# taz.de -- Sky-Serie „Ich und die Anderen“: Die Hölle, das sind die anderen
> Die experimentelle Serie „Ich und die Anderen“ ergründet
> existenzialistische Fragen. Die sechs Folgen feuern ein wahres
> Dialogfeuerwerk ab.
IMG Bild: Tom Schilling (l.) und Katharina Schüttler (r.) in der Sky-Serie „Ich und die Anderen“
Der Mensch ist frei und dann doch wieder nur das Produkt seiner Umstände.
Mit diesen beiden widerstrebenden Grundvoraussetzungen unseres Daseins
setzt sich die deutsch-österreichische Produktion „Ich und die Anderen“ auf
eine zutiefst experimentelle Art auseinander.
Im Fokus der sechsteiligen Serie steht Tristan (Tom Schilling), der auf
wundersame Weise die Fähigkeit erhält, seine Freiheiten radikal zu
erweitern, indem er durch seine Wünsche das Verhältnis zwischen ihm und
seinen Mitmenschen verändern kann – und doch bleibt er ihnen letztlich
immer ausgeliefert. Auch wenn seine Gesuche von einer ominösen Macht
umgesetzt werden, erzielt er damit niemals das gewünschte Ergebnis.
Es beginnt über Nacht: Im Traum fordert er, dass es der Welt allein um ihn
gehen, ja, dass sie alles über ihn wissen soll. Was das eigentlich
bedeutet, wird ihm am nächsten Tag schmerzlich bewusst: Seine schwangere
Freundin Julia (Katharina Schüttler) sieht angesichts der neuen
Erkenntnisse einen Fremden in ihm, im Büro kommentiert die Rezeptionistin
seine Penisgröße, der Chef (Lars Eidinger) weiß nun um seinen fehlenden
Elan und feuert ihn. Stets versucht er dem heraufbeschworenen Desaster mit
einem neuen Wunsch etwas entgegenzusetzen, und manövriert sich damit immer
wieder in neue Problemsituationen.
Im weiteren Verlauf wünscht sich Tristan etwa, dass alle die Wahrheit sagen
sollen, dass ihn alle lieben, dass er wiederum alles mehr liebt als sich
selbst. Damit stehen sich Situationskomik und existenzialistische
Überlegungen in „Ich und die Anderen“ fortwährend gegenüber, was es
unmöglich macht, die Serie auf ein bestimmtes Genre festzulegen.
Das exzentrische Figurenensemble bleibt durchgängig das gleiche: Neben der
Partnerin sind da sein desillusionierter Freund Hubert (Merlin Sandmeyer),
seine snobistischen Eltern – während die Mutter ([1][Sophie Rois])
weiterhin auf ihrem ausgestopften Pferd reitet, hat sich der Vater (Martin
Wuttke) künstlerisch ganz und gar dem (eigenen) männlichen Glied
verschrieben – und die notorisch genervte lesbische Schwester (Sarah
Viktoria Frick), die sich wiederum auf Vulven-Darstellungen spezialisiert
hat.
Gemeinsam mit besagtem Boss, Herrn Brandt, ein Paradebeispiel des
ausschließlich in Karriereparametern denkenden [2][Homo oeconomicus],
ergibt sich ein genüsslich überspitzter, freudianisch aufgeladener
Querschnitt einer auf Selbstoptimierung gepolten Gesellschaft. In jeder
Folge von einer anderen Prämisse geleitet, ist „Ich und die Anderen“ damit
eine spielerische philosophische Reflexion über die Bedingungen des
Menschseins an sich und gleichsam bissig-humorvolle Abrechnung mit dem
neoliberalen Zeitgeist.
Zusammengehalten werden die von Regisseur und Autor [3][David Schalko]
(„Braunschlag“) entwickelten und inszenierten etwa 40-minütigen Folgen von
einem wahren Dialogfeuerwerk, das innerhalb der deutschsprachigen
Serienlandschaft ihresgleichen sucht. In den vom durchweg überzeugend
aufspielenden Cast lakonisch vorgetragenen Zeilen reiht sich ein
geschliffener Aphorismus („Ich verwirkliche mich zu Tode“) an den nächsten.
Konsequent verweigert sich „Ich und die Anderen“ bis zum Schluss einer
eindeutigen Aussage, einer klaren Gewichtung, ob es mehr Freiheit für das
oder vom „Ich“ braucht. Ja, die Hölle, das sind mit Jean-Paul Sartre in
erster Linie die anderen – aber was wäre das „Ich“ ohne sie?
28 Jul 2021
## LINKS
DIR [1] https://www.sueddeutsche.de/leben/sophie-rois-interview-1.4784467?reduced=true
DIR [2] /Das-Maerchen-vom-Homo-Oeconomicus/!5696939
DIR [3] /Autor-David-Schalko-ueber-sein-Werk/!5760890
## AUTOREN
DIR Arabella Wintermayr
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