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       # taz.de -- Craft Beer in Kolumbien: „Unser Bier hat Magie“
       
       > Für Kolumbiens Indigene ist die Sierra Nevada de Santa Marta das „Herz
       > der Erde“. Heute entsteht hier aus Quellwasser Bier. Zu Besuch in einer
       > besonderen Brauerei.
       
       Minca taz | Die Jungfrau Maria sieht alles. Sie steht hinten im gemauerten
       Bogen in ihrem etwas ausgeblichenen Mantel und wacht über die Stahltanks
       und das, was in der [1][Brauerei Nevada Cervecería] geschieht. Der junge
       Arbeiter Gabriel, in Latzhosen mit Schirmmütze und Schutzbrille, hält
       Flaschen an die Maschine. Diese schmatzt und saugt und befüllt und
       verkorkt. Nebenan spült seine Kollegin Rosa die Flaschen nach und
       kontrolliert sie im Gegenlicht auf Rückstände. Wasser rauscht, Glas klirrt.
       
       Sonst wären hier nur das Gesumme, Gezwitscher der Vögel und das Rauschen
       der Blätter zu hören. Die Nevada Cervecería befindet sich auf 900 Metern
       Höhe in den kolumbianischen Wäldern der [2][Sierra Nevada de Santa Marta],
       dem höchsten Küstengebirge der Welt. [3][Die Sierra ist ein Bollwerk gegen
       Hurrikans] und reguliert den Niederschlag der Karibikregion. Sie bremst die
       heiße, feuchte Luft ab, die vom Atlantik kommt, lässt sie kondensieren und
       als Regen niedergehen.
       
       Und so liegt die Nevada Cervecería wie ein kleiner weißer Fleck mitten im
       satten tropischen Grün. Rechts und links geht es steile Hänge hoch, auf
       denen zwischen Bäumen, Palmen und Büschen Kaffee wächst. Nebenan plätschert
       der Bach mitten über die Straße zum Dorf Minca. Auf der anderen Seite der
       Straße steht das Produktionsgebäude von La Victoria, eine der ältesten
       Kaffeefincas Kolumbiens.
       
       Die Brauerei ist wohl die einzige in Kolumbien, die sich in einer
       ehemaligen Kapelle befindet. Und: „Wir sind die einzigen im Land, die
       Quellwasser zum Bierbrauen benutzen dürfen“, sagt Jonas Kohberger (32). Der
       gelernte Brauer und Mälzer stammt aus Teisendorf in Oberbayern. Ein Mann
       wie ein Baum, besonders im Vergleich zu seinen kolumbianischen
       Kolleg*innen. Die Liebe zum Bier trägt er auf seine Haut tätowiert.
       
       ## Happy Colibri – alles passt
       
       November 2014 kam der Bayer nach Kolumbien, um innerhalb von vier Monaten
       die Brauerei aufzubauen. Da sprach er noch kein Spanisch, hatte aber schon
       Erfahrung in Kanada und Indien gesammelt. Wenn sie in China mit dem
       Arbeitsvisum nicht so langsam gewesen wären, hätte er dort für eine
       Bamberger Brauerei dasselbe getan. Die Stellenanzeige aus Kolumbien kam
       dazwischen. Es gefiel ihm so gut, dass er blieb. „Bassd ois“, sagt er:
       Passt alles. Die Ruhe, das Wetter, das Essen, die Menschen.
       
       Mittlerweile ist Kohberger Teilhaber der Brauerei. Er hat sich Land
       gekauft, wo er für sich und seine Freundin aus dem Dorf ein Häuschen baut –
       und die Straße dorthin gleich mit. Sie planen Maracujas für den Export,
       Schweine, Hühner und Fische in Permakultur – also alles anbauen und
       verwerten, was die Tiere essen und von sich geben. Den skeptischen
       Einheimischen hat der Bayer Kohberger glaubhaft versichern können, dass
       [4][Bier für die Kirche], namentlich die Klöster, traditionell eine
       wichtige Rolle spielt.
       
       Jonas Kohberger sorgt dafür, dass das bayerische Reinheitsgebot selbst
       9.000 Kilometer vom Freistaat entfernt hochgehalten wird. Heißt: „100
       Prozent natural“. Kein gechlortes Leitungswasser, kein zugeführtes CO2,
       kein Klärungsmittel. Nur Hopfen, Malz, Hefe und Wasser und mehr Zeit zum
       Gären. Das Ergebnis ist etwas hochprozentiger und schmeckt deutlich
       kräftiger als die meisten kolumbianischen Biere.
       
       [5][Das Sortiment] besteht aus vier Sorten: Happy Tucan, ein Irish Red Ale,
       das Pils Happy Nebbi, das mit Koka-Blättern aromatisierte Happy Coca und
       Happy Colibri, ein Coffee Stout, [6][2019 vom Men's Journal zu einem der
       zehn besten Craftbiere der Welt gekürt]. Das stieß in Kolumbien, wo die
       Craftbeer-Bewegung relativ neu ist, auf großes Medieninteresse. Dazu kommen
       wechselnde Saisonbiere, die alle nach Zugvögeln heißen, passend zum
       Vogelparadies Sierra Nevada.
       
       ## Erfolg in der Heimat
       
       Der Umsatz wuchs nach der Gründung jährlich um 50 Prozent – [7][bis Corona
       kam]. Da brachen die Verkäufe um etwa 80 Prozent ein „Dafür trinken seit
       der Pandemie mehr Kolumbianer unser Bier“, sagt Jonas Kohberger. Vorher
       waren die Hauptkundschaft ausländische Urlauber*innen aus aller Welt.
       
       „Wenn die Pandemie weg ist, haben wir beide Märkte – dann wird es nur
       aufwärts gehen“, ist er überzeugt. Nevada Cervecería entspricht von Größe
       und Technifizierungsgrad einer bayerischen Wirtshausbrauerei. Das komplette
       Team, inklusive Buchhaltung und Marketing, besteht aus neun Menschen. Ihre
       Biere gibt es mittlerweile im Online-Geschäft, in ausgewählten Kneipen und
       Restaurants in kolumbianischen Großstädten und zwei großen Hotels. Derzeit
       laufen Verhandlungen mit zwei Hotelketten.
       
       Die Idee mit dem Bier aus der Sierra Nevada hatte Lucas Echeverri Robledo.
       Der 56-jährige Brauerei-Gründer ist das Gegenteil von Jonas Kohberger:
       beredt, drahtig, ständig in Bewegung. Früher war der Kolumbianer Manager in
       einem internationalen Kommunikationsunternehmen. [8][Die
       Craftbeer-Bewegung] kennt er aus den USA: „Ich habe ganz viele komische
       Biere probiert und war begeistert.“ Er lernte sogar brauen, allerdings nur
       für den Hausgebrauch.
       
       „Mit 40 packte mich die Midlifecrisis“, erzählt er weiter. „Ich habe alles
       verkauft und bin nach Santa Marta gezogen.“ Die Hauptstadt der Region
       Magdalena liegt an der Karibikküste, zu Füßen der Sierra Nevada de Santa
       Marta. Dort in den Bergen, ein paar Kilometer von dem unter
       Rucksacktourist*innen beliebten Bergdorf Minca entfernt, erfüllte er
       sich mit der Brauerei einen alten Traum.
       
       „Unser Bier hat Magie“, sagt Lucas Echeverri. Für ihn steht fest: „Das
       Wasser macht den Unterschied.“
       
       ## Der Weg zur Quelle
       
       Es war sein Glück, dass er sich mit dem Besitzer der Kaffeefinca La
       Victoria anfreundete. Der lud ihn ein, seinen Traum auf dem Gebiet der
       Finca zu verwirklichen. Er verkaufte ihm ein Stück Land für die Gebäude und
       gab ihm die Erlaubnis, die finca-eigene Wasserquelle zu nutzen.
       
       Der Weg zur Quelle führt den steilen Hang hinauf. Lucas Echeverri klettert
       flink wie eine Gemse, in der Hand eine Machete. Vor drei Monaten hat er
       zuletzt dort nach dem Rechten geschaut. Seitdem hat es viel geregnet, die
       Vegetation ist in die Höhe geschossen. Er zeigt auf der gegenüberliegenden
       dunkelgrünen Bergflanke auf eine Stelle, über der Nebel steht. Dort
       befindet sich die Quelle, von der Rohre das Wasser für das Bier
       hinunterleiten: der Schatz der Brauerei. „Seit 1890 gehört das Land zur
       Finca“, sagt Lucas Echeverri. „In all den Jahren wurde der Wald dort oben
       nie abgeholzt.“ Er vermutet, dass das auch vorher nicht passiert ist. Das
       sei das Geheimnis.
       
       Das Gebirgsgestein ist der Filter. Es garantiert eine konstant hohe
       Wassermenge und -qualität – egal was sonst am Berg passiert. Das belegten
       regelmäßige Analysen der Universidad del Magdalena. Das Wasser ist mit
       einem PH-Wert von 6,5 bis 6,6 sehr wenig sauer, enthält Mineralien und ein
       wenig Calcium. „Es ist perfekt für Bier, wir müssen nichts machen.“ Andere
       hingegen brauen mit Trinkwasser, dem alle Mineralien entzogen werden müssen
       – und das zudem mit Chlor und Chemikalien gereinigt wird.
       
       Wohl eine Stunde klettert Echeverri durch Wald und Dickicht und schlägt uns
       mit der Machete den Weg frei. Moskitos und Dornen stechen. In kürzester
       Zeit ist sein Hemd transparent vor Schweiß. Kurz nach einem Wasserfall mit
       kristallklarem, kalten Wasser müssen wir umkehren. Ein Erdrutsch und ein
       umgefallener Baum versperren den Weg. Ohne Motorsäge ginge es höchstens
       senkrecht den rutschigen Berg hinauf. Zu gefährlich. Das Geheimnis bleibt
       außer Reichweite.
       
       „Für die Indigenen ist die Sierra Nevada das Herz der Erde“, sagt Lucas
       Echeverri. „Dieses Herz filtert unser Wasser.“ Das soll so bleiben. Das
       Unternehmen will Wasser, Wald und Ressourcen schützen.
       
       Die Flaschen werden recycelt, die Etiketten sind aus Recyclingpapier und
       komplett biologisch abbaubar, die Farben ohne Blei, auch wenn die dafür
       passende Etikettiermaschine ein Vielfaches von der für Plastikaufkleber
       kostet.
       
       Im Jahr verbraucht die Brauerei etwa 100.000 Liter Wasser fürs Bier und
       200.000 Liter zum Waschen der Utensilien, sagt Echeverri. Dafür würden nur
       Reinigungsmittel verwendet, die leicht abbaubar sind. Das ganze Abwasser
       läuft trotzdem über die gemeinsame Kläranlage von Brauerei und
       Kaffee-Finca, bevor es in den Bach geleitet wird. Die Anlage wird in Kürze
       modernisiert.
       
       Beide Unternehmen teilen sich außerdem draußen ein überdachtes Behältnis
       voller Würmer, die sich dort durch Kaffeeabfälle und die Brauerei-Reste
       futtern, also durch das, was die Pferde aus der Nachbarschaft nicht
       vertilgt haben. Denn der Abbau des Malztrebers im Wasser wäre besonders
       sauerstoffintensiv. Die Wurmausscheidungen dienen als Dünger für die
       Kaffeepflanzen.
       
       Die Nevada Cervecería war das erste Privatunternehmen, das in den
       [9][Wasserfonds „Fondo de Agua de Santa Marta“] einzahlte. Der Fonds
       kümmerte sich bis zur Pandemie um Aufforstung und Verbesserung der
       Wasserqualität in der Sierra. Er gehört zu einem [10][lateinamerikaweiten
       Wasserfonds-Netzwerk], das unter anderem vom deutschen Umweltministerium
       unterstützt wird. Seit Juli 2020 liegt er offenbar auf Eis und beantwortete
       auch die taz-Anfrage nicht.
       
       „Weil der Fonds dieses Jahr nichts macht, forsten wir mit unseren eigenen
       Leuten auf“, sagt Lucas Echeverri. Damit hat er Erfahrung. Bis 2017 war er
       Vorstand von [11][Fundación ProSierra Nevada de Santa Marta], der ältesten
       Umweltstiftung Kolumbiens. Seine Motivation klingt plausibel: „Wir müssen
       auf unseren Planeten aufpassen, denn er ist der einzige Ort, an dem es Bier
       gibt.“
       
       14 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://nevadacerveceria.beer/?fbclid=IwAR04NI0vZH_Vyjrflnqe17vaxVbrVVCruSA7OsIvpHAbMbIHpxZr9cvwfvs
   DIR [2] /Indigene-in-Kolumbien/!5676082
   DIR [3] https://www.elheraldo.co/tendencias/sierra-nevada-el-guardian-de-huracanes-294267
   DIR [4] /Bierforscher-ueber-Reinheitsgebot/!5290623
   DIR [5] https://nevadacerveceria.beer/nuestras-cervezas/
   DIR [6] https://www.mensjournal.com/food-drink/the-10-best-undiscovered-craft-beers-around-the-world/9-nevada-cerveceria-happy-colibri-coffee-stout/
   DIR [7] /Corona-und-Korruption-in-Kolumbien/!5757074
   DIR [8] /Konkurrenz-auf-dem-Biermarkt/!5010566
   DIR [9] https://www.fondosdeagua.org/es/los-fondos-de-agua/mapa-de-los-fondos-de-agua/santa-marta-y-cienega/
   DIR [10] https://www.fondosdeagua.org/es/
   DIR [11] http://www.prosierra.org/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Wojczenko
       
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