# taz.de -- Abschiebestopp nach Afghanistan: Regierung prüft Bitte aus Kabul
> Die afghanische Regierung bittet, Abschiebungen nach Afghanistan für drei
> Monate auszusetzen. In Berlin scheint man wenig Anlass zu erkennen.
IMG Bild: Polizeibeamte mit einem Afghanen bei der Abschiebung nach Kabul
Berlin taz | Am Montag hat der höchstrangige Nato-Befehlshaber sein
Kommando in Afghanistan abgegeben. Am selben Tag bestätigte ein Sprecher
des Bundesinnenministeriums (BMI) in Berlin, dass eine Bitte der
afghanischen Regierung eingegangen sei. Deutschland möge Abschiebungen nach
Afghanistan wegen der zugespitzten Sicherheitslage für drei Monate
aussetzen. Auch andere europäische Regierungen erhielten das Gesuch aus
Kabul.
Seit Beginn des internationalen Truppenabzug aus Afghanistan sind die
Taliban [1][auf dem Vormarsch]. Nach eigenen Angaben haben sie mittlerweile
drei Viertel des Landes eingenommen. Am Dienstag warnten die Extremisten
auf Twitter, auch die „Besatzung“ der noch verbleibenden ausländischen
Truppen bekämpfen zu wollen.
Die Bundesregierung plant trotz dieser Entwicklung aktuell keine Änderung
der Abschiebepraxis. Wie Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilte,
werden Entscheidung über mögliche Rückführungen weiterhin „auf der Basis
einer immer wieder aktualisierten, sehr genauen Beobachtung der Lage“ in
den Herkunftsländern getroffen. Das Auswärtige Amt kündigte noch für diesen
Monat einen neuen Bericht zur Sicherheitslage in Afghanistan an. Auf dieser
Grundlage werde dann entschieden, „wie es weitergeht“, sagte Seibert.
Seit Dezember 2016 schiebt Deutschland abgelehnte Asylbewerber in
Sammelflügen nach Kabul ab. Erst vergangene Woche wurden 27 Männer vom
Flughafen Hannover nach Kabul gebracht. Es war der [2][40. Abschiebeflug]
aus Deutschland – und der erste seit dem vollendeten Abzug der Bundeswehr
Ende Juni. Dass die Abwesenheit der internationalen Truppen die
Sicherheitslage in Afghanistan grundlegend verschlechtere, ist bei den
meisten Beobachter:innen unbestritten.
## Finnland setzt Abschiebungen aus
Die Bundesregierung aber hält bislang an der Überzeugung fest, dass die
Sicherheit der Abgeschobenen nicht überall im Land gefährdet sei. Inwieweit
das [3][nach dem Abzug der Nato] immer noch gelte, ließ das
Innenministerium am Dienstag auf Anfrage der taz unbeantwortet. Ein
Sprecher verwies auf die Äußerungen von Regierungssprecher Seibert.
Zum Gesuch aus Kabul hieß es tags zuvor aus dem BMI, die Bitte der
afghanischen Regierung werde „geprüft“, die Bundesregierung werde sich mit
anderen europäischen Ländern austauschen. Finnland hat bislang als einziges
Land angekündigt, dem Wunsch Kabuls nachzukommen.
Dass ein Abschiebestopp aus Deutschland politisch nicht gewollt ist, machte
der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten
Frei, deutlich. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte der
CDU-Abgeordnete: „Ich wüsste nicht, wie ein Stopp helfen könnte, die
angespannte Sicherheitslage zu entspannen.“
Frei verwies zudem auf die niedrige Zahl der Abgeschobenen: „Ehrlicherweise
kann ich diese konkrete Forderung nach einem Abschiebestopp nicht
nachvollziehen, da es sich nur um sehr wenige Personen handelt“. Seit 2016
sind insgesamt etwas mehr als 1.000 Menschen nach Afghanistan
zurückgebracht worden.
## Kritik von den Grünen
Die grüne Bundestagsabgeordnete und Vize-Präsidentin des Bundestags,
Claudia Roth, spricht von einer „innenpolitisch motivierten“
Abschiebepraxis, die auch schon vor dem Abzug der Nato-Truppen „falsch“
gewesen sei.
Dass die Bundesregierung auch jetzt, nach der Bitte Kabuls, an
Abschiebungen festhält, bezeichnet Roth der taz gegenüber als
„starrsinnig“: „Afghanistan ist nach wie vor ein vom Terror und Bürgerkrieg
geplagtes Land, in dem kein Mensch sicher sein kann“, so Roth.
[4][Wie gefährlich] Afghanistan für die Abgeschobenen ist, hat vor kurzem
eine Studie der Universität Bern gezeigt. Demnach drohen abgelehnten
Asylbewerbern und deren Familien bei einer Rückkehr Gewalt, Diskriminierung
und Stigmatisierung.
Die meisten aus Deutschland abgeschobenen Afghanen verlassen deshalb das
Land kurz darauf wieder. Das Auswärtige Amt hatte eine Gefährdung für
Abgeschobene in der Vergangenheit nicht feststellen können.
13 Jul 2021
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## AUTOREN
DIR Ralf Pauli
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