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       # taz.de -- Vierte Pandemiewelle in den Niederlanden: Das Corona-Jojo
       
       > „Tanzen mit Janssen“ hatte der Gesundheitsminister proklamiert. Doch nun
       > sind die Zahlen wieder hoch, die Clubs dicht und das Land
       > orientierungslos.
       
   IMG Bild: Nachtleben in Amsterdam Anfang Juli 2021
       
       Amsterdam taz | Es ist ein Sommer der Ambivalenz. Eigentlich schien ihr Job
       im Schnelltestzentrum schon beendet, sagt die junge Frau an der Rezeption.
       Jetzt brummt der Laden plötzlich wieder, die Arbeit geht weiter, getestet
       wird, was das Zeug hält. Als Journalist macht man doch noch schnell einen
       Termin vor dem Interview, und geht die Kontakte der letzten Tage durch. 45
       Minuten später die SMS aus dem Zentrum: „Negativ bedeutet, dass Sie zur
       Zeit des Tests nicht ansteckend sind.“
       
       Seit einer Woche befinden sich die Niederlande in einem Stadium der
       Pandemie, das grotesker wirkt als alle vorherigen. Eben noch brach sich
       Euphorie Bahn, die meisten Beschränkungen wurden Ende Juni aufgehoben.
       Clubs öffneten, erste Festivals fanden statt, Gesundheitsminister Hugo de
       Jonge pries die Janssen-Impfung, die mit nur einer Dosis ausreichend Schutz
       liefern soll, als „ideal für einen Sommer voller Festivals“ an und verstieg
       sich zu dem Slogan „Dansen met Janssen“ (Tanzen mit Janssen).
       
       [1][Doch dann schossen die Neuinfektionen in die Höhe], in Tausenden pro
       Tag: erst eins, dann drei, dann fünf, und nun mehr als 11. In Utrecht
       infizierten sich [2][mindestens 1.000 Besucher eines Musikfestivals mit
       20.000 Menschen]. Die Clubs sind nun wieder dicht, Festivals auf 24 Stunden
       begrenzt, die Gastronomie schließt um Mitternacht. Auch die Aufforderung,
       soviel es geht von zu Hause zu arbeiten, gilt wieder. Es scheint, als
       schwinge das Land an einem Corona-Jojo: Nach dem unerwartet schnellen
       Rückfall baumelt es ein wenig orientierungslos zwischen den lang ersehnten
       Sommerferien und der heranrollenden vierten Welle.
       
       Nirgends wird dieser Zustand deutlicher als in der Hauptstadt mit ihrem
       ausgedehnten gastronomisch-hedonistischen Angebot. Seit einigen Wochen sind
       auch die TouristInnen zurück in Amsterdam, die Terrassen sind voll – auch
       jetzt, da die höchsten Infektionszahlen seit Weihnachten gemeldet werden.
       1.276 waren es in den letzten 24 Stunden, mehr als 10 Prozent der neuen
       Ansteckungen im Land. Masken sieht man trotzdem so gut wie keine in den
       Läden.
       
       ## Sorge um den Urlaub
       
       Beim Kaffee auf dem Noordermarkt im Viertel Jordaan erzählt Nachbar Mark,
       dass er seine für letzte Woche geplante Algarve-Reise absagte. Sperrstunde
       in Faro. Inzwischen sorgen sich die NiederländerInnen, dass sie in die
       anvisierten Urlaubsländer gar nicht mehr einreisen dürfen.
       
       Im Vondelpark liegen am frühen Abend zwei israelische Touristinnen im Gras.
       Zuvor waren sie in Berlin, wo deutlich mehr Masken getragen wurden,
       erzählen sie. Als nächstes Ziel stand Paris auf der Liste, was jetzt nicht
       mehr sicher ist. Eigentlich wären sie weiter weggereist, um das Ende ihres
       Militärdiensts zu begehen. Wegen der Pandemie wollten sie nicht so weit
       fort von zu Hause sein, für alle Fälle. Trotzdem: „Anfangs schien, als
       seien alle unsere Reiseziele weit offen. Doch wir wussten natürlich, dass
       sich das ändern kann.“
       
       An einem der nächsten Weiher im Park sitzen Lisa und Myriam, zwei
       Freundinnen Ende 20. Beim Feierabendbier analysieren sie die Lage. „Erst
       war es so weit weg, und jetzt sind so viele Leute um mich herum infiziert“,
       sagt Myriam. Lisa ergänzt: „Letztens ging ich zum ersten Mal wieder in
       einen Club. Ich hatte Corona, bin geimpft und extra nochmal getestet, aber
       beim Eingang hieß es dann einfach: ‚Lauf durch, wir glauben dir‘.“ Beide
       sind mit einer Janssen-Dosis geimpft.
       
       Hausarzt Fokko hat kein gutes Wort über die jüngsten Entwicklungen, doch er
       macht nicht feiernde junge Menschen verantwortlich. „Ich bin furchtbar
       enttäuscht. Es lief so gut, und dann kommen diese idiotischen Rutte und De
       Jonge und sagen: ‚Alles geht wieder.‘ Katastrophal!“
       
       ## Die Erleichterung war da. Und jetzt das!
       
       Seit Kurzem erst ist die Tür seiner Gemeinschaftspraxis wieder wie früher
       geöffnet, ohne zuvor an der Sprechanlage die Symptome abzuklären. Fokko und
       seine KollegInnen haben die Schutzkleidung abgelegt. Eine Erleichterung.
       Und jetzt das! „Für die Menschen in Krankenhäusern und Praxen, die sich
       anderthalb Jahre abgerackert haben, ist diese kurzsichtige Politik wie ein
       Messer im Rücken.“
       
       17 Jul 2021
       
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