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       # taz.de -- 80 Jahre Überfall auf die Sowjetunion: Der beerdigte Friedhof
       
       > Der Bestattungsplatz in der Bremer Gleisschleife wird erforscht. Hier
       > verscharrten die Nazis ermordete Kriegsgefangene aus dem Lager am
       > Pulverberg.
       
   IMG Bild: Ein Weg aus Malervlies führt durch die Grube: Blick von Süden auf den Grabungsschnitt
       
       BREMEN taz | Gut zwei Meter geht es nach unten. Es ist ein richtiger
       Bahndamm entstanden am toten Ende der Reitbake, eine Sackgasse dort, wo
       Oslebshausen und Gröpelingen aneinander grenzen, ein innerstädtisches
       Niemandsland. Ein Ort, wie ausgesucht, um vergessen zu werden. „Mit Bedacht
       gewählt“, vermutet auch Staatsarchivleiter Konrad Elmshäuser.
       
       Parallel zu den Schienen ist auf etwa vier mal 30 Metern das Erdreich
       aufgerissen. Eine Grube. Auf ihrem Sandboden sind orangene Planen und ein
       Weg aus Malervlies gelegt. Landesarchäologin Uta Halle stellt das Loch als
       einen Grabungsschnitt vor, „also die Vorbereitung für eine Grabung“: Man
       erhält ihn, indem man mit Baggern Erdschichten wegschafft, in denen mit
       bedeutsamen Funden nicht zu rechnen ist.
       
       Wieviel das war, in nicht mal 80 Jahren! Hier unten erst ist man auf Höhe
       der Gräber, die überspült, verdeckt, mit Macht und Müll verdrängt worden
       sind. Einen weiteren Schnitt plant Halle noch, eher Richtung Mitte: Rund 65
       Meter nach Osten erstreckt sich das Areal des Friedhofs.
       
       Denn den gab es hier. Kein Ort der Andacht, statt Stein oder Kreuz bloß ein
       Pflock mit Kennmarke: Hier wurden durch Zwangsarbeit, Schmutz und
       Unterernährung ermordete sowjetische Kriegsgefangene bestattet. „Wir wissen
       auch von circa 60 Zivilarbeitern“, sagt Elmshäuser, so viel lässt sich
       [1][der lückenhaften Dokumentation entnehmen].
       
       ## Mit Militärstacheldraht umzäunt
       
       Die meisten Toten werden im nahegelegenen Lager Grambker Heerstraße 30
       gestorben sein. Es waren Sowjets. Die Rassengesetze der Nazis versagten
       ihnen die Beerdigung auf einem regulären Friedhof. Daher die Anlage in der
       Gleisschleife, umzäunt von mörderisch-scharfem Militärstacheldraht. Seine
       rostigen Überbleibsel, die Halle der Presse zeigt, sehen aus wie das
       Skelett eines seltsamen Tiers.
       
       Schon während des Krieges war aufs Gelände Sand aus der Weser gespült
       worden, wegen der Fahrrinnenvertiefung, die das Oberkommando der Marine
       angeordnet hatte. Auf einem Luftbild, 1944 bei einem Aufklärungsflug
       entstanden, sieht man einzelne Grabstellen, die Reihen parallel zu den
       Gleisen. Am östlichen und westlichen Rand des Areals zeichnen sie sich gut
       ab.
       
       Halle hat umplanen müssen: Die Landesarchäologin hat nur einen
       Planungstechniker im Team, „und der kann sich nicht teilen“, sagt sie.
       Ursprünglich wollte sie mit ihren Studierenden Grabungen an der Bahrsplate
       durchführen – ein Außenlager des KZ Neuengamme.
       
       Dass nun der verschüttete Friedhof erkundet wird, hat damit zu tun, dass
       die Deutschlandtochter des französischen Schienenfahrzeugherstellers Alstom
       hier eine Werkstatt mit Waschanlage errichten will. Unerträglich,
       [2][findet das Friedensforum] und hat mit lokalhistorischen Kenntnissen die
       Gegenwehr einer Bürgerinitiative gegen die Werkstatt munitioniert,
       teilweise auch mit überzogener Polemik.
       
       „Uns ging es nicht darum, den Senat anzugreifen“, sagt der
       Friedensforums-Sprecher Ekkehard Lentz am Dienstag auf Nachfrage. Naja. Ein
       paar Wochen zuvor hatte er immerhin der Bremer Regierung bescheinigt, ihr
       Umgang mit den NS-Opfern der Sowjetunion folge „offenbar weiterhin dem von
       den Nazis geprägten Stigma der ‚Untermenschen‘“.
       
       Ohne lautstarke Gegenwehr aber, ist Lentz sich sicher, „wären die
       Alstom-Pläne durchgewunken worden“. Die archäologische Untersuchung hätte
       seiner Ansicht nach „längst geschehen müssen“. Ein Bau an dieser Stelle
       wäre seiner Ansicht nach völkerrechtswidrig. Von einer Jura-Studentin aus
       Leiden hat man sich das durch ein Gutachten bescheinigen lassen, das
       allerdings ein wenig oberflächlich wirkt. Immerhin, es [3][führt die Nornen
       auf,] die möglicherweise durch eine Exhumierung verletzt werden könnten und
       verweist auf den entscheidenden [4][Rote-Kreuz-Kommentar.] 
       
       Mindestens werden die Grabungen einen Baubeginn auf unbestimmt vertagen.
       „Es dauert so lange es dauert“, kündigt Halle an. Vielleicht schreckt das
       Alstom ab. Schon beim Abbaggern hatte man Unerwartetes gefunden: Statt nur
       Spülsand lagen da Trümmer, geschmolzenes Glas, der Abraum des bombardierten
       Bremer Westens.
       
       Wann Halle und ihr Team auf menschliche Überreste stoßen werden, ist
       ungewiss. Dass da noch Gerippe liegen müssen, ist nahezu sicher: mindestens
       750 Tote sollen hier bestattet worden sein. Bei einer Umbettungsaktion im
       November 1948 hatten zehn Mann vom Gartenamt insgesamt 446 Leichen
       ausgebuddelt, um sie auf dem Friedhof Osterholz zu bestatten.
       
       Sie waren stark verwest. Statt sie, vorschriftsgemäß, in Holzkisten zu
       betten, hatte man die Leichen [5][laut den Recherchen des Vereins „Erinnern
       für die Zukunft“] nur in Teerpapier gewickelt und von Mithäftlingen
       verscharren lassen. Die Gartenamtsmänner beschwerten sich über die
       unzumutbare Arbeit, erzählt Emlshäuser, daraufhin erhielten sie einen
       Bonus: „Als Zulage bekamen sie Milch.“
       
       14 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.arcinsys.niedersachsen.de/arcinsys/start.action
   DIR [2] https://www.bremerfriedensforum.de/1391/aktuelles/Verfolgt-der-Bremer-Senat-die-voelkerrechtswidrige-Bebauung-des-sogenannten-Russenfriedhofs-mit-einer-Bahnwerkstatt-in-Bremen-Oslebshausen/
   DIR [3] https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1951/228_230_226/de
   DIR [4] https://ihl-databases.icrc.org/applic/ihl/ihl.nsf/Comment.xsp?action=openDocument&documentId=A19B8F693A361170C12563CD0043225C
   DIR [5] https://www.spurensuche-bremen.de/spur/kriegsgefangenen-zwangs-und-fremdarbeiter-in-oslebshausen/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
       ## TAGS
       
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