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       # taz.de -- Karen Black als Sängerin entdeckt: Rohdiamanten aus dem Backofen
       
       > Als Schauspielerin wirkte Karen Black in vielen Filmen mit. Ein Album
       > bringt der Nachwelt nun ihre großen musikalischen Fähigkeiten nahe.
       
   IMG Bild: Erinnert an die frühe Joni Mitchell: Karen Black
       
       Wenn eine Künstlerin kurz vor Fertigstellung eines eindrucksvollen
       Debütalbums verstirbt, fragt sich die Nachwelt für gewöhnlich trauernd, was
       ihr durch den Verlust alles entgeht. Im Falle der 1939 geborenen, [1][2013
       einem Krebsleiden erlegenen Karen Black] liegt der Fall etwas anders:
       Angesichts der Veröffentlichung von „Dreaming Of You 1971–1976“ überlegt
       man sich zwar auch, wozu diese Sängerin und Songautorin womöglich sonst
       noch imstande gewesen wäre.
       
       Andererseits liegt hinter ihrer musikalischen Enthaltsamkeit eine
       biografische Entscheidung: Karen Black war mit vielen Talenten gesegnet.
       Gesang, Poesie, Komposition, Schauspiel – alle diese Dinge fielen ihr
       leicht, in allen zeigte sie so viel Kompetenz, dass sie sie zu ihrer
       Profession hätte machen können. Sie entschied sich für die Schauspielkunst.
       
       Das war offensichtlich kein Fehler. Bühne und Leinwand waren ihre erste
       Liebe, und schon als Teenager spielte sie in ihrer Geburtsstadt Chicago
       Theater. Ab 1960 wirkte sie in New York in diversen Theater-, bald darauf
       auch in Broadway-Produktionen, schließlich in TV-Serien wie „Mannix“, „Big
       Valley“ und „The F.B.I.“ mit.
       
       Ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre war sie in etlichen „New
       Hollywood“-Produktionen zu sehen, etwa 1966 in Francis Ford Coppolas
       „You’re A Big Boy Now“, [2][1969 in „Easy Rider“] und in Bob Rafelsons
       „Five Easy Pieces“ (1970), wofür sie eine Oscarnominierung und einen Golden
       Globe erhielt. Es folgte ihre erfolgreichste Phase mit größeren Rollen in
       den Hollywood-Produktionen „Airport 1975“ (1974), „The Great Gatsby“ (1974)
       und „The Day Of The Locust“ (1975).
       
       ## Nie fertiggestellt
       
       Im Jahr 1975 begann ihre Zusammenarbeit mit dem Regisseur Robert Altman,
       die sich in unregelmäßigen Abständen bis in die 1990er fortsetzte: In
       „Nashville“, Altmans Bestandsaufnahme der US-Country-Industrie, spielte sie
       eine etwas schlicht gestrickte Mainstream-Country-Sängerin und performte
       zwei Eigenkompositionen, die sie mit wohldosierter Ironie ihrer Rolle auf
       den Leib geschrieben hatte. Das Soundtrack-Album wurde für den Grammy
       nominiert.
       
       Während all dieser Jahre schrieb Karen Black regelmäßig für den Eigenbedarf
       Poesie, komponierte Songs und ging gelegentlich sogar ins Aufnahmestudio,
       wo sie etwa mit Starproduzenten wie Bones Howe (der Elvis Presley, und Tom
       Waits zu Ruhm verhalf) und Elliot Mazer (Neil Young, Linda Ronstadt, Gordon
       Lightfoot) Aufnahmen machte, die allerdings – warum auch immer – nie
       fertiggestellt, geschweige denn veröffentlicht wurden.
       
       Das Wissen um diese Aufnahmen und die Tatsache, dass sie jetzt der
       Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, verdanken wir dem kalifornischen
       Singer-Songwriter Cass McCombs. Ein gemeinsamer Freund machte ihn 2008 mit
       Black bekannt, als McCombs gerade an seinem vierten Album, „Catacombs“,
       arbeitete.
       
       Für den Eröffnungssong „Dreams-Come-True-Girl“ legte Black einen grandiosen
       Auftritt hin, schleicht sich ungefähr nach der Hälfte der Spielzeit mit
       zaghaften, zunächst kaum hörbaren Vokalarabesken ins Geschehen, bevor sie
       ihn plötzlich entschlossen ganz übernimmt, den Text in eine neue Richtung
       lenkt und ihn schließlich in diesem Sinne abschließt.
       
       ## Kisten voller Tapes
       
       Black und McCombs freundeten sich an, und Black ist auch auf zwei Titeln
       von McCombs Album „Big Wheel And Others“ zu hören, das 2013 kurz nach ihrem
       Tod erschien und die Widmung trägt: „Dedicated to the memory of Karen
       Black“. 2012 hatten sie angefangen, gemeinsam an Songs für Blacks erstes
       eigenes Album zu arbeiten.
       
       „Sie hatte mir ihre gesamten Gedichte übergeben“, erzählt McCombs, „und ich
       versuchte ihnen ein Metrum zu geben, um aus ihnen Songs machen zu können.“
       Zwei Titel konnten sie noch zusammen fertigstellen: „I Wish I Knew The Man
       I Thought You Were“, ein relaxt dahinrollender autobiografischer
       Alt-Country-Song über einen übergriffigen Hochschullehrer, und das eher
       skizzenhaft wirkende „Royal Jelly“, die sich beide nun quasi als Gäste auf
       dieser Compilation ihrer Aufnahmen aus den Siebzigern finden.
       
       Nach Blacks Tod überließen ihre Erben Cass McCombs Kisten voller Tapes ohne
       nähere Angaben wie Aufnahmedatum, -ort oder den Namen daran Beteiligter. In
       mühseliger Restaurationsarbeit konnte McCombs zusammen mit einem
       spezialisierten Toningenieur aus diesem Material 15 Titel zur
       Veröffentlichungsreife herausbacken (buchstäblich: alte Tapes werden im
       Backofen wieder abspielbar gemacht!).
       
       ## Nackt, roh – und oft toll
       
       Auf den meisten davon performt Karen Black solo zur Nylonsaitengitarre und
       nicht nur wegen der trotz Nachbearbeitung bescheidenen Klangqualität
       klingen sie eher wie Demos als wie unfertige Masterproduktionen, sondern
       auch wegen des fehlenden „Sweetenings“. Wenn tatsächlich
       Erstligaproduzenten wie Bones Howe und Elliot Mazer damit zu tun hatten,
       wundert man sich, dass es kaum Begleitmusiker oder auch nur dramaturgische
       Überarbeitungen, keine Intros oder Schlüsse, keine Bridges, nur pure
       Strophe-Chorus-Strukturen gibt.
       
       Nackt und roh, das alles solo – trotzdem oft ganz toll. Das liegt natürlich
       an ihrer schon auf den augenscheinlich ältesten Aufnahmen unfasslich reifen
       Stimme, dem klugen Umgang mit ihren großen vokalen Möglichkeiten.
       
       Hört man die beiden 2013er Titel zusammen mit „Babe Oh Babe“, dem einzigen
       der alten Songs, der hier in einem fertigen Bandarrangement zu hören ist
       (gearbeitet im Stil der Spätsechziger-/Frühsiebziger Bob-Dylan-Aufnahmen –
       ähnlich unambitioniert, positiv formuliert: zurückgenommen), merkt man kaum
       einen Unterschied, die Songs könnten fast aus derselben Session stammen:
       Die Stimme der 73-jährigen Karen hat kaum weniger Ausdruckskraft und
       Variabilität als die der 30-jährigen Mrs Black.
       
       ## Songs wie Skizzen
       
       Mitunter denkt man, was für eine großartige Interpretin von
       Fremdkompositionen sie womöglich gewesen wäre. So gesehen ist es schade,
       dass sich mit dem 1969er Moody-Blues-Hit „Question“ nur eine einzige
       Coverversion hier eingeschlichen hat. Andererseits: Wozu covern, wenn man
       auf so viele hochklassige eigene Schöpfungen zurückgreifen kann?
       
       Ihre eigenen Songs sind zuallererst eine Zeitreise, sie nehmen einen mit zu
       den ersten akustischen Alben von Joni Mitchell, zu Gale Garnett, Buffy
       Sainte-Marie und Judee Sill oder zur spröden Düsternis der Songs von Lal
       Waterson – viel mehr Vergleichbares gab es in der Zeit nicht.
       
       Einige der Songs klingen wie Skizzen, andere stehen für sich selbst wie
       etwa die dunklen Rohdiamanten „It All Turned Out The Way I Planned It“,
       „Dreamland“ und „Well I Know You’re Lonely Now“, einigen, etwa dem barock
       gefärbten „If I Thought You’d Ever Change Your Mind“, würde man eine
       weitere Ausarbeitung, ein etwas üppigeres Arrangement wünschen.
       
       ## Selbstbestimmte Vita
       
       Ob es auch noch Aufnahmen aus späteren Zeiten gibt, verraten die Linernotes
       nicht. In jedem Fall hat Karen Black die Musik nie ganz aufgegeben: Es gibt
       Footage aus TV-Shows, in denen sie singt, und ein Foto aus dem Studio 54
       von 1979 zeigt sie zusammen mit Carly Simon auf der Bühne. Sie spielte
       weiterhin Theater und drehte Filme, war zuletzt allerdings vor allem mit
       dem Verfassen von Theaterstücken und Drehbüchern beschäftigt.
       
       Zumindest von außen betrachtet wirkt das wie eine erfüllte selbstbestimmte
       künstlerische Vita und es zeigt sich mal wieder, dass man sich nicht ohne
       Wenn und Aber auf das Musikbusiness und seine materiellen Anreize einlassen
       muss, um tolle Musik zu machen. Auch deswegen macht einen diese
       Veröffentlichung nicht traurig, sondern froh.
       
       15 Jul 2021
       
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