# taz.de -- Anti-LGBTQ-Gesetz in Ungarn: Orbáns riskantes Pokern
> Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán zieht sein antiqueeres Gesetz
> trotz Protest der EU durch. Er braucht es, um die Opposition im Land zu
> spalten.
IMG Bild: Protest von Amnesty International vor dem ungarischen Parlament gegen die LGBTQ-Gesetze
Auf den ersten Blick mag es scheinen, als ob Ungarns Ministerpräsident
Viktor Orbán auch die aktuellen Kommentare zum antiqueeren Gesetz, etwa
seitens der EU-Spitzen, in seinem Land ignoriert: [1][Es sind zwar harte
Ankündigungen], vor allem aus der Brüsseler EU-Spitze, auch formuliert
Ursula von der Leyen härtere als sonst. Aber der ungarische Populist hat
seine Wählerschaft im Blick. Die ist ihm wichtiger als politisches Gewölk
gegen ihn, selbst wenn es aus der Hauptstadt der EU kommt.
Die Rede ist [2][von dem neuen Gesetz in Ungarn], das in jeder Hinsicht
positive oder auch nur neutrale Darstellungen von Schwulen und Lesben,
Trans- und Intermenschen in der Öffentlichkeit Ungarns verbietet.
Unternehmen und Bildungsprogramme dürfen nicht in den queeren Farben des
Regenbogens werben, aus Buchhandlungen haben einschlägige Titel, etwa
Bilderbücher zu queeren Themen, zu verschwinden. Brüssel droht jetzt mit
einem Rechtsstaatsverfahren, aber mehr noch: mit dem Entzug von Milliarden
Euro aus dem Finanzpaket der EU aus dem Corona-Wiederaufbaufonds.
Auf den Klang des Geldes hören auch illiberale Potentaten wie Orbán
akkurat. Eigentlich nur auf diesen. Er wird wissen, dass sein Land ohne die
EU allenfalls ein karger Landstrich im mittelosteuropäischen Irgendwo wäre.
Und trotzdem nimmt er auf die liberalen Proteste gegen das finstere Gesetz
keine Rücksicht. Er braucht es innenpolitisch: Für die antiqueeren
Bestimmungen votierten nämlich auch die früheren Rechtsextremen von der
[3][Jobbik-Partei], die eigentlich mit den Linken und Liberalen ein
Anti-Orbán-Bündnis zu den nächsten Parlamentswahlen schmieden.
Diese Gegenbewegung zu Orbán ist jetzt gespalten. Darüber hinaus ist die
Gesetzesbestimmung so vage, dass eine polizeiliche Verfolgung bei
Überschreiten häufig schwierig sein dürfte. Dass ein queeres Kinderbuch
nicht mehr vorrätig gehalten wird, ist klar; dass aber künftig Thomas Manns
„Tod in Venedig“ oder Virginia Woolfs „Orlando“ in den Streamingdiensten
wie queere Serien und Filme per Geoblocking indiziert werden, ist nicht
sehr wahrscheinlich.
In Wahrheit dient das Orbánsche, um es mal salopp zu benennen,
Queer-igittigitt-Projekt der Einschüchterung der ungarischen Gesellschaft,
eines Landes, dessen bester Nachwuchs emigriert – nicht nur der queere. Ein
Land, das seit dem Fall des Eisernen Vorhangs einen ökonomisch oder
kulturell bedingten Bevölkerungsverlust erlebt, sodass sich ganze
Landstriche geleert haben, wird von Orbán und den Seinen mit einer (auch
schon in der Verfassung formulierten) Strategie beantwortet: Only
heterosexual lives matter!
8 Jul 2021
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## AUTOREN
DIR Jan Feddersen
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