# taz.de -- Sexueller Missbrauch in Großbritannien: Das Leiden der Kinder von Lambeth
> Ein Bericht offenbart, wie bis Ende der 1990er Jahre Pflegekinder grausam
> missbraucht wurden. Viele von ihnen sind Schwarz.
IMG Bild: Lambeth in Brixton, London: Hier fanden Gewalt und Übergriffe in den Kinderwohnheimen statt
London taz | Kinder als Spielfiguren in einem giftigen Machtkampf: So
lautet das Urteil von Professorin Alexis Jay, Vorsitzende einer
langjährigen und tiefgehenden Untersuchung zur Aufarbeitung historischer
Sexualverbrechen an Kindern im Vereinigten Königreich, in einem Bericht
über Missbrauch an Pflegekindern zwischen 1960 und Ende der 1990er Jahre im
Südlondoner Bezirk Lambeth. Die Schilderungen wiederholter und grausamer
Vergewaltigungen wehrloser Kinder, manche keine sechs Jahre alt, lesen sich
mit Abscheu und Schrecken.
705 Personen haben ausgesagt, als Kinder in Lambeths Kinderheimen und
Pflegefamilien misshandelt worden zu sein. Viele sind Schwarze – Lambeth,
wo das Viertel Brixton liegt, hat einen der höchsten schwarzen
Bevölkerungsanteile Großbritanniens.
Pädophile hätten freien Zugang zu Kinderheimen gehabt. Selbst bei
wiederholten Anzeichen von Missbrauch sei nichts unternommen worden, so
Jay. „Jahrelang florierten in der Bezirksverwaltung Mobbing, Rassismus,
Nepotismus und Sexismus vor einem Hintergrund von Korruption und
Misswirtschaft“, sagte sie und sprach von einer „boshaften und
rückschrittlichen Kultur, für die vor allem eine Folge führender gewählter
Vertreter verantwortlich war“.
Der Fingerzeig ist deutlich: Lambeth ist seit Jahrzehnten eine [1][Hochburg
der Labour-Linken]. In den 1980er Jahren waren Lambeth sowie Liverpool
„rote Bollwerke“ gegen Margaret Thatcher und profilierten sich dadurch,
Anweisungen der Regierung nicht umzusetzen. Im Bericht steht, dass
derartiges Positionieren den Verantwortlichen wichtiger gewesen sei als die
Fürsorgepflicht.
## Das Trauma bleibt
Lambeth schaffte es nicht, mehr als eine einzige Person zur Verantwortung
zu ziehen. Sechs andere konnten erst nach Jahren weiteren Missbrauchs
hinter Gitter gebracht werden. Die wahre Zahl der Täter könnte bei weit
über 100 Personen liegen. Die Untersuchung verweist auf den ungeklärten Tod
eines Jungen in einem Badezimmer, nachdem er seinen Heimleiter beschuldigt
hatte, und die fahrlässige Tötung zahlreicher Kleinstkinder.
Überlebende tragen lebenslange Folgen. Der bekannte Autor Alex Wheatle
berichtete am Mittwoch im TV-Sender Channel 4, wie er als kleiner Junge im
berüchtigten Kinderheim Shirley Oaks misshandelt wurde. „Der Schaden sitzt
zu tief, als ob irgendetwas das wiedergutmachen könnte. Ich erlebe
regelmäßig Flashbacks“, gab er an.
Die Anstalt wurde erst 1983 geschlossen. Wheatle und andere fordern eine
weitere Untersuchung. Lambeths Labour-Bezirksbürgermeisterin Claire Holland
entschuldigte sich bei allen Opfern.
28 Jul 2021
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