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       # taz.de -- Politische Krise in Tunesien: Der Jasmin-Staatsstreich
       
       > Tunesiens Präsident hat Regierung und Parlament entmachtet. Doch ein
       > Vergleich mit dem Putsch von 2013 in Ägypten hinkt.
       
   IMG Bild: Herbst 2019: Kais Saied küsst die Fahne nach seinem Sieg. Warum wählten die Tunesier ihn?
       
       Als der zuvor kaum bekannte Jurist Kais Saied im Oktober 2019 die
       Präsidentschaftswahl gewann, griff mitten im Jubel seines Teams der
       63-Jährige stumm nach der tunesischen Fahne und küsste sie. Mit ähnlichem
       Pathos verkündete Saied am Sonntag nichts weniger als einen Staatsstreich
       von oben.
       
       Wenige Minuten nach seiner Rede strömten [1][Zigtausende Menschen im ganzen
       Land auf die Straßen], genau wie vor drei Jahren, als Saied mit nur einem
       Wort das Vertrauen der Tunesier gewann: Unbestechlichkeit.
       
       Viele sehen in der Absetzung der Regierung von Premier Mechichi, dem
       vierwöchigen Stopp der Parlamentsarbeit und dem per Dekret erlassenen
       Versammlungsverbot ein Szenario wie 2013 in Ägypten. Kais Saied könne
       womöglich die Demokratie im Mutterland des Arabischen Frühlings beenden.
       Der Jubel der Massen über den Schlag des Präsidenten gegen die politische
       Elite wird als politische Naivität abgetan.
       
       Doch es lohnt sich zu fragen, [2][warum die Tunesier einen Unbekannten mit
       70 Prozent gewählt hatten] und nun mehrheitlich sein von der Verfassung
       nicht gedecktes Vorgehen unterstützen. Wer durchs Land reist, trifft auf
       eine junge Generation, die sich innerlich schon lange von ihrer Heimat
       verabschiedet hat, trotz Wahlen und Meinungsfreiheit. Nach der
       Jasmin-Revolution hat sich für viele nichts geändert. Sozialer Aufstieg ist
       für sie unerreichbar.
       
       Die korrupte politische und wirtschaftliche Elite beutet das Land stärker
       aus denn je. Finanzhilfe aus Europa hält die noch aus französischen
       Kolonialzeiten stammende Bürokratie am Leben. Auch Kais Saied hat weder die
       Ideen noch Verbündete, um die zutiefst gespaltene tunesische Gesellschaft
       zu einen.
       
       Nun muss die EU ran. Nach der Jasmin-Revolution von 2011 gaben sich Brüssel
       und Berlin mit Reformen zufrieden, die nie umgesetzt wurden. Der unblutige
       Jasmin-Staatsstreich vom letzten Sonntag ist Chance und Mahnung, die
       moralisch abgewirtschafteten Eliten fallen zu lassen und Tunesiens
       Zivilgesellschaft bei der Reform des Landes zu helfen.
       
       27 Jul 2021
       
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