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       # taz.de -- UN-Hilfe für Syrien: Ein Kompromiss für Idlib
       
       > Der UN-Sicherheitsrat hat eine Lösung gefunden. Der letzte für UN-Hilfe
       > offene Grenzübergang bleibt offen. Doch das Thema bleibt ein Politikum.
       
   IMG Bild: Bleibt – vorerst – geöffnet für UN-Hilfe: der Grenzübergang Bab al-Hawa
       
       Berlin taz | Kurz vor Ablauf eines [1][UN-Mandats für humanitäre Hilfe für
       Syrien] am Wochenende hat sich der UN-Sicherheitsrat am Freitag doch noch
       geeinigt: Die UN dürfen weiterhin die Lieferung von Hilfsgütern
       koordinieren und dabei einen Grenzübergang an der syrisch-türkischen Grenze
       nutzen, über den die syrische Regierung in Damaskus keinerlei Kontrolle
       hat.
       
       Bei einer Sitzung in New York beschloss der Sicherheitsrat einstimmig eine
       Verlängerung des Hilfsmechanismus. Zunächst blieb jedoch unklar, zu welchen
       Konditionen die Einigung erfolgte. Fest steht: Der Grenzübergang Bab
       al-Hawa bleibt zunächst für mindestens sechs Monate, möglicherweise für ein
       Jahr für [2][UN-Hilfslieferungen] geöffnet.
       
       Damit nicht nur private Hilfsorganisationen, sondern auch die UN bei der
       grenzüberschreitenden Hilfe aktiv werden dürfen, brauchen sie nach gängiger
       Auffassung ein Mandat des Sicherheitsrats, das seit 2014 auch besteht, doch
       am Samstag ausgelaufen wäre. Russland hatte mit einem Veto gedroht, da es
       in der grenzüberschreitenden Hilfe eine Verletzung der syrischen
       Souveränität sieht.
       
       Auch die syrische Regierung argumentiert, dass jegliche UN-Hilfe über die
       Hauptstadt Damaskus zu laufen habe und mit der Regierung abgesprochen
       werden müsse. Nordwestsyrien, Teile der Region Idlib und der angrenzenden
       Provinzen, werden allerdings weiterhin von Anti-Assad-Rebellen
       kontrolliert, was die Lieferung von Hilfsgütern über Damaskus kompliziert.
       
       ## Herrscher von Idlib
       
       Die in Idlib tätige Hilfsorganisation International Rescue Committee hatte
       gegenüber der taz erklärt, dass es bislang „keine erfolgreiche humanitäre
       Lieferung über die Trennungslinie nach Nordwestsyrien gegeben“ habe, obwohl
       die UN eine solche bereits im März 2020 vorgeschlagen hatten.
       
       In den Nicht-Regime-Gebieten im Nordwesten leben nach UN-Angaben rund 4
       Millionen Menschen, davon 2,7 Millionen Binnenvertriebene und davon
       wiederum 1,7 Millionen in Flüchtlingslagern. Rund 80 Prozent der Menschen
       in den Lagern sind Frauen und Kinder.
       
       Politisch kontrolliert werden große Teile der Rebellengebiete im Nordwesten
       von der Tahrir-al-Sham-Miliz (HTS), einer islamistischen Gruppierung, die
       sich zunehmend moderat präsentiert. Russland und Syrien sehen in der
       UN-Hilfe für Idlib daher nichts als Terrorunterstützung. HTS kontrolliert
       auch den Grenzübergang Bab al-Hawa – eine der wichtigsten Einkommensquellen
       der Miliz.
       
       Hilfsorganisationen hatten aber vor einer humanitären Katastrophe gewarnt,
       sollte der UN-Hilfsmechanismus wegbrechen. Über die Grenze bei Bab al-Hawa
       werden monatlich tonnenweise Lebensmittel, Medikamente und andere
       Hilfsgüter geliefert.
       
       ## Humanitäre Hilfe bleibt Politikum
       
       Doch auch wenn der Grenzübergang Bab al-Hawa zunächst offenbleibt: Russland
       beschränkt die grenzüberschreitende Hilfe für die syrischen Rebellengebiete
       Stück für Stück. Spätestens in einem Jahr wird das Thema erneut auf der
       Tagesordnung stehen.
       
       Die humanitäre Versorgung der Binnengeflüchteten in Nordwestsyrien ist
       längst ein Machtfaktor geworden. Die Drohung Bab al-Hawa zu schließen,
       steht weiterhin im Raum, und Russland wird sich seine Zustimmung vom
       Freitag im UN-Sicherheitsrat bezahlen lassen.
       
       Denn viele Fragen, in denen Russland, Europa und die USA konträrer Ansicht
       sind, liegen weiter unbeantwortet auf dem Tisch: allen voran die Frage, was
       langfristig mit den von Rebellen gehaltenen Gebieten im Nordwesten
       geschieht. Russland sowie die syrische Regierung sind entschlossen, diese
       wieder in den Herrschaftsbereich des Assad-Regimes einzugliedern. Westliche
       Staaten haben dagegen schlicht keinen Lösungsvorschlag, während der
       Nachbarstaat Türkei seine Macht in der Region konsequent ausbaut.
       
       Auch die Frage des Wiederaufbaus steht aus. Russland hat in der
       Vergangenheit darauf gedrängt, dass sich etwa [3][die EU am Wiederaufbau
       des in weiten Teilen zerstörten Landes beteiligt]. Doch das Zögern in
       europäischen Hauptstädten, dem Assad-Regime nun finanziell unter die Arme
       zu greifen, ist groß.
       
       9 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jannis Hagmann
       
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