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       # taz.de -- Digitaler Bundesparteitag der Grünen: Druck vor der Kür
       
       > Die Grünen starten am Nachmittag ihren dreitägigen Bundesparteitag.
       > Co-Parteichefin Baerbock soll dort offiziell zur Kanzlerkandidatin gekürt
       > werden.
       
   IMG Bild: Annalena Baerbock muss als Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende Antworten finden
       
       Berlin taz | Am Samstag steht Annalena Baerbock eine wichtige Rede bevor.
       Beim dreitägigen digitalen Parteitag, der von Freitagnachmittag bis Sonntag
       stattfinden wird, soll sie offiziell zur Kanzlerkandidatin gekürt und
       gemeinsam mit Robert Habeck als Spitzenduo bestätigt werden. Das mediale
       Interesse wird groß sein, mit wie viel Rückendeckung die beiden rechnen
       können. Die Grünen haben im Wahlkampf das erste Mal in ihrer über
       40-jährigen Parteigeschichte das Kanzleramt als Ziel ausgegeben und die
       Union herausgefordert.
       
       Nur ist die Ausgangslage gerade nicht so günstig: Kanzlerkandidatin
       Annalena Baerbock und ihre Partei stehen seit Wochen in der Kritik. Dabei
       lief es lange gut für die Grünen. In den Umfragen überholte die Ökopartei
       zwischenzeitlich die Union. Annalena Baerbock war die Hoffnungsträgerin
       ihrer Partei, landete auf den Titelseiten von Spiegel und Stern. Doch dann
       begann eine Serie von Pannen: Baerbock meldete Nebeneinkünfte zu spät nach,
       [1][Robert Habeck verwirrte mit der Forderung „Defensivwaffen“ an die
       Ukraine zu liefern], das Ergebnis der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt fiel
       schlechter aus als erwartet.
       
       In einer Debatte um höhere CO2-Preise griff d[2][ie politische Konkurrenz
       die Grünen hart an und warf ihr vor, nicht für sozialen Ausgleich zu
       sorgen] – dabei haben die Grünen das in ihrem Programmentwurf explizit mit
       dem Energiegeld vorgesehen. Zuletzt gab es dann Aufregung um den Lebenslauf
       von Annalena Baerbock: Studienabschlüsse wurden missverständlich und
       Mitgliedschaften nicht korrekt angegeben, es wurde mehrfach nachgebessert.
       
       Nun sehen die einen den aufgemotzten Lebenslauf [3][als großen Fehler] und
       andere [4][eher als Lappalie.] Da gehen die Meinungen auseinander. Aber für
       Annalena Baerbock steht jetzt viel auf dem Spiel. Es geht nicht nur um ihre
       eigene Karriere und Glaubwürdigkeit, sondern um den Erfolg oder Misserfolg
       ihrer Partei. In den Umfragewerten liegen die Grünen wieder hinter der
       Union. Die Beliebtheitswerte von Baerbock sinken.
       
       ## Rückhalt von Göring-Eckardt
       
       Am Donnerstagabend versuchte sie sich in Schadensbegrenzung. In der
       ARD-Sendung „Farbe bekennen“ stellte sie sich zur Primetime einer harten
       Befragung zur Causa Lebenslauf. „Ich habe da offensichtlich einen Fehler
       gemacht“, räumte sie ein. Sie wolle „Vertrauen zurückgewinnen“. Immer
       wieder lenkte sie auf politische Inhalte: Kinder, Familien, Klimaschutz,
       Umbau der Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit. Sie machte deutlich, dass sie
       die Kanzlerkandidatur der Grünen nicht an Co-Parteichef Robert Habeck
       abgeben will. Sie finde es wichtig, zu Fehlern zu stehen und sich zu
       korrigieren. Dennoch steht sie unter Druck. In einer [5][Spiegel-Kolumne
       hieß es etwa, Baerbock habe ihre Glaubwürdigkeit verspielt.]
       
       Rückhalt bekam Baerbock von der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katrin
       Göring-Eckardt. Fehler seien menschlich, der Umgang damit aber das
       Entscheidende, sagte diese im Deutschlandfunk. Baerbocks Glaubwürdigkeit
       bleibe gewahrt. Grünen-Co-Chef Robert Habeck räumte im Vorfeld des
       Parteitags im ARD-Morgenmagazin Fehler der Partei ein: „Wir haben es
       jedenfalls den anderen leicht gemacht.“ Im Interview mit dem
       Redaktionnetzwerk sagte er, er rechne mit fulminanter Unterstützung für
       Baerbock und einem starken Signal der Solidarität.
       
       Beim Bundesparteitag haben die Grünen bis Sonntag die Gelegenheit, wieder
       eigene Akzente zu setzen. Ihre Diskussionsbereitschaft haben sie zumindest
       jetzt schon unter Beweis gestellt: Ganze 3.280 Änderungsanträge sind zum
       Entwurf des Bundesvorstands eingegangen. Bundesgeschäftsführer Michael
       Kellner nannte es am Mittwoch in einer Pressekonferenz „das
       intensivstdiskutierte Wahlprogramm der grünen Geschichte“.
       
       Nun geht es manchmal um kleine Änderungen und einzelne Wörter. Aber auch
       kleine Satzzeichen können ja bekanntlich für Empörung sorgen – das
       Sternchen beispielsweise. So will etwa ein Änderungsantrag, dass es statt
       „Wähler und Wählerinnen“ doch lieber „Wähler*innen“ heißen soll. Beim Titel
       des Programms „Deutschland. Alles ist drin.“ ist strittig, ob das Wort
       „Deutschland“ angemessen ist oder nicht lieber gestrichen werden sollte.
       
       ## Grüne Jugend besonders ambitioniert
       
       Beim Thema Klimaschutz sind aber harte inhaltliche Auseinandersetzungen zu
       erwarten. Beim Kapitel „Lebensgrundlagen sichern“ sind über 900
       Änderungsanträge eingegangen. Auch die Kanzlerkandidatin selbst rechnet mit
       regen Debatten über die Höhe des CO2-Preises, die Stromsteuer oder den
       Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor. Diskutiert wird auch die Forderung,
       dass Deutschland bereits in 20 Jahren klimaneutral werden sollte – und
       nicht erst 2045, wie es die Bundesregierung vorhat. Eine Gruppe fordert
       einen deutlich höheren CO2-Preis auf Öl und Gas. „Man darf es mit dem Preis
       nicht übertreiben“, mahnte aber Robert Habeck im RND-Interview. „Was wir
       beschließen, sollte umsetzbar sein“, sagte er.
       
       Die Grüne Jugend zeigt sich besonders ambitioniert. Sie will einen
       kostenlosen ÖPNV und eine volle Rückerstattung der CO2-Kosten erreichen.
       Sozialer Ausgleich ist dem Nachwuchs offenbar wichtig. Sie wollen höhere
       Hartz-IV-Sätze, eine längere Bezugsdauer für Arbeitslosengeld I und die
       Vergesellschaftung von Wohnungen, um „die Spekulation mit dem Grundrecht
       Wohnen“ zu beenden.
       
       Hitzige Diskussionen werden beim Thema bewaffnete Drohnen erwartet. Im
       Programmentwurf des Vorstands kommt das zwar namentlich nicht so vor, dort
       ist nur von „autonomen tödlichen Waffensystemen“ die Rede. Kampfdrohnen
       müssen aber nicht autonom operieren, sondern können auch von Soldaten
       gesteuert werden. In einem Antrag wurde vor dem Parteitag die Beschaffung
       bewaffneter Drohnen zum Schutz der eigenen Truppen und von Zivilisten
       ausdrücklich gefordert – ein anderer Antrag lehnt den Einkauf ausdrücklich
       ab. (mit dpa)
       
       11 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gruene-diskutieren-Ruestungsexporte/!5769944
   DIR [2] /Debatte-ueber-hoehere-Benzinpreise/!5771701
   DIR [3] /Lebenslauf-von-Annalena-Baerbock/!5773040
   DIR [4] /Debatte-ueber-Lebenslaeufe/!5773269
   DIR [5] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/kanzlerkandidatin-annalena-baerbock-das-war-s-a-69dfbcc1-a2c9-4a67-8c0a-89f1f4571f95
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jasmin Kalarickal
       
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