URI: 
       # taz.de -- Geschlechtergerechtigkeit abgelehnt: Kein Netzwerk für Deerns
       
       > Mit dem Stadtmarketing-Maskottchen „Vegesacker Junge“ werden nur junge
       > Männer gefördert. Eine Bremerin wollte das ändern – und stieß auf eine
       > Wand.
       
   IMG Bild: Früher war alles gut: Günther Bruckmeyers Relieftafel „Vegesacker Jung un sine Gesche“ von 1978
       
       Bremen taz | Nein, mit Geschlechtergerechtigkeit haben sie es nicht so in
       Bremen-Vegesack. Oder besser: Der Ortsamtsleiter hat es nicht damit und
       auch nicht der Förderverein „Vegesacker Junge“, der alle vier Jahre zwei
       junge Männer zwischen 18 und 28 Jahren auserwählt, das Maskottchen des
       Nordbremer Stadtteils zu verkörpern. Genutzt wird es vor allem zu
       Marketingzwecken.
       
       Warum nicht auch junge Frauen den Stadtteil repräsentieren könnten, wollte
       Kyra Behrje, ehemaliges Ortsbeiratsmitglied für die Linke vom Förderverein
       wissen. Denn solange es keine Vegesacker Deern gebe, seien junge Männer in
       Vegesack im Vorteil, sagt sie. „Das ist mehr als eine Symbolfigur, es geht
       auch ums Netzwerken.“ Die ausgewählten Vegesacker Jungen lernen bei
       Empfängen und Preisverleihungen auch Arbeitgeber*innen in der Region
       kennen und können sich das Ehrenamt in ihren Lebenslauf schreiben.
       
       Dabei habe sie noch keine bösen Absichten vermutet, als sie den Verein
       anschrieb, erzählt sie. „Manchmal steckt ja auch einfach Unachtsamkeit
       dahinter.“ Die Antwort des Vereins habe sie dann so schockiert, dass sie
       sich jetzt an die taz wandte. „Für eine Diskussion über dieses Thema stehe
       ich nicht zur Verfügung (auch kein anderes Vorstandsmitglied)“, steht in
       der Mail, die der Vereinsvorsitzende Ernst Ludwig Neuenkirchen an Behrje
       schickte. Allerdings nicht direkt an sie, er wollte nicht persönlich mit
       ihr Kontakt aufnehmen – sondern ließ seine Mail vom Ortsamtsleiter Heiko
       Dornstedt (SPD) an sie weiterleiten. Sie liegt der taz vor.
       
       Direkt ihr gegenüber geäußert hat sich hingegen ein ehemaliger
       Vorstandsvorsitzender. Er schrieb Behrje: „Dies hat sich über viele Jahre
       gut bewährt, bedarf keiner Änderung und sollte in Zukunft auch so bleiben.“
       
       Behrje wollte sich damit nicht zufriedengeben und stellte – damals noch
       Mitglied der Linken-Fraktion – im März 2020 im Beirat, dem
       Stadtteilparlament, einen Antrag. Danach hätte der Beirat den Verein
       auffordern sollen, auch junge Frauen auszuwählen. Allerdings scheiterte sie
       schon vor Abstimmung, weil der Antrag nicht vom Ortsamtsleiter Heiko
       Dornstedt zugelassen wurde. Die Begründung: Der Beirat dürfe sich nicht in
       Vereinsangelegenheiten einmischen. Behrje entgegnet, dass der Beirat
       durchaus Empfehlungen geben könne.
       
       Doch offenbar geht es Dornstedt gar nicht um eine Formalität, sondern ums
       Prinzip. Der taz sagt er zu dem Thema: „Auf einem Fischkutter werden sie
       damals keine Mädchen finden, auch nicht divers und nicht weiblich.“ Das
       sagt er wohlgemerkt über eine erfundene Figur. Denn ihr historischer
       Ursprung ist unklar (siehe Kasten).
       
       Behrje macht das Verhalten des Vereins ziemlich wütend. „Ich finde es
       erschreckend, dass der Ausschluss von Frauen als Privileg wahrgenommen
       wird“, sagt sie. Auch mit Unachtsamkeit sei eine solche Reaktion nicht mehr
       zu entschuldigen gewesen. „Es ist veraltet, diskriminierend und ich würde
       sogar sagen: frauenfeindlich.“ Dabei habe sie dem Verein den Vegesacker
       Jungen nicht nehmen, sondern nur ergänzen wollen.
       
       Aber davon will der Verein, dessen vierköpfiger Vorstand aus drei Männern
       und einer Frau besteht, nichts wissen. Neuenkirchen schlug Behrje sogar
       vor, doch einen eigenen Verein zu gründen. „Frauen gehören dazu und nicht
       daneben“, sagt Behrje zu dem Vorschlag. Sie habe außerdem nicht die Mittel
       und Kontakte, die sich der Verein über dreißig Jahre aufgebaut hat.
       
       Behrje fordert jetzt Konsequenzen. „Sollte sich nichts ändern, sollte man
       auch darüber nachdenken, ob der Vegesacker Junge weiter die richtige
       Repräsentanz ist“, fragt sie. Denn: „Was ist eine Tradition wert, wenn sie
       nicht mehr zum heutigen Leben passt?“
       
       Der Vereinsvorsitzende Neuenkirchen wollte der taz seine Position nicht
       erklären. Derzeit sammelt der Verein Geld, auch der Ortsamtsleiter
       Dornstedt hilft dabei. Zum 400. Hafengeburtstag in Vegesack soll eine
       Statue des Vegesacker Jungen enthüllt werden. Rund 33.000 Euro soll die
       1,70 Meter große Statue kosten. Dazu sagt Behrje: „Das wäre dann Sexismus
       in Stein gegossen.“
       
       6 Jul 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lisa Bullerdiek
       
       ## TAGS
       
   DIR Bremen
   DIR Geschlechtergerechtigkeit
   DIR Diskriminierung
   DIR Marketing
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Feminismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR 400 Jahre Hafen Bremen-Vegesack: Im Schatten der Düne
       
       Bremen hat den ältesten künstlichen Hafen Deutschlands. Heute fristet er
       ein Dasein zwischen gescheiterten Großprojekten und Werften für
       Superreiche.
       
   DIR Autorin über Patriarchales Design: „Geeicht auf 40-jährigen Mann“
       
       Von der Toilettenbenutzung bis zu den Algorithmen: Rebekka Endler über eine
       Welt, die sich nach Durchschnittsmännern richtet.
       
   DIR Forderungskatalog „Berliner Erklärung“: Mehr Frauenquoten müssen her
       
       Verbände fordern die Parteien auf, für Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen.
       Dafür brauche es klare Gesetze, mehr Geld und neue Ideen.