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       # taz.de -- BGH-Urteil zu Cum-Ex-Geschäften: Kriminelle Steuertricks
       
       > Die Cum-Ex-Geschäfte sind nichts anderes als Steuerhinterziehung und
       > damit strafbar, bestätigt der BGH. Etlichen Beteiligten droht nun
       > Gefängnis.
       
   IMG Bild: Frankfurter Skyline: Banken und Finanzinvestoren haben den Staat um Milliarden betrogen
       
       Karlsruhe taz | [1][Die so genannten Cum-Ex-Geschäfte waren strafbar.] Das
       hat der Bundesgerichtshof (BGH) an diesem Mittwoch in einem Grundsatzurteil
       bestätigt. Damit müssen Hunderte Banker und andere Beteiligte mit einer
       baldigen Verurteilung rechnen.
       
       Beim Cum-ex-Skandal geht es um Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividende.
       Die Beteiligten ließen sich Kapitalertragssteuer zweimal erstatten, obwohl
       sie nur einmal bezahlt wurde. Komplexe Aktienverkäufe rund um den
       Dividendenstichtag tarnten den Trick. Die Täter hatten damit dem Fiskus
       rund 10 Milliarden Euro Schaden verursacht. Mitbeteiligt waren Anwälte,
       Investment-Profis und Banken.
       
       [2][In einem Pilotprozess hatte das Landgericht Bonn im März 2020 zwei
       junge Londoner Investmentbanker verurteilt]. Martin Sh. erhielt wegen
       Steuerhinterziehung eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten.
       Bei Nick D. betrug die Bewährungsstrafe ein Jahr wegen Beihilfe zur
       Steuerhinterziehung.
       
       Der Haupttäter Sh. hatte in Zusammenarbeit mit der Hamburger Warburg-Bank
       in den Jahren 2007 bis 2011 einen Schaden von 166 Millionen Euro
       angerichtet und in Zusammenarbeit mit speziell gegründeten Fonds einen
       Schaden von weiteren 225 Millionen Euro. Verglichen damit war die
       Bewährungsstrafe für Sh. sehr milde. Doch damit wurde belohnt, dass Sh. und
       D. die Aufklärung maßgeblich unterstützt und auch vor Gericht umfangreich
       über die Machenschaften ausgesagt hatten.
       
       ## „Griff in die Steuerkasse“
       
       Der BGH bestätigte nun das Bonner Urteil in vollem Umfang. Die
       Verteidigungslinie der noch nicht geständigen Täter, man habe doch gar
       nichts Verbotenes gemacht, ist damit endgültig nicht mehr haltbar. „Es gab
       hier weder ein legales Steuergestaltungsmodell noch das zulässige Ausnutzen
       einer Gesetzeslücke“, betonte der Vorsitzende BGH-Richter Rolf Raum. Er
       sprach vielmehr von einem „Griff in die Kasse, in die alle Steuerzahler
       einzahlen“.
       
       Die Beteiligten hätten auch genau gewusst, dass sie kriminell handeln, so
       Raum. „Die Geschäfte machten wirtschaftlich gar keinen Sinn“, betonte der
       Richter. Profite hätten sich nur ergeben, indem die Steuererstattung
       doppelt kassiert wurde. Die Beteiligten hätten auch vorab vereinbart, wie
       die erzielten Profite verteilt werden. Raum zitierte einen Insider: „Alle
       Fakten haben auf dem Tisch gelegen“.
       
       [3][Bei Martin Sh. hatte das Landgericht Bonn die Einziehung von Profiten
       in Höhe von 14 Millionen Euro angeordnet], bei der Warburg-Bank von 166
       Millionen Euro plus 10 Millionen erwirtschafteter Zinsen. Beides bestätigte
       nun der Bundesgerichtshof. Eine mögliche Verjährung der steuerrechtlichen
       Rückforderung stehe dem nach einer Gesetzesänderung von Ende 2020 nicht
       mehr entgegen.
       
       ## Banken mitverantwortlich
       
       Die Warburg-Bank hatte sich insbesondere darauf berufen, dass sie gar
       nichts Böses geahnt habe. Darauf komme es bei der Vermögensabschöpfung nach
       Straftaten aber gar nicht an, betonte der BGH. Es genüge, dass Martin Sh.
       „für die Bank“ gehandelt habe.
       
       Abgelehnt wurde allerdings auch die Revision der Staatsanwaltschaft. Sie
       wollte, dass die Warburg-Bank die 176 Millionen Euro allein bezahlen muss.
       Es bleibt nun aber bei der vom Landgericht Bonn angeordneten
       „gesamtschuldnerischen Haftung“. Das heißt, Einziehungen bei Martin Sh. und
       anderen Beteiligten reduzieren den Betrag, den die Bank zahlen muss.
       
       Mit diesem Grundsatzurteil dürfte sich die juristische Aufklärung des
       Cum-Ex-Skandals nun deutlich beschleunigen. Allein bei der
       Staatsanwaltschaft Köln, wo die federführende Anklägerin Anne Brorhilker
       seit 2013 die Dinge vorantreibt, laufen über 60 Ermittlungsverfahren mit
       900 bis 1.000 Beschuldigten.
       
       Nachdem der BGH die Rechtslage nun rechtskräftig festgestellt hat, dürfte
       es für viele Beschuldigte naheliegen, Geständnisse abzulegen und auf eine
       relativ milde Strafe zu hoffen. Bewährungsstrafen dürften nun aber nicht
       mehr die Regel sein, weil die Aufklärung weitgehend geleistet ist.
       
       Am 1. Juni wurde beim Landgericht Bonn zum ersten Mal ein Banker
       verurteilt. Der Ex-Generalbevollmächtigte der Warburg-Bank erhielt eine
       Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren. Staatsanwältin Brorhilker fand auch
       das noch zu milde und legte Revision zum BGH ein, über die erst in einigen
       Monaten entschieden wird. Einer der Haupttäter, der Anwalt Hanno Berger,
       der sich viele der Cum-Ex-Modelle ausgedacht hatte, sitzt derweil in der
       Schweiz in Auslieferungshaft. Seine Auslieferung nach Deutschland hängt
       davon ab, ob Schweizer Gerichte die Cum-Ex-Tricksereien als Betrug
       einstufen. Wegen Steuerhinterziehung liefert die Schweiz niemand aus. Das
       BGH-Urteil brachte hierzu keine neuen Erkenntnisse.
       
       28 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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