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       # taz.de -- Ausbau des Nahverkehrs im Norden: Verkehrswende ausgebremst
       
       > Mehr Bahnstrecken in Schleswig-Holstein sollen die Mobilitätswende
       > vorantreiben. Aber Geesthacht wartet trotzdem weiter auf einen
       > Schienenanschluss.
       
   IMG Bild: Überwuchert: die alten Gleise am Geesthachter Bahn-Wasserturm
       
       Rendsburg taz | Im [1][„Landesweiten Nahverkehrsplan“] beschreibt das
       Kieler Wirtschafts- und Verkehrsministerium, wie die Mobilitätswende
       klappen soll. Der Plan sei eine „wichtige Weichenstellung für den
       Bahnverkehr“, kalauerte das Ministerium in einer Pressemitteilung. Der
       Fahrgastverband Pro Bahn und der Verkehrsclub Deutschland sind skeptisch,
       und in Geesthacht regt sich Unmut: Die Stadt mit über 30.000
       Einwohner*innen wartet vergeblich auf eine Anbindung ans Schienennetz.
       
       „Geesthacht ist derzeit die größte Stadt Schleswig-Holsteins ohne
       Bahnanschluss. Eine reaktivierte Schienenstrecke nach Geesthacht würde mit
       über 7.000 Fahrgästen pro Tag sofort zu einer der am stärksten genutzten
       Strecken Schleswig-Holsteins werden“, sagte der Fraktionsvorsitzende der
       Grünen im Geesthachter Rathaus, Ali Demirhan. Er verweist auf ein
       [2][Gutachten zur „Optimierung des Schienenverkehrs“], das im März im
       Verkehrsausschuss des Kieler Landtags beraten wurde. Dort wird die
       Anbindung von Geesthacht nach Hamburg-Bergedorf empfohlen – im fertigen
       Nahverkehrsplan hat sie aber keine Priorität erhalten.
       
       Geld gibt es dafür für vergleichsweise kleine Projekte wie die 2,8
       Kilometer lange Verbindung von der Kleinstadt Kellinghusen ins noch
       kleinere Wrist, durch das eine Bahntrasse führt. Die Reaktivierung der
       Strecke, die früher von Wrist in die Kreisstadt Itzehoe führte, soll unter
       anderem Pendler*innen nach Hamburg das Bahnfahren schmackhaft machen und
       den heute oft überfüllten Park+Ride-Platz in Wrist entlasten. „Ein
       hocheffizientes Projekt, das mit geringem Mehraufwand größere
       Kundenpotenziale erschließen kann“, so die Hoffnung des Nahverkehrsplans.
       
       Das Projekt sollte laut einem Gutachten im Jahr 2012 rund 6,5 Millionen
       Euro kosten. Inzwischen geht es um rund 15 Millionen Euro, von denen 13,5
       Millionen der Bund zahlt. Erreicht werden damit laut Prognosen nur einige
       Hundert Fahrgäste am Tag.
       
       Helene Wahl, Mitglied im Landesvorstand des Verkehrsclubs Deutschland
       (VCD), will keine Strecken gegeneinander aufwiegen: „Aus unserer Sicht ist
       jede Maßnahme wichtig.“ Aber eben das sei das Problem: „Wenn man bis 2035
       die Verkehrswende erreicht haben will, um den Klimawandel zu stoppen und
       das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, bräuchte es jede dieser Maßnahmen sofort.“
       Es müsste „vom Klima her gedacht werden, nicht von der Finanzierung her“.
       
       Ähnlich sieht es Karl-Peter Naumann, Sprecher von „Pro Bahn“ in
       Schleswig-Holstein: „Es stehen ja gute Sachen in dem Plan drin, aber damit
       erreicht man keine Verkehrswende.“ Es fehle der große Wurf, die
       ambitionierte Idee. „Statt Neubauten werden vorhandene Strukturen
       fortgeschrieben. Und immer noch wird auf das Auto gesetzt.“ Er hielte es
       für sinnvoll, viele kleinere Strecken im Flächenland auszubauen: „So
       erreicht man unterm Strich mehr Menschen.“
       
       ## Ehrgeizig reicht nicht
       
       Bis 2027 will das Land unter anderem 20 Prozent mehr Passagier*innen
       als im Vor-Corona-Jahr 2019 in die Züge bringen, die dann ausschließlich
       mit grünem Strom aus Schleswig-Holstein fahren sollen, und alle Stationen
       barrierefrei gestalten. Es soll mehr Werkstattkapazitäten und
       Fahrzeugreserven geben, um bei einem Ausfall Züge schneller wieder aufs
       Gleis zu bringen.
       
       Zu den Großprojekten gehören der Ausbau der S4, die ab 2029 Bad Oldesloe
       mit Hamburg verbinden und ab 2030 in westlicher Richtung verlängert werden
       soll. Allein für das Projekt „S4 West“, die dann von Hamburg-Altona nach
       Elmshorn fahren soll, sind 500 Millionen Euro veranschlagt, von denen das
       Land 125 Millionen tragen muss. „Ehrgeizige Ziele“, lobt Buchholz den
       eigenen Plan.
       
       Eben nicht, findet Helene Wahl: „Angesichts des engen Zeithorizonts reicht
       es nicht, wenn sich die Politik auf die Schultern klopft, wenn einige
       Strecken erneuert oder neu eröffnet werden.“ Denn selbst wenn die
       Baumaßnahmen alle fristgemäß klappten, „braucht es auch Zeit, die Menschen
       davon zu überzeugen, vom Auto in die Bahn umzusteigen“.
       
       Dass die Menschen in Geesthacht schnell ihren Bahnanschluss bekommen,
       bezweifeln beide Bahnexpert*innen: „Von einer Verbindung nach
       Hamburg-Bergedorf würden nur die profitieren, die dorthin zum Arbeiten oder
       Einkaufen wollen“, sagt Naumann. „Wichtiger wäre eine Verbindung nach
       Hamburg-Hauptbahnhof. Aber das ist schwierig.“ Wie schwierig, beschreibt
       der Nahverkehrsplan: So müsste in Hamburg eine „Neubautrasse im
       Straßenraum“ gebaut und im Hauptbahnhof Platz geschaffen werden. Der
       Zeithorizont der Umsetzung sei „offen“, die Finanzierung nicht gesichert.
       Immerhin liegen noch Gleise zwischen Geesthacht und Bergedorf. Auf ihnen
       fährt [3][manchmal am Wochenende die Dampflok „Karoline“].
       
       Ab Juli beginnt das Beteiligungsverfahren über den Plan, im Oktober soll er
       vom Kabinett beschlossen und dem Landtag vorgelegt werden.
       
       28 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://unternehmen.nah.sh/assets/2021/LNVP_18_06_21.pdf
   DIR [2] http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl19/umdrucke/05500/umdruck-19-05543.pdf
   DIR [3] https://www.herzogtum-lauenburg.de/a-museumseisenbahn-karoline
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Esther Geißlinger
       
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