
       sie. „Fast fühle ich mich schuldig.“ Schuldig, dass sie solche Emotionen
       habe, obwohl sie im Horrorsommer von 2020 nicht direkt betroffen gewesen
       sei, wie so viele ihrer Freunde und Bekannten. Damals, als die Hälfte von
       Nikkis von Buschland bedeckten Naturparadies von einem Flammeninferno
       heimgesucht wurde.
       
       Bald sind es eineinhalb Jahre her, seit auf Kangaroo Island die
       [2][verheerendsten Feuer] der jüngeren Geschichte Australiens gewütet
       hatten. Bilder von 50 Meter hohen Flammen, die sich in rasender
       Geschwindigkeit durch die Landschaft fraßen, gingen um die Welt. Es war
       eine der spektakulärsten Feuersbrünste in diesem Sommer, in dem entlang der
       Ostküste des Kontinents zeitweise Dutzende von unkontrollierbaren Bränden
       wüteten. Zwei Menschen starben auf KI. 638 Kilometer lang war die
       Feuerfront auf der Insel, über 400 Gebäude gingen in Flammen auf. 60.000
       Nutztiere verbrannten. Der Schaden an der Natur war immens. Und Dutzende
       Familien verloren ihre Existenz.
       
       Immer wieder kämen ihr Bilder in den Sinn, sagt Redman, ob sie wolle oder
       nicht. Etwa von einem Koala. „Ich hatte ihn in einem komplett ausgebrannten
       Gebiet gefunden und ihn in einen Wald gebracht, wo es noch Futter gab. Doch
       er rannte mir immer nach, wollte mit mir gehen“. Sie musste das Tier
       zurücklassen. Bis zu 25.000 dieser ikonischen australischen Beuteltiere
       waren in den Flammen umgekommen. Hunderte weitere mussten monatelang
       gepflegt werden. Viele schafften es nicht zu überleben.
       
       ## Wie Australiens Natur mit dem Feuer lebt
       
       Ortstermin mit einem Experten. Heiri Klein, gebürtiger Schweizer und
       Ökologe bei der Nationalparkbehörde des Bundesstaates Südaustralien, steht
       am Bunker Hill, einem der schönsten Aussichtsorte der Insel. Hier fegte
       2020 ein Feuersturm durch. Seither hat sich die Natur auf geradezu
       spektakuläre Art und Weise erholt. Wo bis vor Kurzem kein Blatt zu sehen
       war, stehen einheimische Pflanzen in einem neuen Kleid.
       
       Klein zeigt über ein Meer von Grün. „Wenn ein Waldbrand durch ein Gebiet
       geht, keimen schon wenige Woche später neue Pflanzen aus der Asche“. Es sei
       eine Eigenart der australischen Natur, dass sie sich nach einer
       Feuersbrunst schnell wieder erholt. Einheimische australische Pflanzen wie
       Eukalypten, Banksiabüsche und Teebäume bräuchten sogar die Hitze eines
       Feuers und die Chemikalien des Rauchs, damit sich ihre Samenkapseln öffnen
       können.
       
       Doch während sich die Natur neu erschafft, leiden noch immer viele Menschen
       unter dem Trauma von 2020. „Einige haben alles verloren“, erklärt Rob
       Manton, Koordinator für Katastrophenhilfe. Der Wiederaufbau werde noch
       Jahre dauern. „Noch weitaus länger aber dürften wir mit den psychischen
       Folgen des Infernos zu tun haben“, meint der Beamte. Viele der
       traumatisierten Bewohner von KI mussten während der Feuersbrunst nicht nur
       um ihren Besitz fürchten, sondern auch um ihr Leben.
       
       John Hird, Betriebschef der Luxushotelanlage Southern Ocean Lodge etwa ist
       wohl nur noch hier, weil er und seine Mitarbeiter sich in einem feuerfesten
       Bunker unter dem Hauptgebäude in Sicherheit bringen konnten. „Das Feuer kam
       von allen Seiten“, erinnert er sich, „zu fliehen wäre aussichtslos
       gewesen“. Als sie nach den wohl nervenzerreißendsten zwei Stunden ihres
       Lebens die Bunkertüre öffneten, lag vor ihnen eine apokalyptische, von
       Asche bedeckte Landschaft. „Alles war weiß“, erinnert sich Hird, „wie von
       Schnee bedeckt“. Praktisch alle Gebäude waren zerstört „Wir mussten dann
       erst mal alle aufs Klo“, grinst Hird.
       
       ## Ausländische Touristen dürfen nicht kommen
       
       Sein Humor hilft ihm wohl auch, Geduld für den Wiederaufbau zu haben. Wohl
       noch zwei Jahre werde es dauern, bis wieder Gäste einziehen können in die
       Anlage direkt am Ozean, meint der Hotelier. Die für das Wohlergehen der
       Insel entscheidende Tourismusindustrie sah sich nach den Bränden einer
       wirtschaftlichen Doppelkatastrophe gegenüber, als kurze Zeit später
       Covid-19 kam.
       
       Überraschenderweise erwies sich die Pandemie aber als eine Art Segen. Zwar
       blieben Zehntausende von ausländischen Reisenden weg – die Grenzen
       Australiens sind bis heute [3][für Touristen geschlossen]. Dafür nahmen
       Tausende Einheimische die Fähre vom Festland nach KI. Da Australier ihr
       Land nicht verlassen dürfen, machen sie zu Hause Urlaub. Nicht nur auf KI
       freuen sich Hotels über einen Nachfrageboom, wie sie ihn seit Jahren nicht
       erlebt haben.
       
       Für viele Bewohner von KI ist das Interesse der Besucher an ihrer Insel
       moralisch von großer Bedeutung. „Diese Unterstützung ist für uns
       lebenswichtig“, sagt Bürgermeister Michael Pengilly. Man freue sich auf die
       Öffnung der Grenzen, um endlich wieder Touristen aus dem Ausland begrüßen
       zu können.
       
       Australien, als zweittrockenster Kontinent nach der Antarktis ist ganz
       besonders von den Folgen der Klimaerhitzung betroffen. Trotzdem wird das
       Land politisch noch immer von Klimaschutzgegnern kontrolliert. Sogar
       Minister im Kabinett der konservativen Regierung von Premierminister
       [4][Scott Morrison] verleugnen oder verharmlosen vom Menschen verursachte
       Klimaveränderung. Sie werden von den in Australien dominierenden Medien des
       US-Zeitungsmoguls Rupert Murdoch unterstützt, die regelmäßig
       wissenschaftliche Erkenntnisse infrage stellen, Forscher als unglaubwürdig
       bezeichnen und Rufe nach Klimaschutz als „Propaganda grüner und linker
       Aktivisten“ diskreditieren.
       
       Die konstante Beeinflussung der Öffentlichkeit durch konservative Medien
       und Politiker hat Folgen: Selbst in direkt betroffenen Gemeinden ist
       Klimawandelskepsis endemisch. Nikki Redman sagt: „Auch nach diesen Feuern
       denken noch viele auf Kangaroo Island, menschengemachten Klimawandel gebe
       es nicht, oder er spiele kaum eine Rolle“. Obwohl die Beweise für jeden
       sichtbar seien. „Wir haben viel längere Hitzeperioden und Phasen der
       Trockenheit. Und viel weniger Regen. Aber Klimawandelskeptiker glauben wohl
       auch, die Erde sei flach.“
       
       Redman stoppt ihren Allrad-Toyota am Rand eines kleinen Waldes. Sie blickt
       in die Ferne und lauscht. „Hörst Du?“, fragt sie und zeigt auf einen
       kleinen Vogel, der im Geäst eines nahen Eukalyptusbaumes zwitschert. In den
       Monaten nach den Feuern sei hier kein Ton zu hören gewesen. „Alles war
       tot“. Nicht mal Insekten hätten gebrummt. „Jetzt singen die Vögel wieder“,
       sagt Nikki. Und ihre Augen füllen sich wieder mit Tränen.
       
       24 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.australia.com/de-de/facts-and-planning/inspiration/nature-and-wildlife/kangaroo-island-wildlife.html
   DIR [2] /Waldbraende-in-Australien/!5653513
   DIR [3] https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/australiensicherheit/213920
   DIR [4] /Australiens-Wahlsieger-Scott-Morrison/!5596378
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Urs Wälterlin
       
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