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       # taz.de -- Schleppende Impfkampagne in Berlin: Nach dem Sommer kommt das Delta
       
       > Die Impfkampagne stockt, warnt der Chef des Berliner Hausärzteverbands.
       > Dabei müsse man jetzt schneller werden, um eine vierte Welle zu
       > verhindern.
       
   IMG Bild: Wer will noch Astrazeneca, denn viele haben noch nicht: Blick ins Impfzentrum Messe Berlin
       
       Berlin taz | Angesichts der rasch steigenden Infektionszahlen mit der
       Delta-Variante des Coronavirus werden auch in Berlin die Rufe lauter, sich
       bereits jetzt für eine mögliche vierte Welle im Herbst zu wappnen. Die
       momentan niedrigen Inzidenzen – in Berlin lag der 7-Tage-Wert am Dienstag
       bei 5,9 – sei trügerisch, warnt etwa der [1][Vorsitzende des Berliner
       Hausärzteverbands, Wolfgang Kreischer]. „Wir fahren in diesem Sommer wieder
       nur auf Sicht, dabei ist klar, dass die Variante sehr schnell hier sein
       kann“, sagte er der taz.
       
       Problematisch sei dabei vor allem, dass die Impfkampagne langsam ins
       Stocken gerate. „Da ist eine gewisse Impfmüdigkeit“, konstatiert der
       Hausarzt mit eigener Praxis in Zehlendorf. Nachdem im Juni, als die
       Priorisierung aufgehoben wurde, der Andrang zunächst groß war, kämen nun
       viele nicht zum vereinbarten Termin. In seiner Praxis fänden etwa 20
       Prozent von 100 bis 120 gebuchten Impfterminen pro Woche nicht statt, sagt
       Kreischer.
       
       „Viele sagen, sie wollen erst mal abwarten“, sagt der Mediziner. „Offenbar
       fällt es gerade schwer, [2][die Gefahr angesichts der niedrigen Inzidenz]
       ernst zu nehmen.“
       
       Das könnte ein Trugschluss sein, wie der Blick über den Berliner Tellerrand
       hinaus zeigt. In [3][Großbritannien] etwa, wo der Anteil der als besonders
       ansteckend geltenden Delta-Variante 90 Prozent ausmacht, steigen die
       Infektionszahlen seit einigen Tagen wieder massiv – und es kommen auch
       wieder mehr Menschen mit schwereren Verläufen in den Krankenhäusern an. Und
       das, obwohl bereits rund 60 Prozent der BritInnen zweimal geimpft sind. Zum
       Vergleich: In Berlin haben laut Daten der Gesundheitsverwaltung erst 33,8
       Prozent der BerlinerInnen den vollen Impfschutz. 53,8 Prozent haben
       wenigstens eine Impfung erhalten.
       
       ## Drei Prozent Delta in Berlin
       
       Zwar ist der Anteil der Delta-Variante in Berlin noch relativ gering: Laut
       Robert Koch-Institut lag er zuletzt bei drei Prozent. Allerdings sind die
       Daten relativ alt, von Mitte Juni. Der Bericht erscheint wochenweise, man
       erwarte die aktuellen Zahlen für den heutigen Mittwochabend, heißt es aus
       der Pressestelle des RKI. Mit Nachmeldungen sei überdies grundsätzlich „zu
       rechnen“.
       
       RKI-Chef Lothar Wieler warnte am Montagabend auf der
       Gesundheitsministerkonferenz der Länder zudem, dass die Delta-Variante
       bundesweit bereits mindestens 36 Prozent der Neuinfektionen ausmache –
       vermutlich sogar, mit Blick auf die jetzt erwarteten frischen Zahlen, sogar
       noch höher liege.
       
       In den Berliner Impfzentren entwickelt sich der Wirkstoff von AstraZeneca
       derweil weiter zum Ladenhüter: „Die angebotenen Termine mit diesem
       Impfstoff werden leider nicht so gut wahrgenommen“, sagt Regina Kneiding,
       Sprecherin des DRK Berlin, das die sechs Berliner Impfzentren koordiniert.
       Tatsächlich konnte man am Dienstagvormittag im Impfzentrum Messe Berlin, wo
       AstraZeneca verimpft wird, kurzfristig Termine bereits für den
       Mittwochmorgen bekommen.
       
       Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt den Impfstoff nur für
       Menschen ab 60 Jahre, alle anderen können sich auf eigenes Risiko mit
       AstraZeneca impfen lassen.
       
       Bei den Terminen mit Biontech sehe es anders aus: „Da verimpfen wir quasi
       alles, was wir haben, und könnten auch noch mehr tun, wenn mehr Impfstoff
       da wäre“, sagt Kneiding der taz.
       
       Das bestätigt auch Hausarzt Kreischer: „Wir brauchen [4][mehr Biontech in
       den Praxen].“ Teilweise bekomme er pro Woche nur eine Dose mit sechs
       Impfungen für die Erstimpfungen, das sei zu wenig – zumal auch bei ihm
       AstraZeneca sehr wenig nachgefragt sei.
       
       Angesichts der schleppenden Impfkampagne und der Gefahr durch die
       Delta-Variante wird auch die Diskussion über eine Impfempfehlung für
       Jugendliche wieder drängender: „Die Stiko ist da vielleicht bisher etwas
       übervorsichtig“, sagt Hausärzteverbandschef Kreischer. Die Impfkommission
       empfiehlt den Biontech-Wirkstoff bisher nur für Jugendliche ab 12 Jahren,
       die Risikogruppe sind. Eltern kämen bisher mit ihren Teenagern auch nur „in
       Einzelfällen“ zum Impfen in seine Praxis.
       
       Deutlicher als der Hausärzteverband wurde Wirtschaftssenatorin Ramona Pop
       (Grüne): „Die Ständige Impfkommission muss überdenken, ob sie nicht
       aufgrund der Delta-Variante eine [5][Impfempfehlung für Jugendliche]
       ausspricht“, sagte sie am Dienstag. Man dürfe nach den Sommerferien nicht
       wieder die Schulen schließen, damit „Erwachsene entspannt Pizza essen gehen
       können“.
       
       In Nordrhein-Westfalen fordert eine Elterninitiative angesichts der bereits
       wieder aufkommenden Diskussion über möglicherweise erneutes Homeschooling
       im Herbst die unbürokratische Anschaffung von Luftfiltergeräten für alle
       Schulen. Auch in Berlin erfolgt die Ausstattung bisher nur bedarfsbezogen
       über Abfragen in den Schulen.
       
       Insgesamt will das Land Berlin bis zum neuen Schuljahr rund 8.000
       Luftfiltergeräte für 14,6 Millionen Euro anschaffen – das bleibe allerdings
       nur eine „flankierende Maßnahme“, hatte Bildungssenatorin Sandra Scheeres
       (SPD) betont: Man setze weiterhin aufs Lüften. Dabei werden es auch
       bleiben, trotz der Dynamik der Delta-Variante, hieß es am Dienstag auf
       Nachfrage aus der Bildungsverwaltung. Das „Lüftungsmanagement“ sei „das
       Mittel der Wahl zur bestmöglichen Reduzierung virushaltiger Aerosole“, so
       ein Sprecher. Dieses Konzept werde man in den Sommerferien nicht nochmal in
       Frage stellen.
       
       Im übrigen habe Berlin „im Vergleich mit anderen Bundesländern recht viele
       Luftreinigungsgeräte angeschafft“, betonte der Sprecher weiter. Und „bis
       auf eine kleine Restmenge“ seien die Geräte auch bereits an die Schulen
       ausgeliefert worden.
       
       Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) will indes die Berliner
       Impfzentren Ende September nicht schließen, sondern den Betrieb lediglich
       herunterfahren. Das hatte tags zuvor auch die Gesundheitsministerkonferenz
       beschlossen. Angesichts einer im Herbst möglicherweise nötigen dritten
       Impfung sei es aber wichtig, die Kapazitäten auch schnell wieder hochfahren
       zu können, betonte Kalayci.
       
       Auch Hausarzt Kreischer sagt: „Wir müssen schon jetzt an eine dritte
       Impfung im Herbst denken.“ Angesichts einer besseren Schutzwirkung gegen
       die Delta-Variante mache es dann Sinn, zuvor mit Biontech Geimpfte zum
       Beispiel mit AstraZeneca zu impfen. Das dürfte allerdings noch mal eine
       Kommunikationsaufgabe für sich werden.
       
       30 Jun 2021
       
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