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       # taz.de -- Nigers Präsident im taz-Interview 2021: „Die Terrorgruppen sind stark“
       
       > Nigers Präsident Mohamed Bazoum ist überzeugt, dass es gegen den
       > islamistischen Terror in Afrikas Sahelzone eine internationale
       > militärische Lösung braucht.
       
   IMG Bild: Nigers Präsident Mohamed Bazoum in Berlin
       
       taz am wochenende: Herr Präsident, Sie besuchen Berlin in einer besonderen
       Zeit. Deutschland hat soeben seinen [1][Militäreinsatz in Afghanistan
       beendet], erfolglos. Jetzt sagen manche, man sei dabei, in der Sahelzone
       dieselben Fehler zu machen. 
       
       Mohamed Bazoum: Afghanistan und die Sahelzone sind ganz verschieden und ich
       glaube nicht, dass Deutschland sich in der Sahelzone so engagiert wie in
       Afghanistan. In Niger ist Deutschland bei der Ausbildung der Spezialkräfte
       tätig, bei ihrer Ausrüstung und beim Bau von Infrastruktur. Das sind
       notwendige Dinge, aber sie gefährden keine deutschen Menschenleben. Es gibt
       keine deutschen Soldaten in Militäroperationen in Niger.
       
       Sie haben mehrfach gesagt, dass für Nigers Stabilität Mali sehr wichtig
       ist… 
       
       Ganz genau.
       
       …und [2][in Mali] stehen die Deutschen und fragen sich: Wir bilden die
       Armee aus und sie putscht, wir werden angegriffen – was läuft da schief? 
       
       Ich kann wirklich kein Urteil über Mali abgeben. Was ich weiß, ist, dass
       die Dinge sich nicht so gut entwickeln wie erhofft. Wir hatten 2013 große
       Hoffnungen in Präsident Ibrahim Boubacar Keita gesetzt. Wir hatten die
       Putschisten von 2012 bekämpft, ebenso die Sezessionisten im Norden. Wir
       stehen auf Malis Seite und waren daher auch gegen die Putsche von August
       2020 und April 2021. Aber all diese Vorfälle zeugen von einer gewissen
       Dysfunktionalität des malischen Staates, die mit den für Februar 2022
       geplanten Wahlen ein Ende finden muss.
       
       In Niger gab es dieses Jahr bereits [3][mehrere hundert Tote bei
       terroristischen Angriffen]. Wieso dauert das an, nach jahrelangen
       Bemühungen der Terrorbekämpfung? 
       
       In diesem Jahr haben wir viel weniger tote Soldaten als 2019 und 2020. Aber
       es gibt sehr viel mehr zivile Tote. Das verweist auf eine Schwächung der
       Terroristen. Sie greifen eher isolierte unschuldige Bevölkerungen an als
       wie früher das Militär. Zivilisten sind ein einfaches Ziel, Massenmorde
       sind ein Instrument von Terroristen, denen nichts mehr einfällt. Doch die
       Bedrohung ist kaum geringer wegen der Verschlechterung der Lage in Mali.
       Die Terroristen des „Islamischen Staates der Großen Sahara“ (ISGS) haben
       ihre Basen in den Regionen Ménaka und Gao in Mali. Dort hat die Präsenz des
       Staates stark abgenommen. In Menaka ist er fast gar nicht mehr vorhanden,
       in Gao vielleicht in den Städten, aber die ländlichen Gebiete sind von
       Terrorgruppen besetzt. Dies hat einen negativen Einfluss auf die Lage in
       Niger.
       
       Sie haben vor kurzem gesagt: Es gibt keinen einzigen nigrischen
       Dschihadisten, es sind alles Ausländer. 
       
       Nein. Ich habe gesagt, dass es keine nigrischen Führer von Terrorgruppen
       gibt. In der Sahelzone gibt es drei Terrorchefs. Iyad ag Ghali, ein Tuareg,
       und Amadou Koufa, ein Peul, führen das Bündnis JNIM (Gruppe für die
       Unterstützung des Islams und der Muslime). Sie sind beides Malier und
       gehören zu Al-Qaida im Islamischen Maghreb. Und es gibt ISGS (Islamischer
       Staat in der Großen Sahara), geführt von einem Sahrawi. Dort gibt es viele
       nigrische Kämpfer, aber nur in niederen Rängen; die Kommandoebenen sind
       Sahrawis.
       
       Niger hat interethnische Massaker erlebt; Menschen werden auf Grund ihrer
       ethnischen Identität angegriffen. Es gibt also schon Konflikte innerhalb
       der Gesellschaft. 
       
       Ja. Eine Bewegung dieser Art, die von Menschen aus einer Gemeinschaft
       geführt wird, kann nur Spannungen zwischen Gemeinschaften produzieren.
       
       Wie ist damit umzugehen? 
       
       Die Aufgabe des Staates ist es, den Gemeinschaften zu erklären, dass es
       nicht in ihrem Interesse liegt, den Einladungen der Terroristen zu folgen;
       keine Gemeinschaft zu stigmatisieren; die bestmöglichen Beziehungen
       zwischen ihnen zu pflegen.
       
       In Ihrer [4][Antrittsrede als Präsident] nannten Sie als Ihre Priorität:
       Bildung. Wieso? 
       
       Weil Bildung die Grundlage aller Entwicklungsaussichten ist. Ich habe die
       staatlichen Dienstleistungen evaluiert und festgestellt, dass der
       Bildungssektor am schlechtesten funktioniert. Dabei ist Bildung die
       Grundlage des Fortschritts. Also widme ich mich der Rehabilitierung von
       Bildung und ihrer Förderung mit Ressourcen und Reformen, die mir zwingend
       erscheinen.
       
       Hier hat man manchmal den Eindruck, Niger sei nur als Transitland für
       Migranten interessant und am wichtigsten sei es, die Emigration zu
       bekämpfen, also Ihnen bei der Kontrolle und Schließung der Grenzen zu
       helfen, damit keine Westafrikaner mehr über Agadez nach Libyen kommen. 
       
       Das ist eine Sichtweise von Journalisten und der europäischen
       Zivilgesellschaft. Es ist eine gängige linke Kritik an europäischen
       Regierungen. Sie ist etwas zu karikaturhaft, auch wenn das, was Sie sagen,
       ein Stückchen Wahrheit enthält. Ja, Länder wie Italien haben sich aus
       diesem Grund für Niger interessiert, und sogar Deutschland hat uns deswegen
       vielleicht mit mehr Interesse betrachtet. Aber Deutschland hat eine alte
       Zusammenarbeit mit Niger, die weiter zurückgeht als dieses Bild von Niger
       als Transitland.
       
       Aber nehmen wir einen 18-Jährigen in Niger. Er kann nicht nach Europa, er
       hat keine Arbeit, Banditen oder eine bewaffnete Gruppe, dschihadistisch
       oder nicht, könnten ihn anwerben und ihm schnelles Geld versprechen… 
       
       Es kommen keine Nigrer nach Europa, von daher stellt sich diese Frage
       nicht. Sie haben selbst gesagt, dass wir ein Transitland sind! Europa wird
       nicht überall in Afrika als die Lösung für das Problem der
       Jugendarbeitslosigkeit gesehen. Und nur sehr wenige Jugendliche bei uns
       gehen zum Terrorismus, denn dieser richtet sich nicht an alle Jugendlichen
       in Niger, nur an gewisse Gemeinschaften. Grundsätzlich finde ich nicht,
       dass die Europäer Lösungen für afrikanische Probleme finden müssen. Den
       Europäern ein schlechtes Gewissen zu machen für ihr Scheitern in Afrika und
       für ihre Verantwortung gegenüber Afrika – ich glaube nicht an eine solche
       Verantwortung. Aber wir müssen Solidarität zwischen den Kontinenten
       entwickeln, um die Herausforderungen anzugehen, mit denen die Schwächsten
       konfrontiert sind. Die internationale Zusammenarbeit und die globale
       Ordnung müssen entsprechenden Regeln folgen, um globale Sicherheit zu
       organisieren. Das ist auf UN-Ebene zu diskutieren, und es geschieht zu
       wenig. Die Weltordnung ist ungerecht geregelt. Der exzessive Liberalismus
       in der Weltwirtschaft hat perverse Auswirkungen, die Kontinente wie Afrika
       abhängen. Das geht die ganze Welt an, nicht nur Europa in Bezug auf den
       Nachbarn Afrika.
       
       Aus Deutschland reisen Sie nach Frankreich weiter. Dort will Präsident
       [5][Emmanuel Macron die Antiterroroperation Barkhane im Sahel beenden].
       Sind Sie einverstanden? 
       
       Ich bin vollständig einverstanden. Schon lange haben wir die Art der
       französischen Präsenz evaluiert und festgestellt, dass sie nicht angemessen
       ist. Frankreich setzt eine große Zahl von Soldaten ein, aber ihre
       Einsatzdoktrin kann nicht effizient sein aufgrund der Natur des Feindes.
       Der Feind bewegt sich auf Motorrädern, in kleinen Gruppen. Wenn Frankreich
       seine großen militärischen Mittel einsetzt, merken die das sofort und
       verstecken sich, verschmelzen mit der Natur. Die Franzosen können tagelang
       im Einsatz sein und auf keinen einzigen Feind treffen. Das bringt nichts.
       Man muss die Operation Barkhane herunterfahren und nur die Elemente
       behalten, die der Lage entsprechen. Wir könnten mit den Franzosen darüber
       reden, und wenn Frankreich unserer Sichtweise zustimmt, wäre das gut.
       
       Gibt es überhaupt eine militärische Lösung für den Terror in der Sahelzone? 
       
       Ja. Die Lösung ist aus meiner Sicht zwangsläufig militärisch, auch wenn wir
       darüber nicht vergessen dürfen, die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern,
       damit diese Art von Banditentum nicht zum Lebensstil zahlloser Jugendlicher
       wird. Im Sahel gibt es Terrorismus, weil der Islamische Staat im Irak die
       Sahelzone zum Epizentrum ihres Kampfes erklärt hat. Waffen werden von
       IS-Offiziellen aus Libyen in die Sahelzone gebracht. Dass sehr arme Kinder
       sehr teure Waffen tragen, ist der Beweis, dass da jemand dahinter steckt!
       Sie haben proportional mehr Kämpfer mit teuren Waffen als unsere Armeen.
       Die haben sie nicht mit ihren eigenen Mitteln gekauft! Die Finanzierung
       kommt von woanders…
       
       Wollen Sie sagen, die Terrorgruppen sind stärker als Ihre Armeen? 
       
       Sie sind sehr stark. Ich sage: Der Anteil sehr teurer Waffen an ihrer
       Gesamtausrüstung ist höher als bei unseren Armeen. Aber unsere Armeen sind
       größer, kampferfahrener, und sie haben nicht nur Gewehre und Granatwerfer,
       sie haben – momentan mit Gottes Hilfe – gepanzerte Fahrzeuge und
       Hubschrauber, was diese Gruppen nicht haben. Also ist das Kräfteverhältnis
       auf unserer Seite.
       
       Sind Sie Optimist? Wird der Terror in Niger bis zu den nächsten Wahlen
       besiegt sein? 
       
       Wieso?
       
       Keine Ahnung… 
       
       Ich würde das jedenfalls nicht sagen. Der Terror ist ein internationales
       Phänomen. Er wird aus Irak, Syrien, Libyen, aus der ganzen Welt finanziert.
       Wenn es Nigrer wären, dann hätten wir mit ihnen gesprochen, wir wüssten,
       was sie wollen. Aber sie haben gar keine Forderungen an uns. Sie befinden
       sich nicht auf unserem Staatsgebiet. Also kann man nicht wissen, ob das
       beendet sein wird oder nicht. Die Lösung im Kampf gegen den Terror ist
       militärisch, davon bin ich überzeugt.
       
       10 Jul 2021
       
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