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       # taz.de -- 80. Geburtstag von Jutta Brückner: Kino als Utopie
       
       > Erkundungen im Möglichkeitsraum: Zum 80. Geburtstag der Berliner
       > Filmemacherin, Autorin und Wissenschaftlerin Jutta Brückner
       
   IMG Bild: Die Berliner Künstlerin Jutta Brückner
       
       „Ich begann das Filmemachen in den 1970ern als Autodidaktin, nachdem ich
       das Schreiben, das ich längere Zeit betrieb, aufgegeben hatte.“ Nüchterner
       hat man eine Filmemacherin ihre Anfänge selten beschreiben gehört als mit
       diesem Satz. Jutta Brückners filmisches Werk ist schmal, umfasst gerade
       einmal neun Regiearbeiten. Dazu kommen eine Handvoll Drehbücher sowie
       einige Hörspiele. Nüchternheit hat [1][Jutta Brückner] geprägt als
       Filmemacherin wie als Lehrende. An diesem Freitag feiert die Berliner
       Künstlerin ihren 80. Geburtstag.
       
       Wer diesen prägenden Eindruck verstehen will, stößt unweigerlich auf die
       ersten Regiearbeiten von Jutta Brückner: „Tue recht und scheue niemand –
       Das Leben der Gerda Siepebrink“ (1975), „Ein ganz und gar verwahrlostes
       Mädchen – Ein Tag im Leben der Rita Rischak“ (1977) und „Hungerjahre“
       (1980). Diese drei Filme verbindet ein allmählicher Prozess der Annäherung.
       
       „Tue recht und scheue niemand“ dokumentiert in einer Collage aus Fotos und
       Gesprächsaufnahmen das Leben von Brückners Mutter. Der Film reiht sich ein
       in das Interesse an weiblichen Biografien, das eine ganze Reihe von Filmen
       der Zeit prägte, hebt sich aber auch ab, weil der Film neben dem Porträt
       auch eine Selbstverortung, eine Selbsterkundung der [2][Filmemacherin] ist.
       
       ## Abgebrochene Projekte
       
       Es passt zu diesem Film, dass Jutta Brückner in einer Selbstauskunft zu
       ihren Anfängen von einem unrealisierten Projekt schreibt: „Mein erstes
       Filmprojekt ‚Aufbrüche‘ war so autobiografisch wie meine abgebrochenen
       Schreibprojekte. In meinem Drehbuch wurde ständig vom Aufbruch geredet, nur
       fand er nicht statt.“ Brückners erste [3][Filme] sind Vorarbeiten zum
       Aufbrechen, denen das in den Filmen der Zeit so verbreitete Pathos des
       Ausbruchs fehlt.
       
       „Hungerjahre“ setzt diese Erkundungen im Spielfilm fort. Adenauerland in
       Schwarzweiß, Jugendjahre einer jungen Frau, die die Enge der Gesellschaft
       des Muffs zunehmend spürt. Als Filmkritikerin der FAZ wies Gertrud Koch
       darauf hin, die Stärke der Filme läge darin, „Spuren der 50er Jahre zu
       folgen vom Sichtbaren ins Unsichtbare, in die Vernarbungen eines
       Individuums hinein zu den Wundmalen des Subjekts, das Geschichte erleiden
       muss“.
       
       ## Innere Prozesse
       
       In den wenigen Jahren zwischen „Tue recht und scheue niemand“ und
       „Hungerjahre“ hat Jutta Brückner einen Weg gefunden, die inneren Prozesse
       ihrer Figuren, das wachsende Unbehagen mit der Gesellschaft, die sie
       umgibt, und die nie einfache Suche nach Ausbrüchen erzählbar zu machen.
       Dass die weibliche Perspektive auf die Anfangsjahre der BRD in
       „Hungerjahre“ 1980 ungewohnt war, spricht Bände über die Leerstellen der
       Filme bis dahin, dass sie heute noch ungewohnt erscheint, ist als Befund
       nicht weniger erschütternd.
       
       1980, als „Hungerjahre“ fertiggestellt wurde, schreibt Jutta Brückner in
       einem kurzen Artikel über Filme von Frauen: „Kino von Frauen existiert als
       Utopie in den unendlichen Schritten der Annäherung. Das Unentwickelte,
       dessen Form wir nicht kennen, nur ahnen, ist noch keine Alternative zum
       Bestehenden, sondern ein Defizit, aber kein Defizit zum Realen, sondern ein
       Defizit zum Möglichen.“ Über all die Jahre haben Brückners Filme, hat
       Brückner mit ihrer Arbeit als feministische Filmpublizistin, als Lehrende
       und als Direktorin der Sektion Film- und Medienkunst an der Akademie der
       Künste dazu beigetragen, das Defizit zum Möglichen etwas zu verringern.
       
       25 Jun 2021
       
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