# taz.de -- Klimanotstand ausgerufen: 14.000 Forschende klagen an
> Tausende Wissenschaftler:innen aus 150 Ländern haben den
> Klimanotstand ausgerufen. Der Ernst der Lage sei vielen Menschen noch
> nicht klar.
IMG Bild: Nur eines von vielen Symptomen der Katastrophe: Waldbrände in Nordamerika
„Schneestürme, Überschwemmungen, Dürrekatastrophen – nicht nur das Wetter,
sondern das gesamte Klima scheint in Unordnung geraten“, berichtete die
Reporterin Juliane Stephan in der „Tagesschau“. Das war 1979. Der Anlass:
Etwa 100 Meteorolog:innen trafen sich in Genf zu einer Fachkonferenz,
um über den besorgniserregenden Anstieg von Kohlendioxid in der Atmosphäre
zu diskutieren.
Die wissenschaftlichen [1][Grundlagen zur Klimakrise sind lange klar]. An
Informationen mangelte es nicht, doch die Emissionen stiegen weiter. Fast
14.000 Wissenschaftler:innen aus 150 Ländern haben nun einen Aufruf
unterschrieben, in dem sie einen Klimanotstand ausrufen, vor „unsäglichem
Leid“ durch die Klimakrise warnen und einen „grundlegenden Wandel“ fordern.
Der Aufruf war ursprünglich [2][schon 2019 im Journal Bioscience
erschienen], damals schon mit 11.000 Unterschriften. Darin wandten sich die
Wissenschaftler:innen an die Öffentlichkeit, um „auf sehr
beunruhigende Trends und geringe Fortschritte der Menschheit bei der
Bekämpfung des Klimawandels“ aufmerksam zu machen.„Wissenschaftler haben
die moralische Pflicht, die Menschheit vor drohenden Katastrophen zu warnen
und die Dinge beim Namen zu nennen“, schrieben sie damals.
Seit 40 Jahren hätten Klimaforscher:innen auf Konferenzen und Gipfeln
vor dem Klimawandel gewarnt, und trotzdem seien die CO2-Emissionen immer
nur gestiegen, hieß es in dem Aufruf. Es sei nun eine „immense Steigerung
der Anstrengungen“ nötig, um „unsägliches Leiden infolge der Klimakrise“ zu
vermeiden.
## „Kipppunkte bereits überschritten“
Inzwischen haben über 2.800 weitere Wissenschaftler:innen den Aufruf
unterzeichnet, der in der vergangenen Woche in aktualisierter Form
erschien. Seit Veröffentlichung des ersten Appells sei es zu „einem
beispiellosen Anstieg klimabedingter Katastrophen gekommen“, heißt es in
dem neuen Aufruf, „darunter verheerende Überschwemmungen in Südamerika und
Südostasien, rekordverdächtige Hitzewellen und Waldbrände in Australien und
im Westen der USA, eine außergewöhnliche atlantische Hurrikansaison und
verheerende Wirbelstürme in Afrika, Südasien und im Westpazifik“.
Auch gebe es immer mehr Beweise dafür, „dass wir uns Kipppunkten nähern
oder sie bereits überschritten haben, die mit entscheidenden Teilen des
Erdsystems verbunden sind“. Als Beispiele nennen die
Wissenschaftler:innen die Westantarktischen und Grönländischen
Eisschilde, die Warmwasserkorallenriffe und den Amazonas-Regenwald.
## Neue Jahresrekorde
[3][Kipppunkt] heißt: Diese Elemente des Erdsystems, die durch die
Erderhitzung nach und nach destabilisiert werden, könnten sich ab einer
bestimmten Schwelle unumkehrbar verändern und die Klimakrise aus dem Ruder
laufen lassen. Das kommt dem Verfall eines Organs gleich: Bluthochdruck
kann Herz und Kreislauf über Jahre immer mehr belasten und graduell
schwächen – bis es irgendwann zum Herzinfarkt kommt.
Alarmierende Zeichen im Klimasystem sehen die Forschenden in vielen
Bereichen: Laut neuen Daten erreichen die drei wichtigen Treibhausgase
Kohlendioxid, Methan und Lachgas sowohl 2020 als auch 2021 neue
Jahresrekorde bei den atmosphärischen Konzentrationen. Im April 2021
erreichte die Kohlendioxidkonzentration 416 ppm (Teile pro Million), die
höchste jemals aufgezeichnete monatliche globale
Durchschnittskonzentration.
## 2020 ist zweitwärmstes Jahr
Das Jahr 2020 war das zweitwärmste Jahr in den Aufzeichnungen – die fünf
wärmsten Jahre traten alle seit 2015 auf. Im Jahr 2020 war die minimale
sommerliche Meereisausdehnung in der Arktis die zweitkleinste seit Beginn
der Aufzeichnungen. Auch die Gletscherdicke erreichte ein neues
Allzeittief. Die Gletscher schmelzen viel schneller als bisher angenommen;
sie verlieren pro Jahr 31 Prozent mehr Schnee und Eis als noch vor 15
Jahren.
Sowohl die im Ozean gespeicherte Wärme als auch der Meeresspiegel haben
neue Rekorde erreicht. Der pH-Wert des Ozeans erreichte den
zweitniedrigsten Durchschnittswert seit Beginn der Aufzeichnungen. Der
jährliche Waldverlust im brasilianischen Amazonasgebiet nahm 2019 und 2020
zu und erreichte mit 1,11 Millionen zerstörten Hektar ein 12-Jahres-Hoch.
Die durch Brände, Dürre, Abholzung und Fragmentierung [4][verursachte
Waldzerstörung] hat dazu geführt, dass der Regenwald inzwischen eher als
CO2-Quelle denn als CO2-Senke fungiert.
## Ernst der Lage nicht erkannt
Bislang, kritisieren die Forschenden, betreibe die Menschheit immer noch
Business as usual. Der Ernst der Lage sei noch nicht erkannt.Die
Coronapandemie habe gezeigt, „dass selbst kolossale Reduzierungen von
Verkehr und Verbrauch nicht annähernd ausreichen und dass stattdessen
transformative Systemänderungen erforderlich sind, die über der Politik
stehen müssen“.
Mehr denn je sei ein wirklich grundlegender Wandel nötig, „um das Leben auf
der Erde zu schützen und so viele planetare Grenzen wie möglich
einzuhalten“, schließen die Wissenschaftler:innen ihren Aufruf. „Wir
müssen uns jetzt als globale Gemeinschaft mit einem gemeinsamen Sinn für
Dringlichkeit, Zusammenarbeit und Gerechtigkeit zusammenschließen.“
1 Aug 2021
## LINKS
DIR [1] /Was-menschenverursacht-ist/!5785678
DIR [2] https://academic.oup.com/bioscience/article/70/1/8/5610806
DIR [3] /Studie-zu-Klima-Kippelementen/!5779617
DIR [4] /Zerstoerung-des-Regenwalds/!5729031
## AUTOREN
DIR Susanne Schwarz
DIR Verena Kern
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