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       # taz.de -- Sexualisierte Gewalt an Schulen: Drastische Lücke beim Kinderschutz
       
       > Im Kreis Lörrach konnte ein wegen Missbrauchs vorbestrafter Lehrer wieder
       > an einer Schule arbeiten. Möglich wurde das durch zu lasche Regeln.
       
   IMG Bild: Wie können Kinder besser geschützt werden?
       
       Karlsruhe taz | Es war ein Schock. Im Herbst 2020 wurde bekannt, dass ein
       Betreuer an einer Ganztagsschule im Kreis Lörrach wegen Verdachts auf
       Missbrauch festgenommen worden war. Der 57-jährige Mann soll einem Mädchen
       aus der Schule [1][sexualisierte Gewalt] angetan haben. Und: Der studierte
       Lehrer war bereits 2004 wegen Missbrauchs verurteilt worden. An der
       Grundschule im Kreis Lörrach konnte er trotzdem sechs Jahre als Betreuer
       arbeiten.
       
       Bis heute ist unklar, wie genau der Täter [2][an der Schule] so lange
       unerkannt bleiben und sich deshalb wohl an dem weiteren Mädchen vergreifen
       konnte. Der Mann nahm sich im November 2020 in Untersuchungshaft das Leben,
       die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen deshalb eingestellt.
       
       Doch Recherchen der taz und des Südkurier machen deutlich: Die Anstellung
       des einschlägig Vorbestraften hätte verhindert werden können, wenn die
       Schulleitung ein polizeiliches Führungszeugnis bei der Bewerbung verlangt
       hätte. Bei der Einstellung des 57-jährigen hatte laut Schulamt ein
       Empfehlungsschreiben des Bürgermeisters seiner Heimatgemeinde gereicht, in
       dem er als Mitarbeiter der örtlichen Volkshochschule empfohlen wurde. Auf
       das Führungszeugnis wurde verzichtet.
       
       Lehrerinnen und Lehrer in Baden-Württemberg müssen grundsätzlich ein
       erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Bei anderen
       Schulangestellten – wie dem Betreuer aus dem Kreis Lörrach – war ein
       solches Zeugnis damals zwar empfohlen, nicht aber verpflichtend. Warum ein
       Führungszeugnis für Angestellte wie ehrenamtliche Betreuungskräfte nicht
       längst obligatorisch war, darauf hat auch Benedikt Reinhard, Pressesprecher
       des Kultusministeriums in Stuttgart, keine Antwort. In Ländern wie Hamburg
       ist ein solches Dokument seit bald acht Jahren für alle Angestellten an
       Schulen obligatorisch.
       
       ## Besonders heikel ist die Lage in Schleswig-Holstein
       
       Immerhin: Die damalige Kultusministerin, Susanne Eisenmann, reagierte
       schnell auf den Fall im Kreis Lörrach. Die Lücke bei den Kontrollen ist
       seit Dezember 2020 in ganz Baden-Württemberg geschlossen. „Zwischenzeitlich
       müssen auch Personen, die ehrenamtlich im Rahmen eines Lehrauftrags an der
       Schule regelmäßig tätig und über 18 Jahre alt sind, verpflichtend ein
       erweitertes Führungszeugnis vorlegen“, erklärt Reinhard vom
       Kultusministerium in Stuttgart.
       
       Die Recherchen von taz und Südkurier zeigen aber auch: Die Lücke gibt es in
       anderen Bundesländern weiterhin. Da Bildung Ländersache ist, sind die
       Regelungen in den Bundesländern zur Kontrolle von schulischen Angestellten
       nicht einheitlich geregelt. Nach einer Übersicht, die der Bundesbeauftragte
       gegen Missbrauch auf Anfrage der taz erstellt hat, ist die Lage in einigen
       Bundesländern derzeit sogar schlimmer, als sie es in Baden-Württemberg bis
       vor dem Fall in Lörrach war.
       
       Länder wie Rheinland-Pfalz, Thüringen und Sachsen-Anhalt haben weiterhin
       keine Regelung für Betreuungskräfte und Ehrenamtliche, oder sehen nur eine
       Empfehlung vor. Besonders heikel ist die Lage in Schleswig-Holstein, dort
       ist nicht einmal das Führungszeugnis für Lehrer gesetzlich verpflichtend.
       
       Der Deutsche Kinderschutzbund kritisiert diese Uneinheitlichkeit bei den
       Kontrollen zum Schutz der Kinder: „Wir drängen darauf, dass in den
       Schulgesetzen aller Länder die Vorlage von erweiterten Führungszeugnissen
       für Personal verpflichtend wird“, sagt die stellvertretende
       Bundesgeschäftsführerin Martina Huxoll von Ahn. „Diese Pflicht soll
       unabhängig von der Anstellungsart der Beschäftigten gelten.“
       
       Doch auch das erweiterte Führungszeugnis kann trügen. Dort sind nur Taten
       verzeichnet, für die ein Bewerber verurteilt wurde. Doch bei Missbrauch ist
       die Dunkelziffer unentdeckter Fälle hoch. Deshalb brauche es Schutzkonzepte
       an Schulen und Fortbildungen für Lehrer und Schüler, sagt von Ahn.
       Maßnahmen, die jetzt an der betroffenen Schule im Kreis Lörrach ergriffen
       werden.
       
       25 Jun 2021
       
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   DIR Benno Stieber
       
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