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       # taz.de -- Präsidentschaftswahl im Iran: Raisi vorzeitig zum Sieger erklärt
       
       > Der Hardliner Ebrahim Raisi wird künftig das Land regieren. Das Ergebnis
       > hatte sich lange vorher abgezeichnet, viele blieben der Wahl fern.
       
   IMG Bild: Hassan Rouhani (r.) und der neugewählte Präsident Ebrahim Raisi
       
       TEHERAN taz | Das iranische Innenministerium hatte das offizielle Ergebnis
       noch nicht verkündet, da gratulierte Abdolnasser Hemmati, der einzige
       reformorientierte Kandidat, bereits seinem ultra-konservativen Konkurrenten
       Ebrahim Raisi. Der 60-jährige Raisi, bisher Justizchef, konnte die
       Präsidentschaftswahl im Iran laut der veröffentlichten Teilergebnisse mit
       mehr als 62 Prozent der Stimmen schon am Samstagvormittag für sich
       entscheiden. Von 28,6 Millionen bis dahin ausgezählten Stimmzetteln seien
       „mehr als 17,8 Millionen auf Raisi entfallen“, erklärte der Vorsitzende der
       nationalen Wahlkommission am Samstag in Teheran. Wahlberechtigt waren mehr
       als 59 Millionen Iraner*innen.
       
       [1][Doch viele von ihnen boykottierten die Wahl.] Wegen der geringen
       Beteiligung war die Öffnung der Wahllokale bis Samstag um 2 Uhr morgens
       verlängert worden. Doch auch das half kaum, offiziell gingen nur 37 Prozent
       zur Wahl – ein historisch niedriger Stand.
       
       Die Wahl sei eine Inszenierung für die Medien, sagte am Freitag ein
       18-jähriger Iraner, der gegenüber der Warteschlange vor einem Wahllokal an
       einen Zaun gelehnt stand. „Sie sollten schreiben, was wirklich passiert:
       die Menschen, die wählen, profitieren davon, ihre Stimme abzugeben.“ Die
       Wähler*innen oder ihre Angehörigen würden hauptsächlich für den
       Staatsapparat arbeiten, so der Mann.
       
       Bei der Registrierung bekamen die Menschen einen Stempel in einen Pass, der
       auch die Namen der Eltern und des Ehepartners enthält. Der Stempel belegt,
       dass die Person gewählt hat. Wer keine Probleme bekommen möchte, warf einen
       ungültig gemachten Zettel in die Wahlbox und lässt sich einen Stempel
       geben. Die Stimme wurde jedoch als Wahlbeteiligung gesehen.
       
       ## Verhinderte Kandidaturen, schlechte Wirtschaftslage
       
       Am Eingang zu einer Metrostation, etwas abseits von einem Wahllokal im
       Norden der Stadt, stand ebenfalls am Freitag der 37-jährige Gholam und
       redete leise. „Ich arbeite im öffentlichen Sektor. Deshalb gehe ich zur
       Wahl und stecke leere Zettel in die Urne, weil mein Favorit nicht
       kandidieren durfte“, erklärte der Busfahrer. Er hätte dem Ex-Präsident und
       Hardliner Mahmud Ahmadinedschad gerne seine Stimme gegeben, [2][doch der
       Wächterrat hatte dessen Kandidatur verhindert.] Ahmadinedschad hatte daher
       vor der Wahl zum Boykott aufgerufen, er ist besonders bei Ärmeren beliebt.
       
       Das bestimmende Thema des Wahlkampfes war die schlechte Wirtschaftslage.
       Als 2015 der Atomdeal geschlossen wurde, entsprach ein US-Dollar etwa
       32.000 Rial. Heute sind es 238.000 Rial. Bankguthaben haben daher massiv an
       Wert verloren, Altersversorgungen sind dezimiert. Der Milchpreis ist um 90
       Prozent gestiegen, die Kosten für importierte ausländische Waren wie
       Mobiltelefone und Elektrogeräte sind für viele unbezahlbar. Wer Rial in
       stabile ausländische Währungen umtauschen konnte, hat Edelmetalle wie Gold
       gekauft oder in Immobilien investiert. Das hat die Mieten hochgetrieben.
       
       In den Fernsehdebatten vor der Wahl hatte Raisi sich als Kämpfer gegen
       Vetternwirtschaft profiliert und sagte, er werde nur unbestechliche
       Minister benennen. Das brachte ihm Unterstützer*innen ein. „Acht Jahre
       lang habe ich nicht gewählt“, sagte eine 33-jährige Businessmanagerin, die
       aus dem Wahllokal zu ihrem Fahrer eilte, mit einem Seitenhieb auf Rohani.
       „Raisi ist einer der noblen Männer: talentiert, gebildet und frei von
       Korruption.“
       
       Zwar ist der moderate Widersacher Raisis, Abdolnaser Hemmati, ein
       Wirtschaftsprofessor. Doch viele Menschen verbinden den ehemaligen Chef der
       iranischen Zentralbank eben auch mit dem Verfall der nationalen Währung,
       den er nicht aufzuhalten vermochte. Dass ein konservativer Kandidat während
       eines Fernsehduells darauf hinwies, dass Hemmati die Benzinpreise erhöhen
       wolle, schadete seinem Ansehen zusätzlich.
       
       [3][Als schon im November 2019 die Benzinpreise um 200 Prozent gestiegen
       waren, wuchs der Unmut.] Vor allem in den Arbeitervierteln Teherans
       forderten Protestierende den Rücktritt von Präsident Rohani. Als Reaktion
       auf die Massendemonstrationen gegen das Regime verhängte die Regierung eine
       totale Internetsperre und tötete nach Angaben der
       Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch insgesamt 300 Menschen, mehr
       als Tausend wurden verletzt. Die Mütter und Frauen der Opfer riefen daher
       ebenfalls zum Boykott der Wahl auf.
       
       Viele Menschen blieben schließlich der Wahlurne fern, weil sie das System
       der Islamischen Republik komplett ablehnen. „Wir haben aufgegeben, durch
       Wahlen etwas verändern zu wollen“, sagte eine 19-jährige Kunststudentin.
       
       19 Jun 2021
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Neumann
       
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