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       # taz.de -- Summer Special der Berlinale: Luftiger Aufbruch ins Unbekannte
       
       > Die Freiluftberlinale endete mit der Premiere der Satire „Der Betatest“.
       > Die Regisseure des Films lieferten Einblicke in den Filmkosmos
       > Hollywoods.
       
   IMG Bild: Besucher der 71. Berlinale im Freiluftkino auf der Museumsinsel
       
       Zum zweiten Mal hat die Berlinale Glück gehabt. Das erste Mal liegt schon
       etwas zurück, im vergangenen Jahr war das, als das Filmfestival dem
       bundesweiten Lockdown im März knapp entging. Jetzt war es das Wetter, das
       dem [1][„Summer Special“ der Berlinale] warme Nächte bescherte, nachdem
       sich das Festival gezwungen gesehen hatte, die Ausgabe zu teilen und das
       Publikum auf ein Freiluftkinoprogramm im Juni zu vertrösten.
       
       Mit ihrer Open-Air-Lösung ist die Berlinale zu den Anfängen der
       Filmfestivals zurückgekehrt: Schon die älteste Leistungsschau dieser Art,
       die Mostra internazionale d’arte cinematografica di Venezia, beging ihre
       erste Ausgabe 1932 auf der Terrasse des Hotel Excelsior auf dem Lido. Die
       Beschränkungen, die das mit sich bringt, bedeuteten eine deutlich
       entspanntere Berlinale ohne das gewohnte Hetzen von einem Kino ins nächste.
       
       Auch die [2][Einschätzung des künstlerischen Leiters Carlo Chatrian,] dass
       die Leute nach der langen Zeit in den eigenen vier Wänden lieber die Sterne
       als ein Dach über dem Kopf wollten, erwies sich als zutreffend. Die
       Kartenverkäufe liefen gut, der Wunsch nach gemeinsamen Filmerlebnissen ist
       weiter vorhanden.
       
       Unter die Freude über das günstige Klima mischt sich andererseits die
       Einsicht, dass dies gleichwohl eine Notausgabe der Berlinale blieb. Gut 160
       Filme statt der üblichen knapp 400 bot das abgespeckte Programm, 60.000
       Tickets gab es zu kaufen, sonst waren es um die 300.000.
       
       ## Neue Bedingungen für die Filmindustrie
       
       Die Krise des Kinos endet nicht mit der im Juli anstehenden Öffnung der
       Säle, die Berlinale setzte da unfreiwillig ein zwiespältiges Signal: Zwar
       geht es wieder los, doch unter welchen Bedingungen die Filmindustrie
       weitermacht, wie sich die Koexistenz von Kinos und Streamingdiensten in
       Zukunft gestaltet, muss sich noch erweisen.
       
       Da passte es, dass [3][die einzige echte Premiere – ohne digitales Steaming
       vorab für die Presse – im zweiten Teil der Berlinale, der US-amerikanische
       Spielfilm „Der Betatest“] von Jim Cummings und PJ McCabe in der Sektion
       „Encounters“ sich in satirischer Absicht der alltäglichen Hölle des
       Hollywood-Betriebs annahm.
       
       Die beiden zur Premiere am Freitag angereisten Regisseure Cummings und
       McCabe bekannten, es sei eine großartige Zeit, um unabhängiger Filmemacher
       zu sein, denn das alte Hollywoodsystem mit seinen Studios breche gerade
       zusammen und man habe gute Chancen, wenn man mit einer Drehbuchidee zu
       Netflix gehe, dass der Streamingdienst den Film produziere.
       
       In „Der Betatest“ spielt Cummings die Hauptrolle des Talentagenten Jordan
       Haynes und McCabe eine tragende Nebenrolle als dessen Geschäftspartner.
       Hintergrund ihrer Geschichte ist ein Hollywood-interner Streit um die
       Rechte von Drehbuchautoren, der so weit ging, dass deren Gewerkschaft, die
       Writers Guild of America, 2019 eine Klage gegen vier große Filmagenturen
       und deren Praxis des „Film Packaging“ von Agenturen angestrengt hat. Kurz
       gesagt, so Cummings, wollen die Agenturen gegenüber den
       Filmproduktionsfirmen inklusive Autoren das Sagen haben, auch bei der
       finanziellen Beteiligung.
       
       ## Hauptsache oben
       
       Dieser Streit ist verdichtet in der Figur von Jordan Haynes, den Cummings
       mit paranoid blitzenden Blicken und eckiger Körpersprache als den Inbegriff
       von skrupellosem Gewinnstreben und maximaler Schmierigkeit spielt. Kino ist
       ihm im Grunde egal, Hauptsache, er ist oben.
       
       In „Der Betatest“ wird ihm die Einladung zu einem anonymen Rendezvous in
       einem Hotel zum Verhängnis. Das ist mitunter drastisch und überdreht, in
       der Darstellung des Alltags von Hollywoodagenturen und dessen, was
       Angestellte dort erleiden müssen, aber, so die Regisseure, lediglich der
       normale Wahnsinn, wie er sich in ihren Recherchen präsentiert habe.
       
       Die Krise Hollywoods, so eine Botschaft von „Der Betatest“, birgt Chancen
       auf Verbesserung.
       
       20 Jun 2021
       
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