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       # taz.de -- #MeToo in deutscher Rapszene: Kollektives Schweigen gebrochen
       
       > Die Influencerin Nika Irani beschuldigt den Rapper Samra der
       > Vergewaltigung – er streitet ab. Doch endlich ist eine Debatte in der
       > Szene entstanden.
       
   IMG Bild: Samra (links) bei einem Konzert 2019
       
       „Ich habe über 20 Mal nein gesagt“, erzählt Influencerin Nika Irani bei
       Instagram vergangene Woche. Versehen mit einer Triggerwarnung erzählt sie
       ihren Follower:innen ausführlich, wie der Rapper Samra sie vergewaltigt
       haben soll. Im Juni vergangenen Jahres soll er sie im Schlafzimmer seines
       Tonstudios in Brandenburg gewürgt, aufs Bett geworfen, ihre Unterhose
       zerfetzt und sie schließlich vergewaltigt haben. Laut eigener Aussagen hat
       sie den Fall nicht zur Anzeige gebracht. Sie erwarte demnach auch keine
       Verurteilung, sondern eine Entschuldigung des Rappers. Ihr Instagram-Profil
       ist mittlerweile gelöscht.
       
       Nach einigen Tagen Stille hat sich nun der Beschuldigte, der bürgerlich
       Hussein Akkouche heißt, [1][ebenfalls bei Instagram zu Wort gemeldet]. Dort
       schreibt er: „Ich habe niemanden vergewaltigt, weder die Person, die mich
       dessen beschuldigt, noch andere Menschen!“ Weiter kündigt er an, den
       Sachverhalt die Staatsanwaltschaft klären zu lassen und sich von nun an
       nicht mehr öffentlich zu dem Thema zu äußern.
       
       Kurz darauf veröffentlicht er jedoch Videos, in denen er aggressiv
       herumschreit und Irani, ohne ihren Namen zu nennen, als Lügnerin bezeichnet
       sowie „die Presse“ und „diese ganze Universal“ beschimpft. Bislang
       erschienen Samras überaus erfolgreiche Alben bei Urban Records, einem
       Tochterlabel von Universal. Am Freitag kündigte Universal an, „die
       Zusammenarbeit mit dem betreffenden Künstler bis zur Klärung der Vorwürfe
       ruhen zu lassen“.
       
       Die #MeToo-Bewegung, die im Oktober 2017 in Gang gesetzt wurde, ist in
       Deutschland ohnehin vergleichsweise klein geblieben. Wurden Strukturen
       diskutiert, ging es meist um die Schauspielbranche, in der Rap-Szene
       dagegen herrschte bislang vor allem kollektives Schweigen. Einzelne
       Vorwürfe wurden erhoben, doch eine grundsätzliche Debatte über die
       herrschenden Machtstrukturen und Frauenhass in der Szene blieben aus – bis
       jetzt. Nika Iranis Postings setzten eine Debatte in Gang, die weit über die
       Beschuldigungen gegen Samra hinausgehen.
       
       ## Große Solidarität
       
       Seit Ende vergangene Woche beteiligen sich vermutlich tausende in Sozialen
       Medien an der Diskussion über Sexismus und Gewalt, Verharmlosungen und
       Gaslighting in der Szene. Viele teilen ihre persönlichen Erfahrungen, die
       sie mit sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch erlebt haben. Der
       Instagram-Account „deutschrapmetoo“ möchte Betroffene sexualisierter Gewalt
       aus der Szene miteinander vernetzen, mittlerweile folgen ihm gut 16.000
       Follower:innen.
       
       Viele in der Szene bekannte Personen äußerten sich zu den Vorwürfen und
       zeigten sich solidarisch mit den Betroffenen. Die Rapperin und
       Sprachwissenschaftlerin [2][Lady Bitch Ray schrieb bei Twitter]:
       „#deutschrapmetoo ist schon lange überfällig. Sexuelle Übergriffe,
       Machtmissbrauch oder kursierende Vergewaltigungsvorwürfe wurden lang genug
       unter den Tisch gekehrt, von Plattenlabels & Rappern durch Schweigen
       mitgetragen oder Opfer durch teure Anwälte strategisch mundtot gemacht.“
       
       Die [3][Musik-Journalistin Visa Vie wies in ihrem Statement bei Instagram]
       auch auf die Verantwortung der gesamten Branche hin: „Die meisten
       Betroffenen (inklusive mir) schweigen […] auch, weil das Umfeld die Täter
       nicht nur schützt, sondern den (Macht)Missbrauch sogar aktiv unterstützt
       (junge Frauen oder Minderjährige werden nach Konzerten ausgesucht,
       abgefüllt, in Hotelzimmer gebracht, danach weggeschickt..)!“
       
       Die Rapperin Shirin David kritisierte bei Instagram den Umgang mit
       sexualisierter Gewalt in der Branche und teilte ihren über fünf Millionen
       Follwer:innen mit, dass sie nun Konsequenzen aus den Vorwürfen gegen
       Samra ziehen wird. In einem ihrer neuen Songs erwähnt sie den beschuldigten
       Rapper „in einem positiven Zusammenhang“. Diese Stelle möchte sie nun
       rausnehmen und kündigte an, dass sich dadurch die Veröffentlichung ihrer
       Single um eine Woche verschiebe.
       
       ## Viel Hass
       
       Das sind nur drei Beispiele von Frauen, die sich nach den Vorwürfen
       solidarisch zeigten und an der Debatte um Frauenfeindlichkeit und
       gewaltverherrlichende Strukturen teilnahmen. Die Solidarität ist groß. Doch
       wie immer sind es nicht die einzigen Reaktionen, die auf Vorwürfe
       sexualisierter Gewalt folgen. Welchen Vorwürfen und Hass Irani, aber auch
       David, nach der Veröffentlichung ausgesetzt sind, erklärt auch, warum in
       der Hiphop-Szene so lange über Missbrauch geschwiegen wurde.
       
       Denn zehntausende Fans stellen sich in Sozialen Medien hinter Samra. Sie
       diskutieren Iranis Kleidung, erotische Fotos von ihr, ihren Drogenkonsum.
       Sie fragen, warum sie so lange geschwiegen hat und stellen infrage, warum
       sie keine Anzeige erstattet hat. Dabei werden Vergewaltigungen generell nur
       selten zur Anzeige gebracht, da sie für die Betroffenen traumatisierende
       Verfahren mit sich bringen [4][und nur in den seltensten Fällen zur
       Verurteilung führen]. All die Vorwürfe, die Samras Fans gegen Irani
       erheben, sind klassische Fälle von Victim Blaming. Sie versuchen der
       Betroffenen die Schuld zu geben und den Beschuldigten aus eben dieser zu
       befreien.
       
       Zudem konnten die Betroffenen bislang nur wenig auf die Aufmerksamkeit und
       Recherche von Medien vertrauen. Denn Verdachtsberichterstattung ist ein
       journalistisch aufwendiges und schwieriges Feld – und gerade in der
       Rapszene tun sich viele Medien schwer damit.
       
       Das liegt vermutlich auch daran, dass Journalist:innen der
       auflagenstarken Medien sich nur bedingt in der Rapszene auskennen. Zudem
       sind Rapper in der Vergangenheit massiv gegen kritische Berichterstattung
       über sie vorgegangen. Und dezidierte Rapmedien scheuen Berichterstattung
       über Missbrauchsvorwürfe regelmäßig. Das mag an finanziellen Ressourcen
       liegen, aber auch daran, dass viele meist enge Kontakte mit den
       Künstler:innen haben und diese nicht aufs Spiel setzen möchten.
       
       Das kritisierte auch David in ihrer Instagram-Story. Sie warf
       „Hiphop-Plattformen“ vor, jetzt zu schweigen, obwohl sie sonst zu jedem
       „irrelevanten Thema“ einen Text veröffentlichen. Seit ihrem Statement wird
       David nun von einigen die Glaubwürdigkeit abgesprochen, zudem erzählt sie,
       dass ihr Management seit ihrem Statement „Drohnachrichten und Anrufe von
       einer bekannten Großfamilie“ bekomme.
       
       Es wird also gezielt versucht, Rapperinnen, die nun laut werden, mundtot zu
       machen. Victim-Blaming, gezieltes Weggucken und Gaslighting: All diese
       Strategien sind nicht explizit der Rapszene vorbehalten, doch sie werden
       hier besonders begünstigt, da Frauenhass in der Szene noch immer
       erschreckend gut als Marketingstrategie funktioniert.
       
       Diese verhärteten Strukturen müssen nun aufgebrochen werden. Dass
       Betroffene jetzt den Mut zeigen, ihre Erfahrungen teilen und Missstände
       aufzeigen, ist ein erster Schritt dahin. Sich mit diesen Menschen
       solidarisch zu zeigen und sie versuchen, vor Bedrohungen zu schützen, ist
       ein Muss.
       
       Reflexhafte Zuschreibungen und Vereinfachungen wie „war ja klar, dass
       dieser oder jener Rapper ein Vergewaltiger ist“ oder rassistische
       Stereotype helfen dabei keinem – sondern machen das Problem nur größer.
       Stattdessen sollten nun all die Großen der Szene, und damit sind nicht nur
       die erfolgreichen Rapper, sondern auch die Booking-Agenturen, Managements,
       Labels und Veranstalter:innen gemeint, ihrer Verantwortung nachkommen.
       Auch wenn das erste Schweigen gebrochen ist – in dieser Ecke bleibt es
       bislang noch ziemlich ruhig.
       
       21 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.instagram.com/p/CQRTzyVNGK_/?utm_source=ig_web_copy_link
   DIR [2] https://twitter.com/LadyBitchRay1/status/1405970348366086152?s=20
   DIR [3] https://www.instagram.com/p/CQOkGCwDLvI/?utm_source=ig_web_copy_link
   DIR [4] /Sexualisierte-Gewalt-in-Deutschland/!5727344
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Carolina Schwarz
       
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