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       # taz.de -- Politische Krise in Tunesien: Machtkampf, Pandemie, Staatskrise
       
       > Präsident Kais Saied legt das Parlament auf Eis. Die Regierungspartei
       > Ennahda spricht von einem Putsch. Wie geht es weiter in Tunesien?
       
   IMG Bild: Markiert den starken Mann: Tunesiens Präsident Kais Saied
       
       Regierungschef abgesetzt, Parlament ausgesetzt: Es ist die größte
       politische Krise, seit das kleine Tunesien vor zehn Jahren als einziges
       demokratisches Land aus dem Arabischen Frühling hervorgegangen ist. „Der
       Staatschef übernimmt die exekutive Macht mithilfe eines Premierministers,
       den der Präsident bestimmen wird“, sagte Präsident Kais Said. Kürzer und
       eindeutiger lässt sich das Ende der Gewaltenteilung nicht erklären.
       
       Wieder einmal wird hier die Spaltung vieler arabischer Gesellschaften in
       Islamisten und Säkularisten deutlich. Aber in Tunesien waren beide Seiten
       als Parteien ins Parlament gewählt worden und saßen bislang in einer
       Einheitsregierung.
       
       Tunesiens Islamisten – allen voran die bislang regierende
       moderat-islamistische Partei Ennahda – fürchten nun ein ägyptisches
       Szenario, ähnlich wie 2013, als der damalige Militärchef Abdel Fattah
       al-Sisi den Muslimbruderpräsidenten Muhammad Mursi stürzte und die Macht an
       sich riss.
       
       Präsident Saied betont allerdings, dass es sich um temporäre Maßnahmen
       handle: Das Parlament soll nur für 30 Tage ausgesetzt werden.
       
       ## Wucht der Pandemie
       
       Tunesien war paralysiert in einem Streit zwischen Regierung, Parlament und
       Präsident. Seit Januar hatte der 2019 gewählte populistische Präsident sich
       geweigert, elf von [1][Regierungschef Hichem Mechichi] vorgeschlagene
       Minister abzusegnen. Der wiederum hatte alle Kabinettsmitglieder
       rausgeworfen, die Saied nahestanden.
       
       Gleichzeitig verschärfte sich die wirtschaftliche und soziale Frage. Die
       letzten Daten der Weltbank zur Jugendarbeitslosigkeit (35 Prozent) stammen
       von 2019. Die Pandemie dürfte sie noch erhöht haben.
       
       So heftig, wie in Tunesien hat die Coronapandemie in keinem Land der
       arabischen Welt gewütet. Mit seinen 12 Millionen Einwohnern zählt das Land
       inzwischen jeden Tag über 300 Covid-19-Tote. Die WHO bezeichnet die Lage
       als „extrem besorgniserregend“. Die Krankenhäuser sind vollkommen
       überlastet. Die Impfkampagne kommt nur schleppend voran.
       
       Ob Saied nun tatsächlich der Retter ist oder ob er die Krise als Chance
       sieht, die junge Demokratie wieder auszuhebeln, werden die nächsten Wochen
       zeigen. Am Montag standen die Zeichen zunächst auf weitere Eskalation:
       Anhänger des Präsidenten stürmten Büros der Ennahda; es kam zu
       gewalttätigen Rangeleien auf beiden Seiten.
       
       ## Hält die Demokratie?
       
       Befürchtet werden auch bevorstehende Verhaftungswellen. Dass die tunesische
       Polizei am Montag die Studios des Fernsehsenders Al Jazeera stürmte, ist
       kein gutes Omen.
       
       Viel wird jetzt davon abhängen, wie Ennahda reagiert und wie stark die
       Partei ist. Die Frage ist auch, wie sich andere politische Kräfte im Land
       positionieren, allen voran die Parteien, deren Repräsentanz im Parlament
       nun ausgesetzt wurde. Auch die Gewerkschaften und Berufsverbände, die das
       Land bei seiner letzten großen politischen Krise 2013 zusammengehalten
       haben, werden ein gewichtiges Wort mitreden.
       
       Zwei Parteien im Parlament – Das Herz Tunesiens und die Karama –
       verurteilten den Schritt des Präsidenten ebenfalls als Coup. Auch
       [2][Ex-Präsident Moncef Marzouki,] der nach dem Sturz Ben Alis als erster
       Präsident den Übergang zur Demokratie leitete, warnte, Tunesien könnte nun
       in eine „noch schlimmere Situation schlittern“.
       
       Der einflussreiche Verband tunesischer Gewerkschaften unterstützte dagegen
       in einer Erklärung die außerordentlichen Maßnahmen – schränkte aber ein,
       dass die Verfassung eingehalten und der demokratische Prozess gesichert
       sein müsse.
       
       26 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Karim El-Gawhary
       
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