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       # taz.de -- Nichts zu feiern im Pride Month: Weiterkämpfen und Erinnern
       
       > Während sich das Land in Regenbogenflaggen hüllt, trage ich schwarz. Ich
       > denke an alle trans oder queeren Menschen, die gestorben sind.
       
   IMG Bild: Gedenkveranstaltung für LGBTI-Aktivistin Sara Hegazi am 19. Juni 2020 in Amsterdam
       
       Am Wochenende erfuhr ich über Instagram, dass ein_e Genoss_in aus der UK
       von uns gegangen ist. Unsere gemeinsamen Freund_innen erinnerten an
       seine_ihre unermüdliche Arbeit und den klugen Humor, teilten Anekdoten und
       alte Fotos. Es war nicht das erste Mal, dass ich über Soziale Medien vom
       Tod einer Person aus meiner Community erfuhr. Auch nicht, dass geografische
       oder soziale Entfernung das Ableben so abstrakt machen.
       
       Ambiguous Loss lautet der Begriff für einen Verlust, dessen Trauerprozess
       manchmal nie vollständig durchlaufen werden kann, weil es … komplizierter
       ist. Zum Beispiel Fehlgeburten, der Tod von Ex-Liebschaften, der Verlust
       von Gedächtnis, dem Wohnort. In Coronazeiten haben viele Leute das Phänomen
       selbst erfahren, ich habe im [1][Podcast „Feuer & Brot“] davon zum ersten
       Mal gehört: Endlich ein Wort für etwas, das u.a. der queeren Community so
       häufig widerfährt. Trauern in Distanz war für uns bereits vor der Pandemie
       nichts Ungewöhnliches, doch egal wie oft wir es eingeübt haben, jeder
       Verlust hinterlässt einen eigenen Schmerz.
       
       Ich erinnere mich seit ich queer lebe an kein Jahr, in dem nicht eine trans
       oder queere Person, die ich kannte oder die in meiner Community war,
       gestorben ist. Meistens waren es trans Personen of Color, oft durch einen
       Suizid. Ich denke oft an sie. Am Trans Day of Remembrance. Am Trans Day of
       Visibility. Während des Pride Monats.
       
       ## Ich denke auch an die, die überlebt haben
       
       Jedes Mal, wenn ich mein Bücherregal scanne und gewisse Titel
       hervorstechen. Oder wenn Facebook mich an ältere Beiträge erinnert, in
       denen die Person noch lebte und wir uns gegenseitig YouTube-Links auf die
       Pinnwand posteten oder auf Gruppenbildern Grimassen schnitten. Ein
       Gruppenbild aus 2015 taucht jeden Sommer auf meiner Timeline auf. Es sind
       zu viele Menschen darauf, um sie abzuzählen. Mindestens zwei von ihnen
       haben sich mittlerweile von uns verabschiedet.
       
       Pride-Monat Juni heißt für mich in erste Linie Weiterkämpfen und Erinnern.
       [2][An die ägyptische LGBTI-Aktivistin Sarah Hegazi] etwa, die am 14. Juni
       2020 ihrem Leben ein Ende setzte. [3][Der Anschlag im queeren Club Pulse]
       in Orlando war am 12. Juni fünf Jahre her. Doch nicht nur die queere
       Community ist in saisonaler Trauer, diesen Monat jähren sich die NSU-Morde
       an İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Abdurrahim Özüdoğru und Süleyman
       Taşköprü.
       
       Ich denke aber auch an Queers, die überlebt haben. Polizeigewalt. HIV.
       §175. Die Trump-Ära. Und überleben: das TSG. Rechten (Psycho-)Terror.
       
       Unsägliche Gendersterndebatten und Pride-Washing verdränge ich. Während
       reaktionäre Deutsche Menschen wie mich aus ihrer Sprache auslöschen wollen,
       existiere ich einfach trotzdem weiter. Während Brands und Konzerne ihre
       Logos in Regenbogenflaggen einfärben, trage ich schwarz und denke an unsere
       Unfähigkeit, Strukturen zu schaffen, die unsere Geschwister länger am Leben
       halten. Vielleicht ist das in einer marginalisierten Community so schwer,
       dass der Ambiguous Loss als Dauerzustand leichter zu ertragen ist.
       
       17 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://feuerundbrot.de/folgen/ambiguousloss
   DIR [2] /Zum-Tod-von-Sarah-Hegazi/!5689789
   DIR [3] /Nach-dem-Terror-von-Orlando/!5310951
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hengameh Yaghoobifarah
       
       ## TAGS
       
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