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       # taz.de -- Serie über Drogenkrieg in Mexiko: Das Morden geht weiter
       
       > Zum Verbrechen gezwungen werden, ist bitterer Alltag in Mexikos
       > Drogenkartellen. Die Netflix-Serie „Somos.“ erzählt von den Opfern.
       
   IMG Bild: Doña Chayo (Mercedes Hernandez) und Paquito (Jesús Sida) in der Serie „Somos.“
       
       Paquito sollte eigentlich kochen, aber er zieht es vor, zu flüchten. Denn
       wenn bei den „Zetas“ vom „Kochen“ und der „Küche“ die Rede ist, geht es
       darum, Leichen in Metallfässern zu verbrennen. Doch der Versuch des jungen
       Mannes, sich der Zwangsarbeit des Kartells des organisierten Verbrechens zu
       entziehen, kostet ihn selbst das Leben. Die Kriminellen erschießen ihn.
       Wenige Wochen vorher haben ihn Polizisten grundlos verhaftet und in ein
       Gefängnis gesteckt, das den Zetas als Hauptquartier dient. Dort wird er mit
       anderen Häftlingen zusammen abgeholt und dazu gezwungen, an einem Massaker
       in einer nordmexikanischen Kleinstadt teilzunehmen.
       
       Paquito ist einer der Protagonisten der [1][Netflix-Produktion „Somos.“],
       die jetzt bei dem Streaming-Anbieter angelaufen ist. Seine Geschichte ist
       so realistisch wie die von allen, die in der Miniserie eine Hauptrolle
       spielen. Niemand von ihnen hat sich freiwillig entschieden, für ein Kartell
       zu arbeiten. So auch nicht Maria, die entführt wurde und sich in einem
       illegalen Bordell prostituieren muss, oder Benjamin, der unerwartet an der
       gewaltsamen Eintreibung von Schutzgeld beteiligt ist. Sie alle bezahlen in
       der Serie mit dem Leben.
       
       In den letzten Jahren sind eine Menge Serien über den sogenannten
       mexikanischen Drogenkrieg entstanden. Einige erheben den Anspruch, [2][wie
       „El Chapo“ über den Mafiaboss Joaquín Guzmán], eine an der Wirklichkeit
       orientierte Geschichte zu erzählen. Doch keine der Produktionen wird dem so
       gerecht wie „Somos.“. Dem Film liegt ein blutiger Überfall auf die
       Kleinstadt Allende nahe der US-Grenze zugrunde, der 2011 stattgefunden hat.
       300 Menschen wurden damals hingerichtet.
       
       ## Serie zeichnet das Bild eines grausamen Alltags
       
       „Somos.“ zeigt, wie ein Kartell den Alltag der Menschen bestimmt. Das geht
       weit über das Geschäft mit Marihuana, Opium oder Heroin hinaus. Die
       Kriminellen durchdringen alle wirtschaftlichen Bereiche: von der
       Prostitution über Menschenschmuggel bis zur Autowäsche.
       
       Da „Somos.“ diese alltäglichen Verhältnisse aufzeigt, macht die Serie
       deutlich, dass das, was in Allende geschah, jeden Tag wieder passieren
       kann. In vielen Gemeinden Mexikos herrschen solche Verhältnisse. Die
       Pulitzerpreisträgerin Ginger Thompson hatte den Fall Allende recherchiert
       und auf der Plattform pro publica 2017 veröffentlicht. Die US-Journalistin
       konzentrierte sich auf die überlebenden Opfer der Kriminellen und
       veröffentlichte zugleich den Hintergrund: Die Zetas, deren Gründer als
       Elitesoldaten von US-Experten ausgebildet worden waren, rächten sich mit
       ihrem Massaker an eigenen Leuten, die der US-Antidrogenbehörde DEA
       Informationen gesteckt hatten.
       
       Der Verrat wäre wohl nie aufgeflogen, hätte die DEA ihr Wissen nicht an
       mexikanische Ermittler weitergegeben, die sofort die Zeta-Führung
       informierten.
       
       Mexikanische Verhältnisse eben. Wenig verwunderlich, dass auch lokale
       Polizisten und die Leitung des nahegelegenen Gefängnisses in Allende für
       die Kriminellen arbeiteten. Erst lange Zeit später berichteten Journalisten
       über das Massaker, schließlich konnte jede Recherche tödlich enden. Die
       Strafverfolger ließen sich drei Jahre Zeit, bis sie erstmals vor Ort
       ermittelten. Dabei hatten die Überlebenden gleich nach dem Angriff die
       Armee informiert, für die damals in dieser Region der heutige
       Verteidigungsminister Luis Cresencio Sandoval zuständig war. Sowohl das
       Militär als auch die bundesstaatliche und die föderale Regierung hielten
       still.
       
       Die Zetas haben sich mittlerweile ziemlich zerlegt, doch das Morden geht
       weiter. Täglich kostet der Terror der Kartelle viele Menschen das Leben. In
       den vergangenen Tagen starben bei Kämpfen in der Stadt Buenavista im
       Südwesten Mexikos mindestens 45 Menschen. Die Bewohnerinnen und Bewohner
       hatten Schutz von der Armee gefordert. Doch die Sicherheitskräfte, so
       schrieben sie in sozialen Netzwerken, hätten sie im Stich gelassen. So wie
       damals in Allende.
       
       20 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.netflix.com/de/title/81008489
   DIR [2] /Politik-und-Drogenbosse-real-und-medial/!5652419
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wolf-Dieter Vogel
       
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