# taz.de -- Neues Album von João Donato: Zwischen Rio und Acre
> João Donato war Miterfinder des Bossa Nova. Nun erscheint ein neues Album
> des inzwischen 86-Jährigen auf dem „Jazz Is Dead“-Label.
IMG Bild: Wie er seine Musik nennt? „Darüber denke ich noch nicht einmal nach“, sagt João Donato
Wie eine Kralle ragt Urca in die Guanabarabucht hinein: Der Stadtteil ist
eins der schönsten Viertel Rio de Janeiros, eine Halbinsel voller
tropischer Vegetation und ruhiger Wohnstraßen, von der aus die Seilbahn
nach oben zum Pão de Açúcar führt – dem „Zuckerhut“, einem fast 400 Meter
hohen abgerundeten Felsen, der als Wahrzeichen der Stadt über Urca thront.
João Donato muss nur wenige Meter vor die Tür treten, um den Blick auf die
ausladende Bucht zu genießen. Dass er eine lebende Legende ist, kann man
sich kaum vorstellen, wenn er im Freizeitlook Rios – Hemd, Shorts und
Badelatschen – vor einem steht und einen aus seinem runden Gesicht
anstrahlt. Doch wer kann schon auf eine heute 70 Jahre lange bewegte
Karriere als Musiker zurückblicken? Auf Auftritte mit Chet Baker, Sérgio
Mendes und Tito Puente?
Donato lächelt und führt den Gast bei einem Besuch vor einigen Jahren
durchs Haus. Überall finden sich hier Spuren seines musikalischen Schaffens
und Souvenirs ausgedehnter Reisen, darunter Keramikfrösche – in Anspielung
auf seinen Song [1][„Frog“].
An den Wänden hängen Plattencover, Zeitungsartikel und Preise, im Fenster
flattert die gelb-grüne, mit einem roten Stern verzierte Fahne des
Amazonasbundesstaats Acre – hier wurde Donato 1934 geboren. Die erste
Musik, die er je wahrgenommen habe, sei Vogelgesang im Regenwald gewesen,
[2][sagt er]. Daraus habe er mit acht Jahren auf einem Akkordeon ein erstes
Lied komponiert.
Dann zieht seine Familie nach Rio de Janeiro, wo er sich bereits mit 15
Jahren als Pianist verdingt. Einige Jahre später lernt er den Gitarristen
João Gilberto und den Komponisten Tom Jobim kennen. Gemeinsam kreieren die
drei Bohemiens den [3][Bossa Nova] – einen Stil mit gehauchtem Gesang,
komplizierten Harmonien und einem beständigen Wechsel zwischen Dur und
Moll. Dies bricht mit der antiquierten Sprache des Samba und holt die
brasilianische Musik raus aus den Kellerklubs an die frische Luft.
## Der „Losers“-Nachtclub
Als der Bossa seinen Siegeszug quer über die Welt antritt, war Donato
allerdings schon längst zu neuen Ufern aufgebrochen: In den USA, wo er bis
Anfang der 1970er-Jahre überwiegend lebt, nähert er sich der
afrokubanischen Musik an, muss anfänglich aber schwierige Momente
überstehen. In Los Angeles etwa kann er kaum seine Miete zahlen und spielt
für Trinkgeld in einem Nachtclub namens „Losers“.
Nun ist Donato, inzwischen 86 Jahre alt, nach Los Angeles zurückgekehrt.
Der Komponist und (Film-)Musiker Adrian Younge hat hier mit dem
A-Tribe-Called-Quest-DJ Ali Shaheed Muhammad im Vorjahr das Label [4][Jazz
is Dead] gegründet. Entstanden aus einer gleichnamigen Partyreihe, auf der
Legenden mit jungen Jazzheads zusammentreffen, haben sie schon Platten mit
dem Neo-Soul-Vibrafonisten [5][Roy Ayers] und Bossa-Sänger [6][Marcos Valle
aufgenommen]. Ihre siebte Veröffentlichung ist nun ein Album mit und für
João Donato.
Younge und Muhammad haben dafür fast alle Songs geschrieben und zusammen
mit Donato und dem Drummer Greg Paul arrangiert und eingespielt.
Tatsächlich gelingt es ihnen auch ganz gut einzufangen, was Donatos
musikalisches Werk ausmacht: Einfach erscheinende Melodien mit lieblichen
Akkordfolgen, die komplex arrangiert werden (wie gleich im Opener „Não
Negue Seu Coracão“) und ihre Details manchmal erst beim wiederholten Hören
offenbaren („Liasons“). Mal scheinbar gemächlich („Desejo de Amor“), mal
treibender („Forever More“). Gelegentlich, wie in „Aquarius (Bring Her
Home To Me)“, plätschert es aber auch etwas zu erwartbar vor sich hin.
Vier Alben seines Schaffens sind essenziell: Auf der ersten Platte „Muito à
vontade“ von 1962, einem Klassiker der Música Popular Brasileira (MPB),
klingen seine Bossa-Melodien am Klavier noch so unbeschwert wie eine
leichte Brise am Strand, während er auf [7][„A Bad Donato“] (1970) kurz vor
dem Ende seiner US-Phase das Piano gegen ein Fender Rhodes eintauscht und
nicht mehr aufzuhalten ist.
Als „psychedelic funky experience“ wurde das Album damals nicht zu Unrecht
beworben. 35 Jahre später gewinnt seine Platte „Sambolero“, wie zum
Karrierebeginn in schlichter Besetzung als Trio, mit luftigen Samba- und
Bossa-Klängen einen Latin Grammy in der Kategorie Jazz – als ob er zu
seinen Wurzeln zurückkehren wollte. Auf [8][„Donato Elétrico“] (2016)
öffnet er sich schließlich wieder zeitgenössischen Trends, wofür er unter
anderem mit den Afrobeat-Revivalisten von Bixiga 70 kooperiert.
Vielleicht sollte man bei Donato von Kreisbahnen sprechen, auf denen er
sich bewegt. „Ich bin weder allein aus Rio de Janeiro noch aus Acre“, sagt
er. „Ich bin aus allen Flüssen und kehre immer dahin zurück, woher ich
aufgebrochen bin.“ Wie er seine Musik selbst beschreiben würde? „Darüber
denke ich noch nicht einmal nach. Und ich weiß nicht, ob es dafür überhaupt
einen Namen gibt.“
19 Jul 2021
## LINKS
DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=anai2-lTlk4
DIR [2] https://oglobo.globo.com/cultura/joao-donato-um-jovem-aos-80-anos-13142405
DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=oE8rYqP1Ejg&list=PLShrKlH-KW6WqLCPxur0xF4JjLRfUtQ1J
DIR [4] https://jazzisdead.co/
DIR [5] https://royayers.bandcamp.com/album/roy-ayers-jid002
DIR [6] https://marcosvalle.bandcamp.com/album/marcos-valle-jid003
DIR [7] https://www.youtube.com/watch?v=ri-Ppzct3pY
DIR [8] https://www.youtube.com/watch?v=MbC790rC4kI
## AUTOREN
DIR Ole Schulz
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