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       # taz.de -- Hubert Aiwangers Impfgegner-Kurs: Techteln mit der „Loony Right“
       
       > Anti-Impf-Rhetorik ist der plumpe Versuch, sich einer abgedrehten rechten
       > Zielgruppe anzudienen. Bayerns Vize-Landeschef macht es vor.
       
   IMG Bild: Macht sich intellektuell lächerlich, moralisch verächtlich und politisch unzumutbar: Hubert Aiwanger
       
       Wie klingt ein verantwortlicher Staatsmann? So: Er zeigt sich besorgt,
       „dass das Land durch die absurdeste Polemik gespalten wird“. Er nennt es
       unlogisch, „einer rein wissenschaftlichen Frage einen ideologischen oder
       politischen Charakter zu geben“. Er spricht besorgt von der Diskreditierung
       des Maskentragens, sagt, dass durch Gerede von einer „Gesundheitsdiktatur“,
       durch Fehlinformationen und Pseudowissenschaft irrationale Ängste in den
       sozialen Netzwerken geschürt würden. Und dass all das für das Anwachsen der
       Antiimpfbewegung verantwortlich sei.
       
       Bei diesem verantwortungsvollen Staatsmann handelt es sich um Silvio
       Berlusconi. Der hat diese Woche in einem [1][Beitrag für den
       liberal-konservativen Corriere della sera] klare Grenzen gezogen zur
       landestypischen Variante der todessüchtigen Antiimpfbewegten. Dabei besteht
       kein Zweifel: In jedem anderen zivilisierten Land der Welt säße Berlusconi
       dauerhaft im Knast oder könnte zumindest keine öffentliche Rolle mehr
       spielen.
       
       Aber es gehört zu den Lehren der Politik, dass man erstens: niemanden
       abschreiben darf, auch keinen 84-Jährigen, der, [2][wäre es hierzulande
       nach Politikern wie Boris Palmer gegangen, „sowieso tot“ wäre]; und dass
       zweitens: es Momente geben kann, in denen Politik nicht nur die zynische
       Kunst des Möglichen ist, sondern in denen rationale Einsicht, gar
       moralisches Empfinden mit strategischen Interessen einhergehen.
       
       Berlusconi bastelt derzeit nämlich an einer rechten Mehrheit in Italien,
       die es zusammen mit der rechtspopulistischen Lega und der faschistenoffenen
       Partei Fratelli d’Italia („Brüder Italiens“) zweifellos im Land gäbe. Aber
       Berlusconi hat ein Problem, das früher die politische Linke betraf:
       Anstelle der einstigen „Loony Left“, der irren, ultraradikalen Linken, ist
       eine „Loony Right“ getreten. Eine Rechte, die auf Demonstrationen im Namen
       der Freiheit nicht nur sich selbst, sondern auch andere Menschen zum Tod
       verurteilt. Die Kindern und Jugendlichen die Chance auf ein glückliches
       Leben wegnehmen will.
       
       ## Die „verfolgte Mitte“ des Herrn Aiwanger
       
       Berlusconi hingegen, ganz staatsmännisch, verurteilt das Tragen des gelben
       Sterns durch Impfgegener als blasphemisch und macht keinen Hehl daraus,
       dass diese Todessüchtigen sich entscheiden müssen: In einer freien
       Gesellschaft müssen sie sich entweder impfen lassen – oder Nachteile in
       Kauf nehmen. Für Lehrpersonal fordert der viermalige Exregierungschef die
       obligatorische Impfung.
       
       Wie aber klingt dagegen ein unverantwortlicher Staatsmann? [3][So klingt
       ein unverantwortlicher Staatsmann:] Er sagt, auf Impfgegner:innen dürfe
       keine „Jagd“ gemacht werden. Impfskeptiker:innen sollten mit
       Argumenten überzeugt werden. Dabei sollte auch mit den inzwischen bekannten
       Nebenwirkungen offen umgegangen werden. Und es bringe auch nichts, ihn, den
       Nichtgeimpften, täglich danach zu fragen, wann er sich denn nun impfen
       lasse.
       
       Dabei handelt es sich um Hubert Aiwanger, den stellvertretenden bayerischen
       Ministerpräsidenten und Spitzenkandidaten der Freien Wähler – einer
       Gruppierung, die derzeit noch Mühe hat, einen Blick auf die
       Fünfprozenthürde bei der Bundestagswahl zu ergattern. Und der redet so
       daher, weil selbstverständlich auch er ein politisches Projekt am Laufen
       hat.
       
       Aiwanger hat es zu seinem Claim erhoben, sich selbst als siebengescheiten
       Durchblicker und rhetorisch hinterfotzigen Aufrechten darzustellen, der für
       alle in der „Mitte“ stehe. Einer Mitte, auf die „Jagd“ gemacht werde –
       [4][dabei gibt es bis heute nicht mal eine nennenswerte staatliche
       Werbekampagne für die Coronaimpfung]; der raunt, es würden Nebenwirkungen
       verschwiegen – dabei wird über mögliche Nebenwirkung der Impfung so viel
       mehr geredet als über tatsächliche Nebenwirkungen des seit Monaten
       ausgefallenen Musik- und Sportunterrichts.
       
       Hubert Aiwanger hat sich ganz der „Loony Right“ verschrieben, weil er den
       Platz des rationalen politischen Diskurses besetzt sieht, insbesondere von
       einem politischen Schwergewicht wie Markus Söder. Aiwanger weiß, was er
       tut, er setzt als Alphapolitiker dabei sogar sein Leben ein. Das wäre seine
       Sache, wenn er damit nicht andere gefährden würde. Mit seiner zentralen
       politischen Botschaft macht er sich intellektuell lächerlich, moralisch
       verächtlich und politisch unzumutbar. Die Impfung ist und bleibt das
       wesentliche „Instrument zum Schutz der Gemeinschaft und des Rechts anderer,
       nicht infiziert zu werden“. Das sagt ein verantwortungsbewusster
       Staatsmann, namens, was soll man machen: Silvio Berlusconi.
       
       28 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.corriere.it/politica/21_luglio_26/silvio-berlusconi-opporsi-vaccini-non-liberta-all-italia-serve-massima-coesione-21b8ef62-ee4d-11eb-b806-66e6aa5ff564.shtml?refresh_ce
   DIR [2] /Ausschlussverfahren-gegen-Boris-Palmer/!5770669
   DIR [3] https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2021/07/28/impfen_lassen_nach_gutduenken_interview_m_hubert_dlf_20210728_0812_0ed19d1f.mp3
   DIR [4] https://www.rnd.de/politik/corona-impfung-ruf-nach-mehr-werbung-fuer-kampagne-wird-lauter-K3F5UEK47LVM6R2HV37JOXKXAA.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ambros Waibel
       
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