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       # taz.de -- Die These: Ende des Ausnahmezustands?
       
       > Es wird Zeit, die Maßnahmen aufzuheben, die die Bürgerrechte
       > einschränken. Die Gesellschaft braucht keine Prohibition mehr.
       
   IMG Bild: Zukunftsmusik oder baldige Realität? Ein Club-Modellprojekt in Ravensburg
       
       Gerade ist die Coronalage einigermaßen entspannt, doch die Infektionen
       nehmen wieder zu und viele Leute haben Angst vor einem weiteren harten
       Herbst. Trotzdem wäre es besser, nicht zu viel über die vierte, fünfte oder
       sechste Virusvariante zu grübeln, sondern sich auch auf die mögliche
       Normalisierung des Lebens in den kommenden Monaten vorzubereiten. Die
       Chancen dafür stehen nicht schlecht.
       
       Bis August könnten 60 Millionen Bundesbürgerinnen und -bürger doppelt
       geimpft sein, etwa drei Viertel der Bevölkerung. Damit wäre eine
       ausreichende Immunität, die neue Infektionen in Grenzen hält, noch nicht
       erreicht, aber ziemlich nahe. Das Robert-Koch-Institut setzt diese Grenze
       unter den augenblicklichen Bedingungen [1][bei 85 bis 90 Prozent an, je
       nach Altersgruppe.]
       
       Vielleicht liegt diese Latte etwas zu hoch und wirkt damit zu restriktiv,
       denn zur Zahl der Geimpften kann man knapp vier Millionen Menschen
       hinzurechnen, die eine Infektion durchgemacht haben und deshalb immun sind.
       Die Dunkelziffer der unwissentlich Immunisierten geht vermutlich ebenfalls
       in die Millionen. Das trägt möglicherweise zu einer gewissen Grundimmunität
       gegen die neuen Covid-19-Viren bei, die sich in der Bevölkerung allmählich
       aufbaut.
       
       Allerdings kann die augenblicklich grassierende Delta-Variante des
       Coronavirus mehr Gesunde infizieren als der ursprüngliche Typ. Auch das
       Auftreten weiterer Varianten ist nicht ausgeschlossen. Eine exponentielle
       Zunahme der Infektionen im ungeimpften Teil der Bevölkerung könnte also
       noch möglich bleiben. Hier jedoch helfen die flächendeckenden Schnelltests.
       Und auch das Masketragen in Innenräumen könnte die Bürger:innen wohl
       noch eine Zeit begleiten.
       
       ## Maas: Beschränkungen ab September aufheben
       
       Eine positive Nachricht kommt aus Großbritannien: [2][Zwar nehmen dort die
       Infektionen wegen der Delta-Variante wieder zu,] aber die Zahlen der
       schweren Verläufe und der Krankenhauseinweisungen steigen bislang nicht
       stark. Der Grund liegt wahrscheinlich darin, dass jüngere Menschen, die
       sich jetzt überwiegend infizieren, mit dem Virus besser zurechtkommen.
       Unterm Strich dürfte deshalb die Gefahr der Überlastung des
       Gesundheitssystems auch hierzulande abnehmen. Bisher war sie eine wichtige
       Rechtfertigung für Maßnahmen, die die Freiheit beschränken. Sie könnte bald
       wegfallen.
       
       Bei aller Vorsicht sollte man deshalb auch an die Normalisierung des Lebens
       denken und nicht nur an die Gefahrenabwehr. Einige Politiker und
       Gesundheitsexperten argumentieren inzwischen in diese Richtung. So hielt
       Kanzleramtschef Helge Braun einen weiteren Lockdown, der auch Millionen
       bereits gegen Corona Geimpfter träfe, für unrealistisch.
       
       Außenminister Heiko Maas und der Kassenärztevorstand Andreas Andreas Gassen
       plädierten dafür, die Beschränkungen ab September aufzuheben. Der Chef der
       Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, erwartete zwar steigende
       Infektionszahlen im Herbst, schränkte aber ein: „Eine Gefahr für das
       Gesundheitssystem ist das nicht.“ Infektionen, schwere Erkrankungen und
       Todesfälle hätten sich zunehmend voneinander entkoppelt.
       
       Intensivmediziner Christian Karagiannidis sagte, man solle nicht mehr nur
       auf die Inzidenz, den Anstieg der Infektionen schauen. Regierungssprecher
       Steffen Seibert und das Robert Koch-Institut schienen kürzlich ebenfalls
       einen Richtungswechsel einleiten zu wollen. Möglicherweise wird also die
       Inzidenz bald nicht mehr der ausschlaggebende Faktor für Einschränkungen
       sein, sondern einer balancierten Betrachtung Platz machen.
       
       ## Bars müssen ihre Innenräume wieder öffnen dürfen
       
       Gerade für die jungen Leute könnte es ab Herbst möglich sein, [3][wieder
       ans Lernen zu denken,] an die Zukunft, an Reisen und die persönliche
       Fortentwicklung. Spaß haben, feiern und Druck ablassen ist wichtig. Die
       Polizei braucht auch mal eine Pause. Es hat zunehmend weniger Sinn, sie
       jedes Wochenende zu Großeinsätzen rauszuschicken, um dem Partyvolk das Bier
       wegzunehmen. Parks sollten nachts nicht mehr geräumt, die Alkoholverbote im
       öffentlichen Raum aufgehoben werden.
       
       Unsere Gesellschaft braucht keine Prohibition, durch die moralische
       Reinheitsgebote jenseits von Notsituationen zu längerfristiger Politik
       werden. Bars und Clubs müssen ihre Innenräume wieder öffnen dürfen, wenn
       nötig mit begrenzter Personenzahl – die nächtliche Katharsis gehört zum
       Leben dazu. Schulen und Universitäten sollen zum Normalbetrieb
       zurückkehren.
       
       Voraussetzung für dieses Plädoyer: Die Lage in den Krankenhäusern bleibt
       einigermaßen stabil, und es sterben nicht Zehntausende Menschen zusätzlich
       an Corona. Wenn sich das jedoch nicht abzeichnet, müssen nach und nach alle
       gesetzlichen und exekutiven Einschränkungen aufgehoben und beseitigt
       werden, die mit Corona begründet wurden, etwa die Änderungen des
       Infektionsschutzgesetzes und die sogenannte Notbremse. Bei späterer
       Notwendigkeit, neuen Pandemien oder anderen Katastrophen, sind die Texte ja
       nicht verloren, und man kann sie jederzeit wieder hervorholen.
       
       Nun sind anderthalb Jahre Einschränkungen allerdings mehr als genug. Dies
       ist schon der zweite Coronasommer. Ewig lässt sich die Politik der Vorsicht
       und Repression nicht fortsetzen. Andere Gesichtspunkte müssen wieder in den
       Mittelpunkt rücken, zum Beispiel die im Grundgesetz garantierte
       Selbstbestimmung und Freizügigkeit.
       
       18 Jul 2021
       
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