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       # taz.de -- Solodebüt von Fritzi Ernst: Klavier-Burlesken über Depression
       
       > Das Projekt Schnipo Schranke mit Daniela Reis hat Fritzi Ernst hinter
       > sich gelassen. Ihr Debütsoloalbum „Keine Termine“ wagt sich an
       > Kabarettpop.
       
   IMG Bild: Heiter bis wolkig: Fritzi Ernst ist jetzt solo
       
       Lange war es still um Fritzi Ernst. Schnipo Schranke war das Duo, mit dem
       sie und Daniela Reis 2014 den Youtube-Algorithmus ordentlich
       durcheinandergebracht hatte. Ihr Hit hieß „Pisse“ und im zugehörigen Video
       entblößte Reis’ Ehemann Ente sein Glied und strullerte in eine Kaffeetasse.
       Das Portal sperrte den Videoclip, dennoch wurde der freche Song um
       Körpergerüche und Blowjobs zum [1][Geheimtipp des Jahres].
       
       Mief, menschliche Makel, Langeweile, Außenseitertum – in jenen teils trüben
       Gewässern segelten [2][Schnipo Schranke]. Manchmal entstand dabei Futter
       für eingängige Popsongs. Die Alben „Satt“ (2015) und „rare“ (2017)
       avancierten dementsprechend zu Lieblingen der Kritik, auch die
       Konzerttourneen waren ausverkauft. Schnell ging es auf die Festivalbühnen.
       
       Die Popularität wurde kurzzeitig erschüttert, als sich die Band weigerte,
       explizite Äußerungen zum Thema Feminismus zu machen. Bald darauf tanzten
       die beiden mit dem TV-Choreografen Detlef, „D!“ Joost vor der Kamera. Schön
       war die Zeit!
       
       ## Trennung im Streit
       
       Ein herbeigesehntes drittes Album hat man leider nie veröffentlicht, seit
       2019 gehen Reis und Ernst getrennte Wege. Sehr getrennte Wege, wie man
       hört. Während Reis mit Ente zusammen vergangenes Jahr als Duo [3][Ducks on
       Drugs] debütierte, wartete man bislang vergeblich auf neues Material von
       Fritzi Ernst. Die Tochter eines Theologenpaars aus Paderborn hat sich Zeit
       gelassen und nun erst ihr Soloalbumdebüt „Keine Termine“ herausgebracht.
       
       Groß zwischen den Zeilen lesen, warum es so lange gedauert hat, braucht man
       hier nicht. Ernst bemüht keine Allegorien, Fabeln oder Geschichten, sondern
       vertraut auf Wie-Vergleiche und tragikomische Wortspiele. Das große Thema
       ihres Albums ist Depression, es lässt sich aus Songtiteln wie „Trauerkloß“
       erahnen. Ernst verarbeitet darin tatsächlich Erfahrungen der letzten Jahre,
       in denen sie in eine Depression fiel.
       
       Sie hörte mit dem Musikmachen auf und arbeitete am Theater beim Bühnenbau.
       Inzwischen lernt sie Klavierbauerin und -restauratorin. Erst mit Abstand
       entstand die Idee für die Musik von „Keine Termine“. Die Songs hat sie 2020
       mit ihrem ehemaligen Mitbewohner Ted Gaier (Goldene Zitronen) aufgenommen.
       Nun könnte man sich freuen, dass es jemand geschafft hat, eine Depression
       zu überwinden – und natürlich ist das auf der persönlichen Ebene toll.
       
       ## Klavier, Orgel, Glöckchen
       
       Nur bedeutet das leider noch lange nicht, dass dabei auch gute Musik
       entsteht. Das Gerüst für die Songs, die hier vorgetragen werden wie beim
       Vorspiel in der Musikschule, bildet Ernsts burleskes Klavierspiel, dazu
       dezente Drums – hier und da gesellen sich auch eine Orgel und Glöckchen
       hinzu.
       
       Ausnahme ist [4][das Finale „Ich weiß“], das sich am elektronischen Popsong
       versucht. Ernsts Texte brillieren nicht gerade durch Vielfalt: Eintönigkeit
       ist King. Ihr Befindlichkeitsvoyeurismus wird sukzessive bedient und der
       vermeintliche Soundtrack der Generation Sad setzt sich aus den Vektoren
       „Allein“, „Soziophobie“, „Machos“ und „Kiffen“ zusammen.
       
       Leider – selbstverständlich in Anführungszeichen – bleibt die Musik
       indifferent: Ob es jetzt Kinderlieder mit zugehöriger
       Fritzi-Ernst-Tonie-Figur ist oder sich doch gefährlich nahe an das deutsche
       Kabarett und dessen musikalische Routinen ranwagt, bleibt unentschieden. Im
       ersteren Fall könnte man der Künstlerin noch Widerständigkeit zugestehen.
       Sollte das hier aber Erwachsenenware sein, dann heißt das Urteil: Kabarett
       gelingt Figuren wie Rainald Grebe, [5][Bodo Wartke] und Anne Folger dann
       doch besser.
       
       5 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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