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       # taz.de -- Tschechien im EM-Viertelfinale: Das erste große Märchen
       
       > Die Tschechen spielen sich bei der Männer-EM in einen Rausch und werfen
       > die Niederlande mit 2:0 raus. Deren Auftritt ist rätselhaft blutleer.
       
   IMG Bild: Völlig losgelöst von der Erde: Tschechiens Torschütze Tomáš Holeš
       
       Budapest taz | Als die Tschechen nach dem Abpfiff überwältigt ihre
       Ehrenrunde durchs Stadion zogen, als die Fans Welle um Welle ins Rund
       schickten, da spendeten selbst die niederländischen AnhängerInnen Beifall.
       Sie müssen gewusst haben, dass sie hier die erste ganz große
       Heldengeschichte der EM sahen, jene Art von Underdog-Märchen, für die sie
       vielleicht einst selbst Fans geworden sind.
       
       Als ein Niemand waren die Tschechen in dieses Achtelfinale in Budapest
       gegangen, wahrlich hat keiner außer ihnen an die Überraschung geglaubt. Als
       Viertelfinalisten gingen sie mit 2:0-Sieg vom Platz, keineswegs unverdient.
       Das Team von Jaroslav Šilhavý hat die Niederländer zuerst niedergekämpft,
       dann niedergespielt, mit jeder Minute sicherer und schöner. „Das ist das
       Größte, wenn der Gegner klatscht“, sagte Šilhavý nach dem Spiel. „Wir
       hatten Gänsehaut.“
       
       Dabei schien die Partie wirklich nicht gedacht für tschechische
       Gänsehautmomente. Neben den [1][Streitereien um die Regenbogenfahnen] –
       unfassbar waren diese vom ungarischen Personal nicht zugelassen worden,
       während Werbebanden in LGBT-Farben erstrahlten – schien das Spiel
       nebensächlich und klar. Die Niederländer hatten alle drei Vorrundenpartien
       gewonnen, die Tschechen bestenfalls unauffällig gespielt. Bei Oranje selbst
       aber herrschte schon vorab eine seltsame Stimmung.
       
       Der wenig charismatische Bondscoach Frank de Boer und das [2][mittlerweile
       zur Staatsaffäre ausgewachsene 5-3-2] standen in stetiger Kritik, gepaart
       mit unverhohlener Selbstgewissheit. Die Zeitung de Volkskrant schrieb von
       einem „roten Teppich bis ins Halbfinale“, de Boer erklärte den Sieg im
       EM-Finale zum Ziel. Und offenbar gibt es noch einen Fußballgott, der solch
       aufreizende Selbstgefälligkeit straft.
       
       ## Die Tschechen wollten den Sieg mehr
       
       Die Niederländer starteten zunächst gut und kamen vor rund 10.000
       mitgereisten Oranje-Fans mit steilen Kombinationen vor allem über den
       zuletzt kritisierten Memphis Depay vors Tor. Doch die Tschechen hatten das
       Herz und den Schneid. Hinten stabil, kamen sie über Ševčík, Barák und den
       Leverkusener Schick immer wieder gefährlich vors Tor; gewiss, die etwas
       groben Flanken sahen nicht so elegant aus wie das Spiel der Niederländer,
       aber erfüllten ihren Zweck. Warum die Oranje-Abwehr den Gegner so frei
       gewähren ließ, bleibt ihr Geheimnis.
       
       Als glaubten sie selbst daran, dass diese Tschechen nicht dribbeln können.
       Diese spielten sich allmählich in einen Rausch. Langsam machte sich ein
       Gefühl breit: Die Tschechen wollten es mehr. Und mit jeder Minute wuchsen
       das Selbstbewusstsein der einen und die Zweifel der anderen. Manchmal gibt
       es genau einen Moment, an dem ein Spiel kippt.
       
       ## Spiel seines Lebens für Spätberufenen
       
       In der 51. Minute vergab Malen nach großem Sololauf gegen Keeper Tomáš
       Vaclík, im Anschluss flog Matthijs de Ligt völlig unnötig vom Platz, weil
       er als letzter Mann den Ball mit der Hand wegschaufelte. Nach dem Spiel
       wollte de Boer bis dahin eine überzeugende Partie seiner Mannen gesehen
       haben. „Wir waren dominant. Dann steht von einer Minute auf die andere die
       Welt Kopf.“ Ganz so war es nicht.
       
       Das Spiel seines Lebens machte derweil ein Spätberufener: der 28-jährige
       Defensivmann Tomáš Holeš von Slavia Prag. Im Ausland hat er nie gespielt,
       erst 2020 wurde er Nationalspieler. Holeš, der die Sonderaufgabe bekam, den
       niederländischen Spielmacher Georgino Wijnaldum aus dem Spiel zu nehmen,
       hatte gewaltigen Anteil an der Verzweiflung der Niederländer. Und nach
       einem Freistoß von Barák (68.) stand dieser Tomáš Holeš erneut richtig und
       nickte zur 1:0-Führung ein. Als er später schon unter Krämpfen litt, wie
       der Coach zu berichten wusste, setzte Holeš noch einmal zum Sprint über das
       halbe Feld an und legte wunderbar für Schick auf, der mit dem 2:0 sein
       viertes Turniertor erzielte (80.).
       
       ## „Alle ein großes Hangover“
       
       „Er hat 110 Prozent performt“, adelte Šilhavý. Rätselhaft blutleer dagegen
       blieb der Auftritt der Niederländer. „Wir haben alle ein großes Hangover“,
       sagte Frank de Boer, der einen Rücktritt nicht ausschloss. Die Tschechen
       glauben vor dem Viertelfinale gegen Dänemark ans nächste Wunder. Auch wenn
       [3][nach dem Drama um Christian Eriksen] die Dänen das Heldenmoment auf
       ihrer Seite haben.
       
       28 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Schwermer
       
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