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       # taz.de -- Untersuchungsausschuss zu Hanau: Bohrende Fragen
       
       > Der Weg ist frei für den U-Ausschuss zum Anschlag in Hanau. Die AfD
       > bezeichnet ihn als „überflüssig“ und sorgt für einen Eklat.
       
   IMG Bild: Rechten Terror aufklären: Startschuss für den U-Ausschuss zu Hanau im Landtag in Wiesbaden
       
       Wiesbaden taz | Am Ende einer emotionalen, teils sehr kontroversen Debatte
       hat der hessische Landtag am späten Mittwochnachmittag den Weg für eine
       parlamentarische Untersuchung [1][der neun rassistisch motivierten Morde
       von Hanau] freigemacht. Die SPD hatte den Untersuchungsausschuss beantragt,
       Linke und FDP hatten sich dem Antrag angeschlossen. Auch die
       Regierungsparteien CDU und [2][die Grünen] stimmten zu. Allein die AfD
       lehnte den Ausschuss als „überflüssig“ ab. Vor allem viele Fragen der
       Opferfamilien und der Überlebenden sollen im Mittelpunkt der Untersuchung
       stehen.
       
       Es sei die Pflicht des Parlaments, die offenen und quälenden Fragen zur
       Hanauer Mordnacht vom 19. Februar 2020 aufzugreifen und einer Aufklärung
       zuzuführen, argumentierte SPD Partei- und Landtagsfraktionschefin Nancy
       Faeser. In einer heftigen Attacke warf sie dem hessischen Innenminister
       Peter Beuth, CDU, vor, die Aufklärung wichtiger Fragen verweigert zu haben.
       „Wir brauchen den Ausschuss, weil sie 17 Monate nicht aufgeklärt haben“
       sagte sie und rief dem Minister zu: „Ein bisschen mehr Empathie im Amt
       würde den Angehörigen helfen!“
       
       So habe Beuth bis heute den Opferfamilien ein Gespräch verweigert, sagte
       Faeser und erinnerte an das Schicksal des Mordopfers Vili Viorel Păun. Der
       22-Jährige hatte in der Mordnacht den Täter vom ersten Tatort am Heumarkt
       bis nach Hanau Kesselstadt verfolgt und war dort erschossen worden. Nicht
       der Minister oder die Polizei habe öffentlich gemacht, dass er vor seiner
       Ermordung mehrfach vergeblich den Polizeinotruf angewählt hatte. Sein Vater
       hatte das zur Anzeige gebracht, nachdem ihm das Handy seines ermordeten
       Sohns ausgehändigt worden war, sagte Faeser.
       
       Obwohl am Dienstag die Staatsanwaltschaft in dieser Sache die Einleitung
       strafrechtlicher [3][Ermittlungen gegen Hanauer Polizeibeamte abgelehnt
       habe], gebe es hier gleichwohl Hinweise auf mögliches
       Organisationsversagen, argumentierten Faeser und Linken-Chefin Janine
       Wissler. Auch nach den Feststellungen der Staatsanwaltschaft seien in der
       Hanauer Polizeiwache die beiden Diensthabenden mit den vielen eingehenden
       Notrufen überfordert gewesen.
       
       ## So viel ist nicht geklärt
       
       Es müsse nun geklärt werden, wer im Polizeipräsidium oder im
       Innenministerium vom technischen Engpass der Notrufanlage gewusst habe, die
       auch bei Überlastung keine Weiterleitungsschaltung aufgewiesen habe,
       argumentierten beide Oppositionspolitikerinnen. „Wenn Vili Viorel Păun beim
       Notruf durchgekommen wäre, könnte er vielleicht noch leben“, sagten sie.
       
       Faeser und Wissler riefen eindrucksvoll die vielen bohrenden Fragen der
       Angehörigen in Erinnerung. Warum hatte der spätere Mörder einen
       Waffenschein, obwohl er bereits vor der Tat auffällig geworden war? Warum
       hatten Staatsanwaltschaft und Bundesanwaltschaft seine Drohbriefe mit
       rassistischen und rechtsextremistischen Inhalten nicht ernst genommen?
       Warum war der Notausgang des Kiosk, dem zweiten Tatort, verschlossen und
       damit der Fluchtweg versperrt und wer wusste davon? Warum dauerte es
       Stunden, bis das Sondereinsatzkommando das Wohnhaus des Täters stürmte?
       „Die Angehörigen erwarten keine Wunder, sondern einen wichtigen Beitrag zur
       Aufklärung“, sagte Faeser.
       
       Auch CDU, Grüne und FDP versprachen eine konstruktive Aufklärungsarbeit im
       Untersuchungsausschuss. Innenminister Beuth sagte zu, die Arbeit „nach
       Kräften“ zu unterstützen. Wichtige Akten könnten dem Ausschuss allerdings
       erst zugehen, wenn der Generalbundesanwalt seine eigenen Ermittlungen
       abgeschlossen habe, so der Minister.
       
       ## AfD-Sprecher sorgt für Skandal
       
       Zu einem heftigen Schlagabtausch kam es nach dem Beitrag des AfD-Sprechers
       Klaus Herrmann. Er nannte die Einsetzung des Ausschusses überflüssig und
       sprach von „parteipolitischem Linkspopulismus“; so werde Steuergeld
       verschwendet, um Polizei und Sicherheitsbehörden in Misskredit zu bringen;
       der Fall sei aufgeklärt, es handele sich um den Amoklauf eines psychisch
       kranken Menschen, sagte der AfD-Sprecher.
       
       Empört wies der frühere Landesjustizminister Jörg-Uwe Hahn, FDP, unter dem
       Beifall der anderen Fraktionen diesen Beitrag zurück. Noch nie habe ein
       Redner im Landtag der hessischen Polizei einen größeren Schaden zugefügt
       als der pensionierte Polizeibeamte Herrmann, sagte Hahn. Dessen Rede
       verstehe er als Misstrauenserklärung gegen die hessische Polizei: „Macht
       bitte keine Aufklärung, sonst kommt dabei etwas Negatives heraus“, so
       verstehe er die Warnungen vor diesem Untersuchungsausschuss, sagte der
       Ex-Landesminister.
       
       Auch Newroz Duman von der Hanauer „Initiative 19. Februar“, die sich für
       die Opferfamilien einsetzt, begrüßte den Landtagsbeschluss von SPD, Linken,
       FDP, Grünen und CDU, den Untersuchungsausschuss einzusetzen: „Es wird ein
       langes Verfahren werden. Aber wir glauben, dass der Untersuchungsausschuss
       angesichts des fortgesetzten Schweigens der Behörden eine wichtige,
       zusätzliche Möglichkeit bietet, um unserem Ziel nach lückenloser Aufklärung
       Nachdruck zu verschaffen“, sagte sie.
       
       8 Jul 2021
       
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   DIR Christoph Schmidt-Lunau
       
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