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       # taz.de -- Parlamentswahl in Bulgarien: Ex-Premier gegen Showmaster
       
       > Die Bulgar*innen wählen am Sonntag ein neues Parlament. Doch ob dieser
       > Anlauf eine funktionsfähige Regierung hervorbringt, ist unklar.
       
   IMG Bild: The Show must go on – wie auch immer: Der TV-Star Slawi Trifonow
       
       Berlin taz | Am kommenden Sonntag sind die Bulgar*innen dazu
       aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Dabei ist die letzte derartige
       Veranstaltung gerade einmal drei Monate her. Doch die Abstimmung am 4.
       April brachte keine klaren Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung
       und eine Regierungsbildung scheiterte. Seit dem 11. Mai führt ein
       Übergangskabinett die Geschäfte.
       
       Doch ob der nächste Anlauf neue Erkenntnisse und am Ende sogar eine
       funktionsfähige Regierung hervorbringt, ist unklar. Jüngsten Umfragen
       zufolge liegen die konservative Partei des langjährigen Regierungschefs
       Bojko Borissow „Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB)
       und die populistische Protestpartei des [1][Showmasters Slawi Trifonow] „So
       ein Volk gibt es“ (ITN) im Kampf um den ersten Platz fast gleich auf.
       
       Ebenfalls gute Chancen, wie schon im April die Vierprozenthürde zu nehmen,
       haben vier weitere Parteien bzw. Bündnisse: Die Sozialisten (BSP),
       „Demokratisches Bulgarien“ (DB), die „Bewegung für Rechte und Freiheiten“
       (DPS), die sich vor allem als Anwältin der türkischen Minderheit versteht
       sowie das linke, erst 2020 gegründete Bündnis „Aufstehen, Mafia raus!“.
       
       Alles wie gehabt also? Nicht ganz. Bojko Borissow und seine GERB, die am 4.
       April mit 25,7 Prozent der Stimmen (32,7 Prozent bei der Wahl 2017) noch
       stärkste Kraft geworden waren, sind weiter auf dem absteigenden Ast.
       Derzeit werden sie bei knapp 22 Prozent gehandelt.
       
       ## Peinliche Enthüllungen
       
       Mit ein Grund dafür sind neue peinliche Enthüllungen über Vetternwirtschaft
       und korrupte Machenschaften der Mächtigen unter der Ägide der GERB – also
       genau die wunden Punkte, die 2020 zehntausende wütende Bulgar*innen
       wochenlang auf die Straße getrieben hatten und auch künftig, sollten keine
       Änderungen eintreten, für Aufruhr sorgen könnten.
       
       Denn Bulgarien, das 2007 der Europäischen Union beitrat, ist mit einem
       Bruttoinlandsprodukt von 8.750 Euro pro Kopf der Bevölkerung (2020), was 48
       Prozent des EU-Durchschnitts entspricht, nach wie vor das Armenhaus
       Europas. Gleichzeitig behauptet der Balkanstaat mit knapp sieben Millionen
       Einwohnern auf dem Korruptionsindex von Transparency International EU-weit
       unangefochten den Spitzenplatz.
       
       Die Mitglieder der Übergangsregierung, von denen sich einige durchaus für
       eine Weiterbeschäftigung im nächsten Kabinett empfohlen haben, machten die
       Öffentlichkeit unlängst mit einigen süffigen Details bekannt. So soll die
       Bulgarische Entwicklungsbank (BDB) – eine staatliche Institution, die
       kleine und mittelständische Betriebe unterstützen soll – umgerechnet rund
       500 Millionen Euro an nur acht ausgewählte Betriebe ausgereicht haben.
       Davon soll auch der zwielichtige Medienmogul Deljan Peewski profitiert
       haben. Zwischen dem 1. Januar 2019 und dem 30. April 2021 sollen
       Steuergelder in Höhe von umgerechnet vier Milliarden Euro an Betriebe
       geflossen sein, ohne das diese an einer öffentlichen Ausschreibung
       teilgenommen hätten.
       
       Auch eine andere Aktion der GERB hat es in sich: Vor der Wahl am 4. April
       sollen mehr als 30 Abgeordnete der Opposition abgehört worden sein.
       Entsprechende Aufzeichnungen sollen später im Innenministerium geschreddert
       worden sein.
       
       ## Sanktionen der USA
       
       Die schamlose Bereicherung einiger Weniger hatte unlängst auch
       international Konsequenzen: Auf der Grundlage des sogenannten Global
       Magnitzky Acts verhängten die USA gegen drei Bulgaren sowie deren Netzwerk
       aus 64 Firmen [2][empfindliche Sanktionen]. Wieder ganz vorne mit dabei:
       Deljan Peewski.
       
       Offenbar goutieren auch viele Bulgar*innen diese Entscheidung. Laut
       einer Umfrage, die das Sofioter Zentrum Analyse und Marketing (CAM) im
       Zeitraum vom 26. Juni bis 1. Juli durchführte, befürworteten 46,2 Prozent
       der Befragten die Strafmaßnahmen.
       
       Ob jedoch auch die EU ihren Kurs ändert, ist fraglich. Bislang ist Brüssel
       im Umgang mit Sofia relativ schmerzfrei. Obwohl die Probleme hinlänglich
       bekannt sind, wird Borissow von der Europäischen Volkspartei nach wie vor
       hofiert.
       
       Das war erst vor Kurzem wieder zu beobachten. Bei einer Videokonferenz im
       Juni diente sich der EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber in gewohnt
       schleimiger Manier wieder einmal dem bulligen Mann aus Sofia an, indem er
       diesen seiner vollen Unterstützung versicherte.
       
       ## Warme Worte
       
       „Ich verfolge, was in Bulgarien passiert. Und Bojko, du hast eine Menge
       Arbeit zu erledigen. Die EVP unterstützt dich, wir stehen fest hinter Dir.
       Du kannst sich auf uns verlassen“, sagte Weber. Die jüngsten Enthüllungen
       der Übergangsregierung kamen in seiner Solidaritätsadresse nicht vor. Für
       Bulgarien zahlt sich die EU-Mitgliedschaft übrigens aus. Schon bald könnte
       Sofia aus dem Corona-Aufbaufonds mehr als 10 Milliarden Euro erhalten.
       
       So warme Worte wie in Brüssel bekommt Borissow zu Hause nicht zu hören. Im
       Gegenteil: Besonders Slawi Trifonow arbeitet rhetorisch mit dem
       Vorschlaghammer. Ein Angebot Borissows, in einer TV-Debatte gegen ihn
       anzutreten, lehnte er unlängst mit dem Satz ab, er rede nicht mit
       Terroristen.
       
       Trifonow könnte am Sonntag sogar die Nase vorn haben. Und das, obwohl das
       Prgramm der ITN nach wie vor vage bleibt. Der 54-Jährige fordert die
       Einführung eines Mehrheitswahlrechts, Kürzungen bei der staatlichen
       Parteienfinanzierung, die Reduzierung der Parlamentssitze von 240 auf 120
       sowie die Einführung einer Direktwahl für bestimmte Posten, wie den des
       Generalstaatsanwalts.
       
       Bereits während des Wahlkampfes in diesem Frühjahr verweigerte sich
       Trifonow, der mit seinen Anhänger*innen vor allem über soziale
       Netzwerke und seinen privaten TV-Kanal kommuniziert, Interviews genau so
       wie einer Teilnahme an Debatten mit seinen Kontrahent*innen. Nach der Wahl
       wurde der Auftrag zu einer Regierungsbildung postwendend zurückgegeben.
       
       ## Aus der Deckung
       
       Am 7. Juli kam Trifonow dann doch einmal kurzzeitig aus der Deckung und gab
       der französischen Zeitung Le Monde ein Interview. „Wir haben brillante
       Gesetze, aber sie werden nicht befolgt. Wir müssen das Rechtssystem
       umbauen“, sagte Trifonow. Seine Abstinenz gegenüber heimischen Medien
       erklärte er damit, er glaube nicht, dass es in Bulgarien Pressefreiheit
       gebe.
       
       Auch zu seiner politischen Zukunft äußerte er sich nur vage. Er strebe
       weder ein Abgeordnetenmandat noch den Posten des Regierungschefs an, sagte
       Trifonow.
       
       Apropos Regierungschef: Sollte die ITA am Sonntag tatsächlich stärkste
       Kraft werden und auch die Bündnisse „Demokratisches Bulgarien“ sowie „Mafia
       raus“ noch etwas zulegen, könnte es für eine Mehrheit in der 240 Sitze
       umfassenden Nationalversammlung und vielleicht sogar eine Regierungsbildung
       reichen. Denn trotz aller Unterschiede gibt es zwischen den drei
       „Protestparteien“ auch einige Gemeinsamkeiten – wie die Forderung nach
       einer grundlegenden Justizreform.
       
       Und wenn nicht? Dann kommen die nächsten Wahlen. Darin sind die
       Bulgar*innen ja mittlerweile geübt. Im Herbst stehen übrigens auch noch
       reguläre Präsidentschaftswahlen an.
       
       10 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
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