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       # taz.de -- Nachwahl in Großbritannien: Schlappe für die Tories
       
       > In „Chesham and Amersham“ erobern die LibDems einen Sitz im Unterhaus.
       > Das Ergebnis für Labour bedeutet ein historisches Tief.
       
   IMG Bild: Freuen sich über den Sieg: Sarah Green und die LiberaldemokratInnen
       
       London taz | Eine konservative Hochburg ist gefallen: Bei der Nachwahl für
       einen Unterhaus-Sitz im südenglischen Wahlkreis „Chesham and Amersham“
       haben [1][die Tories] eine deutliche Niederlage erlitten: Ihr Kandidat
       Peter Fleet kam auf 35,5 Prozent der Stimmen. Siegerin wurde die
       liberaldemokratische Kommunikations-und Marketingexpertin Sarah Green, die
       auf 56,7 Prozent kam.
       
       Die Labour-Partei von Keir Starmer, der die Partei nach ihren Absturz bei
       der Unterhauswahl 2019 wieder regierungstauglich machen will, brachte es
       gerade einmal auf 1,6 Prozent der Stimmen. Damit landete Labour sogar noch
       hinter den englischen Grünen (3,6 Prozent). Für [2][Labour sei das das
       schlechteste Resultat bei einer Nachwahl] überhaupt, sagte der britische
       Wahlexperte John Curtice. Die Nachwahl war notwendig geworden, weil die
       konservative Abgeordnete Cheryl Gillan einem Krebsleiden erlegen war.
       
       Der Wahlsieg hat verschiedene Ursachen. Die Mehrheit der Wählerl*innen
       des Wahlkreises „Chesham and Amersham“, der am Ende des Londoner
       S-Bahnbereichs liegt, war und ist gegen den Brexit. Auch scheint das
       Konzept der Konservativen Partei unter Regierungschef Boris Johnson nicht
       aufgegangen zu sein. Die Tories hatten mit ihrer Politik des „Levelling-Up“
       vor allen die „vergessenen“ Niedriglöhner*innen im postindustriellen und
       den Brexit befürwortenden Norden Englands ansprechen wollen, um so Labour
       Stimmen abzujagen. Im wohlhabenden Süden kommt das offenbar eher schlecht
       an.
       
       Zudem hatte sich Sarah Green als Verteidigerin der Interessen der Region in
       Szene gesetzt und war damit teilweise sogar auf Konfrontationskurs zu ihrer
       eigenen Partei gegangen. Nach wie vor ist sie eine Gegnerin des
       umstrittenen HS2-Höchstgeschwindigkeitsbahnnnetzes, dessen Bau bereits
       begonnen hat. Zwei nahezu gradlinige 16 Kilometer lange parallele Tunnel
       verlaufen unter dem Gebiet des Wahlkreises. Auch eine geplante Reform von
       Bebauungsplänen fand vor Ort nur wenig Anklang. Die Reform sieht vor, dass
       bestimmte Zonen in diesem grünen Wahlkreis in Bauland umgewandelt werden
       sollen.
       
       ## Mehrheit im Stadtparlament
       
       Der Sieg der Liberaldemokraten hatte sich bereits im Mai abgezeichnet. Bei
       den Regionalwahlen im Amersham gewannen die LibDems die Mehrheit im
       Stadtparlament. Vergleichbare Erfolge verbuchten die
       Liberaldemokrat*innen im Mai auch in anderen regionalen Wahlkreisen
       im Süden Englands – etwa den Grafschaften Wiltshire und Oxfordshire sowie
       im Wahlkreis Tunbridge Wells in der Region Kent.
       
       Der LibDem-Vorsitzende Ed Davey bezeichnete das Wahlergebnis als Schock und
       Beweis dafür, dass die blaue Mauer (blau ist die Farbe der Tories, Anm. d.
       Red.) fallen könne. Er war 16 Mal in den Wahlkreis gereist, um seine
       Kandidatin zu unterstützen. Demgegenüber behauptete der konservative
       Verlierer Peter Fleet, das Votum der Wähler*innen sei eine schallende
       Ohrfeige für Boris Johnson und dessen Partei.
       
       Die nächste Runde im politischen Kampf lässt nicht lange warten. Am 1. Juli
       findet im nordenglischen „Batley and Spen“ in der Grafschaft Yorkshire eine
       weitere Nachwahl statt.
       
       Das ist jener Wahlkreis, in dem vor fünf Jahren die Labourpolitikerin Jo
       Cox auf offener Straße von einem Rechtsradikalen ermordet worden war. Ihre
       Nachfolgerin, die ehemalige Schauspielerin Tracey Brabin, war im Mai nach
       ihrer Wahl zur Regionalbürgermeisterin von ihrem Amt zurückgetreten. Davon
       wollen die Konservativen, wie auch in anderen alten sogenannten Red
       Wall-Wahlkreisen im Norden, profitieren.
       
       Doch das dürfte schwierig werden. Als Kandidatin für Labour tritt keine
       geringere als Kim Leadbeater, an – die Schwester von Jo Cox. Laut einer
       Umfrage von Number Cruncher Politics UK am 28 Mai liegt die Zustimmung für
       die Tories bei 44 Prozent. Für die LibDems können sich nur sieben Prozent
       der Befragten erwärmen.
       
       18 Jun 2021
       
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