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       # taz.de -- Klimakrise und Extremwetter: „Wir stecken schon tief drin“
       
       > Meteorologe Özden Terli spricht im ZDF-Wetterbericht oft über den
       > menschlichen Fußabdruck im Wetter. Das wünscht er sich auch von
       > Kolleg:innen.
       
   IMG Bild: Ein Waldbrand tobt in Oregon
       
       taz: Herr Terli, neulich 49,6 Grad in einem mittlerweile abgebrannten Dorf
       in Westkanada, diese Woche 54 Grad im Tal des Todes im US-Bundesstaat
       Kalifornien: Wie oft wurden Sie schon gefragt, ob das der Klimawandel ist? 
       
       Özden Terli: Kann ich gar nicht genau sagen. Ich werde andauernd gefragt,
       ob irgendein Wetterphänomen der Klimawandel ist. Da steckt vielleicht so
       eine Abwehrhaltung dahinter oder die Hoffnung, dass wir doch noch nicht in
       der Klimakrise leben. Das ist aber leider nicht so.
       
       Speziell bei extremen Hitzewellen ist es ja eigentlich unstrittig, [1][dass
       der Klimawandel diese schon jetzt wahrscheinlicher und intensiver macht],
       oder? 
       
       Ja, absolut. Das kann man den Berichten des Weltklimarats entnehmen. Wer
       das in genaueren Zahlen haben will, der kann in entsprechende
       Attributionsstudien hineingucken …
       
       … in denen Klimatolog:innen jeweils für ein einzelnes, konkretes
       Wetterereignis erforschen, welchen Anteil der Klimawandel hat. 
       
       [2][So eine gab es ja letzte Woche] zu der Hitzewelle, die Kanada und USA
       kurz zuvor erlebt hatten. „Praktisch unmöglich“ sei die ohne Klimawandel
       gewesen, kam da raus, er hat sie 150-mal wahrscheinlicher gemacht. Da ist
       der menschliche Fußabdruck in diesem Extremwetterereignis also ganz, ganz
       deutlich.
       
       Und jetzt werden wie gesagt schon wieder Wahnsinnstemperaturen in
       Kalifornien gemessen. Ist das noch Teil derselben Hitzewelle oder schon die
       nächste? 
       
       Das ist wieder eine neue Wetterlage. Letztens haben wir ganz spezifische
       atmosphärische Zirkulationsbedingungen beobachtet, einen sogenannten
       Hitzedom. Der wurde dann abgebaut, die Hitze in den Osten abgedrängt. Jetzt
       erleben wir die Vorderseite eines Tiefs, da wird permanent warme Luft
       herangeführt.
       
       Sie klingen nicht überrascht, dass das jetzt so Schlag auf Schlag kommt.
       Oder doch? 
       
       Nein, das fügt sich doch in den Trend ein. Generell kann man aus
       meteorologischer Sicht sagen: Die Hitzetage haben in den vergangenen
       Jahrzehnten zugenommen, Hitzewellen sind häufiger, länger und intensiver
       geworden. Was auch bedeutsam ist: Die Nächte werden heißer. Wir erleben
       deutlich öfter sogenannte Tropennächte als früher, also mit 20 Grad oder
       mehr.
       
       Das ist aus gesundheitlicher Sicht besonders gefährlich. 
       
       Ja, nachts 23 Grad, dann tagsüber wieder auf 35 Grad hoch, da kann sich der
       Körper gar nicht mehr abkühlen. Vor allem, wenn das mehrere Tage
       nacheinander so geht. Das ist besonders in den Innenstädten ein riesiges
       Problem. Da ist es nämlich durch die stärkere Bebauung und schlechte
       Durchlüftung [3][noch mal deutlich wärmer] als an der Wetterstation, an der
       die 20 Grad gemessen wurden.
       
       Also brauchen die Städte mehr Grün, Frischluftschneisen, Schattenplätze
       und, und, und … 
       
       Städte und Bundesregierung müssten schon längst mehr daran arbeiten, die
       Städte so umzubauen, dass sie besser abkühlen. Überall Klimaanlagen
       einzubauen, geht schließlich nicht, die verbrauchen zu viel Strom. Aber
       auch die Bebauung an sich kann fünf, sechs Grad Unterschied machen. So ein
       Umbauprozess dauert natürlich, das muss sofort angegangen werden. Hitze ist
       und wird immer mehr zum Gesundheitsproblem. Die ersten, die darunter
       leiden, sind kleine Kinder, kranke und alte Menschen.
       
       In einer Attributionsstudie haben Forscher:innen Ende Mai festgestellt:
       Mehr als ein Drittel der weltweiten Hitzetoten in den vergangenen 30 Jahren
       ist [4][auf den Klimawandel zurückzuführen]. 
       
       Das ist ja ziemlich übel. Und mit Sicherheit ein wachsendes Problem, auch
       in Deutschland. Wenn man sich die Projektionen des Deutschen Wetterdiensts
       anguckt, die es bis 2030 gibt, da gehen die Temperaturen hier weiter hoch.
       Was sollten sie auch sonst tun? Wir pusten ja weiter ohne Ende Kohlendioxid
       in die Atmosphäre und verschleppen den nötigen Klimaschutz.
       
       Viele der langfristigen politischen Klimaziele stehen bisher nur auf dem
       Papier, sind aber gar nicht durch konkrete Maßnahmen gedeckt. Wir
       Meteorologen müssen die Zähne auseinanderkriegen und die Einordnung des
       Wetters richtig vornehmen, damit mehr Leute den Ernst der Lage verstehen.
       Wir stecken schon tief in der Klimakrise drin.
       
       Aber nicht bei allen Wetterereignissen kann man das im Einzelfall schon so
       sicher sagen wie bei der Hitze, oder? Stürme zum Beispiel, die viel mehr
       Parameter als nur die Temperatur haben, machen es den
       Attributionsforscher:innen doch schwerer. 
       
       Das stimmt. Aber ich warne davor, einen Effekt des Klimawandels nur zu
       akzeptieren, wenn jemand dazu eine Attributionsstudie angefertigt hat. So
       interessant und hilfreich diese Untersuchungen auch sind; selbst wenn es
       diesen Forschungszweig nie gegeben hätte, wäre physikalisch klar: Wir
       schirmen durch unser Kohlendioxid die Atmosphäre ab. Wärme kann damit nicht
       mehr so gut entweichen.
       
       Seit der Industrialisierung hat sich die Erde in der Folge um
       durchschnittlich 1,2 Grad aufgeheizt. Das wirkt sich lokal auf
       Temperaturen, Niederschlag und andere Wetterfaktoren aus, jetzt schon.
       Alles andere ist physikalisch einfach nicht plausibel.
       
       13 Jul 2021
       
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