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       # taz.de -- Gipfeltreffen Biden und Putin: Erste Annäherungen in Genf
       
       > Beim ersten Treffen zwischen US-Präsident Joe Biden und Russlands
       > Präsident Wladimir Putin wurde mehr vereinbart, als zuvor erwartet worden
       > war.
       
   IMG Bild: Sprachen über zwei Stunden unter vier Augen: Joe Biden und Wladimir Putin
       
       Genf taz | US-Präsident Joe Biden und sein russischer Amtskollege Wladimir
       Putin haben bei ihrem Gipfeltreffen am Mittwoch zumindest einige
       Grundvoraussetzungen für eine künftig vielleicht wieder verbesserte
       [1][Beziehung zwischen den USA und Russland] geschaffen. Dreieinhalb
       Stunden lang führten beide intensive Gespräche – davon über zwei Stunden
       unter vier Augen und Ohren.
       
       Die kurzfristig konkreteste Maßnahme ist die von Putin angekündigte
       Rückkehr des US-Botschafters nach Moskau sowie seines russischen
       Amtskollegen nach Washington. Die beiden Diplomaten waren im Februar nach
       Bidens „Killer“-Vorwurf an Putin und der Verhängung gegenseitiger
       Sanktionen abgezogen beziehungsweise ausgewiesen worden.
       
       Mittel- bis längerfristig zu verbesserten Beziehungen beitragen könnten die
       von den beiden Präsidenten vereinbarten gemeinsamen Arbeitsgruppen zur
       Bearbeitung und – hoffentlich – Überwindung zentraler Konfliktpunkte.
       Mitarbeiter:innen der beiden Außenministerien sowie Militärs sollen
       sich über künftige Verhandlungen zur atomaren Rüstungskontrolle
       verständigen sowie über Maßnahmen zur Cybersicherheit, um Cyberwar und
       [2][Hackerattacken] zumindest durch Vereinbarungen einzugrenzen.
       
       Dazu präsentierte Biden dem russischen Präsidenten nach eigener Darstellung
       gestern „eine Liste mit 16 besonders sensiblen Infrastruktureinrichtungen,
       die künftig grundsätzlich tabu sein sollten für Cyberangriffe“, darunter
       etwa Wasser- und Stromleitungen oder Atomkraftwerke.
       
       ## Arbeitsgruppen auf Ministeriumsebene
       
       Putin sprach sich in seiner Pressekonferenz zwar auch grundsätzlich für
       Vereinbarungen zur Cybersicherheit aus, ging auf Bidens Liste aber nicht
       ein. Stattdessen widersprach er ausführlich allen westlichen Vorwürfen zu
       von russischem Territorium ausgehenden Cyberangriffen und Hackerattacken
       und siedelte deren Ursprung und Ausgangspunkte stattdessen „hauptsächlich
       in den USA sowie in Großbritannien und einigen lateinamerikanischen
       Ländern“ an.
       
       Eine vereinbarte Arbeitsgruppe zwischen den Außenministerien in Moskau und
       Washington soll sich auch um die Freilassung inhaftierter Russen in den USA
       sowie US-Amerikanern in Russland kümmern. Das alles sind mehr konkrete
       Ergebnisse, als im Vorfeld des Gipfels erwartet worden war.
       
       Biden sprach von unterschiedlichen Zeiträumen zwischen drei, sechs oder
       zwölf Monaten, nach denen man überprüfen müsse, ob die gemeinsamen
       Arbeitsgruppen Ergebnisse erbracht haben, die zu der von seiner
       Administration angestrebten Wiederherstellung einer von Russland in den
       letzten Jahren angeblich verletzten „strategischen Stabilität“ führen.
       
       Was genau Biden mit diesem Begriff meint, erläuterte er nicht. Angesprochen
       auf diese Zielsetzung Washingtons erklärte Putin auf seiner
       Pressekonferenz, die „strategische Stabilität“ sei in den vergangenen 20
       Jahren in erster Linie von den USA gefährdet worden, angefangen mit der
       Aufkündigung des bilateralen Raketenabwehrvertrages ABM durch Präsident
       George W. Bush im Jahr 2002 bis hin zum Austritt der Trump-Administration
       aus dem INF-Mittelstreckenvertrag und dem Open-Skies-Abkommen über
       vertrauensbildende Maßnahmen im Luftraum.
       
       ## Beim Thema Menschenrechte bleiben größere Differenzen
       
       Beim Thema Ukrainekonflikt bekannten sich die beiden Präsidenten fast
       wortgleich dazu, den „mit dem Minsker Abkommen eingeschlagenen
       diplomatischen Weg zu einer Lösung“ weiter verfolgen zu wollen. Hinter
       dieser Sprachregelung verbergen sich allerdings weiterhin sehr
       unterschiedliche Vorstellungen.
       
       Biden betonte ausdrücklich die „Unverletzlichkeit der Grenzen der Ukraine“,
       ohne allerdings die Rückgabe der von Russland 2014 annektierten Krim zu
       fordern. Putin ging auf diese Frage überhaupt nicht ein, sondern
       kritisierte stattdessen, die USA und andere westliche Länder hätten 2014
       „den illegalen Sturz der Regierung in Kiew“ betrieben. Die Frage eines
       Beitritts der Ukraine zur Nato sei zwar angesprochen worden, aber darüber
       gäbe es „nichts weiter zu diskutieren“.
       
       Am schärfsten klangen die Gegensätze zwischen den beiden Präsidenten
       zumindest auf ihren getrennten Pressekonferenzen beim Themenkomplex
       Menschenrechte und innerstaatliche Opposition. Biden rügte den Umgang der
       Regierung Putin mit dem inhaftierten Kremlkritiker [3][Alexej Nawalny].
       Putin versuchte die Verurteilung und Inhaftierung damit zu rechtfertigen,
       dieser habe mit seiner Reise nach Deutschland eine Straftat begangen.
       
       Auf mehrfache Fragen der Journalist:innen nach der
       Menschenrechtssituation in Russland reagierte Putin unter anderem mit
       Hinweisen auf die Lage in den USA. Er verwies unter anderem darauf, dass
       dort im Januar 400 Anhänger von Biden-Vorgänger Donald Trump wegen einer
       „friedlichen Demonstration vor dem Kapitol verhaftet“ worden seien.
       
       ## Putin lobt Biden: „Konzentriert, erfahren, ausgewogen“
       
       Biden wies derartige Vergleiche als „lächerlich“ zurück. Er habe Putin zu
       verstehen gegeben, dass die USA Menschenrechtsverletzungen in Russland
       weiter anprangern würden. „Es geht nicht darum, Russland anzugreifen, wenn
       sie Menschenrechte verletzen.“ Es gehe darum, „demokratische Werte zu
       verteidigen“.
       
       Mehrfach pries Biden sich selbst und das amerikanische Volk als der
       weltweit führende Vorkämpfer für die universell gültigen
       Menschenrechtsnormen.
       
       Trotz aller sachlichen Kontroversen seien ihre Gespräche „konstruktiv
       verlaufen“, versicherten beide Präsidenten. Putin betonte, es habe
       „keinerlei Feindseligkeit“ gegeben. Biden und er hätten „eine gemeinsame
       Sprache“ gesprochen.
       
       Biden erklärte: „Der Ton des ganzen Treffens war gut, positiv. Es gab keine
       schrillen Aktionen. Wenn wir nicht gleicher Meinung waren, haben wir es
       gesagt, aber nicht in einer hitzigen Atmosphäre“. Auf Frage nach seinem
       [4][„Killer“-Vorwurf] an den russischen Präsidenten, versicherte Biden,
       Putin habe sich mit seinen Erklärungen zu dieser Äußerung „zufrieden
       gegeben“.
       
       Umgekehrt lobte der Kremlchef seinen zehn Jahre älteren Counterpart in
       Washington jetzt vor über 1.500 Journalist:innen aus aller Welt als
       „sehr konzentiert, erfahren, sehr ausgewogen, mit großen Qualitäten und
       moralischen Werten“. Sämtlich Eigenschaften, über der der einst von Putin
       geschätzte Biden-Vorgänger Donald Trump nicht verfügte.
       
       Für Befremden unter den über 1.500 Medienvertreter:innen aus aller
       Welt, die zum Gipfel nach Genf angereist waren, sorgten die
       unterschiedlichen Formate der beiden Pressekonferenzen: US-Präsident Biden
       erteilte auf seiner Pressekonferenz ausnahmslos Journalisten von US-Medien
       das Wort, deren Namensliste ihm vorlag. Diese Journalisten stellten ihm
       ausnahmslos Fragen zum von den USA und anderen westlichen Staaten
       kritisierten Verhalten Russlands und zu den Maßnahmen, mit denen die
       Biden-Administration darauf reagieren wolle. Putin hingegen musste bei
       seiner für alle Gipfelberichterstatter:innen offenen Pressekonferenz
       fast ausschließlich auf harte, kritische Fragen westlicher Journalisten zu
       seiner Politik reagieren.
       
       17 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Zumach
       
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