URI: 
       # taz.de -- Porträt einer Shoa-Überlebenden übermalt: Angriff auf die Erinnerung
       
       > Unbekannte übermalen in Jerusalem ein Foto der Hamburgerin Peggy Parnass.
       > Die Menschen hinter der Ausstellung vermuten religiöse Motive.
       
   IMG Bild: Angriff mit goldenem Lack: Axel Martensʼ Peggy-Parnass-Doppelporträt in Jerusalem
       
       Hamburg taz | „Eine fotografische Ehrung der letzten Holocaust-Überlebenden
       unter uns“: Mit diesem Anspruch hat das israelisch-US-amerikanische
       Fotograf_innenpaar Rina Castelnuovo und Jim Hollander 2019 das [1][„Lonka
       Project“] ins Leben gerufen. Den Namen stiftete Castelnuovos Mutter,
       Eleonora „Lonka“ Nass (1926–2018): Sie hat Aufenthalte in insgesamt fünf
       Konzentrationslagern überlebt und repräsentiere, so schrieben die
       Projektverantwortlichen, „die Lebenskraft der Holocaust-Überlebenden“.
       
       ## „Einzigartige Porträts“
       
       Mehr als 250 Fotograf_innen aus über 20 Ländern haben sich inzwischen mit
       Porträts beteiligt, gerne werden die Porträtierten zu Hause gezeigt, in
       einer ihnen vertrauten Umgebung also. Erstmals präsentiert wurden diese
       „einzigartigen und unvergesslichen Statements“ Anfang 2020 zum 75.
       Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz.
       
       Seither sind in diesem Rahmen entstandene Fotos vielfach ausgestellt
       worden, so ist im Berliner Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale der SPD,
       am 27. Juni gerade [2][ein „Lonka“-Gastspiel] zu Ende gegangen. Unter den
       Gezeigten war dort auch [3][Peggy Parnass], geboren 1927 in Hamburg, wo sie
       heute wieder lebt.
       
       Ihr Bild, fotografiert von Axel Martens, ist wiederum in Jerusalem gerade
       das Opfer von Verunstaltung geworden – zum inzwischen dritten Mal. Umsonst
       und draußen, auf dem Safra-Platz gleich neben dem Jerusalemer Rathaus, sind
       [4][seit April – und geplant noch bis August] – 60 Fotos des „Lonka
       Project“ zu sehen, auch Martens’ drei Meter hohes Doppelportät der
       Schauspielerin, Publizistin und langjährigen Gerichtsreporterin.
       
       Wie [5][am Montag das Nachrichtenportal Times of Israel berichtete], haben
       Unbekannte Parnass’ Gesicht mit goldener Farbe übersprüht. Nicht frei von
       Ironie kommentierten schrieben die „Lonka“-Macher_innen selbst, die
       ausgestellten Fotos seien glücklicherweise mit Plastik überzogen: „Das
       trägt bei zu Textur und Farbreichtum der Reproduktion, aber auch zu ihrer
       Halt- und Waschbarkeit. In diesem Fall reichten Verdünnung,
       Papierhandtücher und reichlich Muskelkraft, die Farbe zu beseitigen.“
       
       [6][Es folgt in dem Statement] die Hoffnung, der oder die Übeltäter_innen
       mögen nicht für ein viertes Mal wiederkommen – allerdings ohne weitere
       Mutmaßungen, wer hinter den Aktionen stecken könnte. Demgegenüber hatte
       Times of Israel noch den Halbsatz zitiert, wahrscheinlich sei eine
       Beteiligung „ultra-orthodoxer Jugendlicher aus der direkten Nachbarschaft“.
       
       ## Viertel in besonderer Lage
       
       Das ist plausibel aus zwei Gründen: Das umgebende Viertel Morasha –
       Arabisch „Musrara“ – trennt strenger orthodox geprägte Quartiere im Norden
       von eher säkularen im Süden. Rathaus und Safra-Platz liegen überhaupt auf
       der historischen Grenze zwischen West- und Ost-Jerusalem – und auf
       letzteren, historisch arabisch geprägten Teil der Stadt richten sich in
       diesen Tagen verstärkt die Begehrlichkeiten einiger radikaler jüdischer
       Siedler_innenfraktionen.
       
       Und dass weiten Teilen des streng orthodoxen Spektrums die Darstellung von
       Frauen in der Öffentlichkeit als anstößig erscheint, dafür gibt es
       reichlich Belege: Der Möbelhersteller Ikea etwa legte vor einigen Jahren
       eine Fassung seines beliebten Katalogs für Haredim vor – aus der
       [7][sämtliche Frauen getilgt] waren. Medien des haredischen Spektrums
       [8][verpixeln regelmäßig etwa Ministerinnengesichter].
       
       2017 verpixelte das reichweitenstarke streng orthodoxe Medium Mishpacha
       alle Frauen – ausgerechnet auf einem Bild, [9][das Überlebende des
       Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau zeigte]. Und nachdem Haredi
       Wahlplakate von Rachel Azaria verunstaltet hatten, konterte die Jerusalemer
       Bürgermeisterinnenkandidatin, indem sie 2019 dafür sorgte, dass Poster mit
       Frauengesichtern [10][auf die Busse in der Stadt kamen].
       
       Times of Israel zitiert jetzt die Frauenrechtsorganisation [11][Israel
       Women’s Netwo]rk: mit den Worten, die Sache mit Parnass und dem Goldlack
       sei „schockierend, aber nicht überraschend“: Frauen-Bilder im öffentlichen
       Raum werden demnach täglich im ganzen Land zerstört. Das Jerusalemer
       Rathaus hat angekündigt, es werde erhöhte Sicherheitsmaßnahmen für die
       „Lonka“-Ausstellung prüfen.
       
       29 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.thelonkaproject.com/about
   DIR [2] https://www.fkwbh.de/ausstellung/das-lonka-projekt
   DIR [3] /Peggy-Parnass-ueber-ihr-Leben/!5620924
   DIR [4] https://www.jerusalem.muni.il/en/events-and-culture/allevents/lonka-project-exhibition-in-safra-square/
   DIR [5] https://www.timesofisrael.com/female-holocaust-survivors-portrait-defaced-for-3rd-time-at-jerusalem-exhibit/
   DIR [6] https://www.thelonkaproject.com/updates
   DIR [7] /Ikea-Katalog-fuer-Orthodoxe-in-Israel/!5386708
   DIR [8] https://www.haaretz.com/israel-news/.premium-ultra-orthodox-news-site-blurs-female-labor-leader-in-photo-of-incoming-cabinet-1.9884558
   DIR [9] https://www.haaretz.com/israel-news/haredi-newspaper-censors-photos-of-women-holocaust-survivors-1.5770715
   DIR [10] https://www.timesofisrael.com/feminist-campaign-hits-jerusalem-buses-to-compensate-for-defaced-mayoral-posters/
   DIR [11] https://iwn.org.il/english/about-the-israel-womens-network/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Diehl
       
       ## TAGS
       
   DIR Jerusalem
   DIR Israel
   DIR Hamburg
   DIR Shoa
   DIR Gedenken
   DIR Fotografie
   DIR Hamburg
   DIR Konkret
   DIR Judentum
   DIR Schwerpunkt Nationalsozialismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Nachruf auf Peggy Parnass: Eine herzensgrantige Botschafterin des anderen Hamburg
       
       Kompromisslose Antifaschistin und Ikone der linken Szenen: Die Publizistin
       und Schauspielerin Peggy Parnass ist mit 97 Jahren gestorben.
       
   DIR Portrait zum Geburtstag: Peggy Parnass wird 90
       
       Peggy Parnass ist Schauspielerin, Gerichtsreporterin und eine Ikone der
       linken Boheme. Nun feiert die glamouröse Mahnerin ihren 90. Geburtstag.
       
   DIR Ikea-Katalog für Orthodoxe in Israel: Da fehlt doch jemand
       
       Die israelische Ikea-Filiale hat einen eigenen Katalog für ihre orthodoxe
       Kundschaft herausgebracht. Darin ist jedoch keine einzige Frau abgebildet.
       
   DIR Autorin Peggy Parnass über NS-Prozesse: „Der Hass ist geblieben“
       
       Vor 50 Jahren endete der erste Auschwitz-Prozess, im Juli der wohl letzte.
       Peggy Parnass, deren Eltern im KZ ermordet worden, ist wütend, dass es nur
       so wenige gab.