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       # taz.de -- Bosnien und Herzegowina: Das sind große Aufgaben
       
       > Christian Schmidt ist der neue Hohe Repräsentant für Bosnien und
       > Herzegowina. Der CSUler muss dort seine Autorität gegenüber den
       > serbischen Nationalisten unter Beweis stellen.
       
   IMG Bild: Christian Schmidt ist Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina
       
       Sarajevo taz | Ein bisschen hat er schon im Lande herumgeschnuppert. Der
       neue Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und
       Herzegowina, Christian Schmidt, zeigte sich nach einem gemeinsamen Besuch
       mit seiner Familie [1][in Mostar beeindruckt von der Schönheit des Landes],
       von den Bergen, dem Neretva-Fluss, von den Dörfern mit ihren Moscheen und
       Kirchen.
       
       Und doch ist ihm bei seinen ersten Statements anzumerken, unter welcher
       Spannung er steht. Denn der CSU-Politiker aus Franken soll jetzt richten,
       was in den letzten Jahren, eigentlich Jahrzehnten, auch von internationaler
       Seite versäumt worden ist. Er soll das politisch zerklüftete Land auf einen
       Weg führen, das es ihm ermöglicht, von der EU als Aufnahmeland akzeptiert
       zu werden.
       
       Da türmen sich natürlich die Probleme. Schmidt ist bewusst, dass er von
       Anfang an um seine Autorität kämpfen muss. Hatten die ersten Hohen
       Repräsentanten wie der Schwede Carl Bildt (1996–1998) oder der Brite Paddy
       Ashdown (2001 –2006) noch große Autorität, ihre Aufgaben, die Umsetzung des
       Friedensabkommens von Dayton zu überwachen, auch durchzusetzen, so schwand
       diese Autorität bis heute immer mehr.
       
       Während Ashdown noch nationalistische Extremisten von ihren Posten als
       Bürgermeister absetzen konnte, verlor die internationale Politik mit den
       Kriegen in Afghanistan und dem Nahen Osten Bosnien aus dem Blickfeld und
       stützte die weiteren Hohen Repräsentanten nicht mehr substanziell.
       
       ## Schmidt kommt mit Rückenwind
       
       Man entschloss sich, den lokalen Behörden immer mehr Macht zu übertragen.
       Was zu Folge hatte, dass vor allem die serbischen Nationalisten immer mehr
       auftrumpften, Gesetze des Gesamtstaates in Frage stellten und
       boykottierten, ohne bestraft zu werden. Die sogenannte Ownership-Theorie
       führte zu einer weiteren Zerklüftung des Landes bis hin zur Forderung, die
       durch die Verbrechen der ethnischen Säuberungen entstandene serbische
       Teilrepublik mit Serbien zu vereinigen.
       
       Im Laufe der Zeit haben sich die Hohen Repräsentanten ihre Macht
       beschneiden lassen. Schmidt ist sich dessen durchaus bewusst. In seinen
       ersten Statements kritisiert er die Ownership-Theorie und betont, er sei
       kein Diplomat, sondern Politiker. Diplomaten hätten die Tendenz, Konflikten
       aus dem Weg zu gehen. Als Politiker werde er Lösungen suchen und versuchen,
       sie auch durchzusetzen.
       
       Um Rückenwind braucht er sich bisher offenbar nicht zu sorgen. Denn
       anscheinend haben sich Berlin und Washington, Angela Merkel und Joe Biden,
       geeinigt, ihn zu stützen. Für Biden, der 1993 auf die verzweifelte Lage der
       Menschen in Sarajevo hingewiesen und dazu beigetragen hat, dass die USA
       sich ab 1995 auch militärisch engagierten, ist Bosnien eine
       Herzensangelegenheit. In Berlin hat sicherlich auch der ehemalige Hohe
       Repräsentant und Ex-CDU-Minister Christian Schwarz-Schilling (2006–2007)
       zum Kurswechsel beigetragen.
       
       Da außerdem noch Frankreich und Großbritannien die neue Bosnienpolitik
       mittragen, kann Schmidt auf internationale Rückendeckung hoffen. Russland
       dagegen wollte im Weltsicherheitsrat die Bestellung Schmidts zum Hohen
       Repräsentanten verhindern, scheiterte jedoch bei der Abstimmung.
       
       Der bisher amtierende Hohe Repräsentant, der österreichische Diplomat
       Valentin Inzko, ist bekannt für scharfe Formulierungen. Seit 2009 sitzt er
       auf diesem Posten, hatte aber als Vertreter eines kleinen Landes keine
       ausreichende Rückendeckung von internationaler Seite. Immerhin gelang es
       ihm, noch kurz vor Amtswechsel ein Gesetz mithilfe der Bonner Befugnisse
       durchzusetzen, das ihm am Herzen lag: [2][Die Leugnung der Kriegsverbrechen
       und des Genozids in Srebrenica soll unter Strafe gestellt werden.] Dazu
       gehört auch, Kriegsverbrecher zu ehren, wie dies die serbische
       Teilrepublik, aber auch die kroatischen Nationalisten in Mostar tun.
       
       ## Die Sache mit der Auswanderung
       
       Die Führer der serbischen Teilrepublik kündigten daraufhin an, sich aus den
       gemeinsamen Parlamenten zurückzuziehen. Das schockierte die Runde aus
       Journalisten und Beratern nicht, die sich am Freitag in der Residenz des
       90-jährigen Christian Schwarz-Schilling in Sarajevo eingefunden hatte. CSS,
       wie er von manchen Mitarbeitern liebevoll genannt wird, war bis zur
       Pandemie in Sarajevo als Hochschullehrer tätig und ist jetzt zur
       Amtseinführung Schmidts zurückgekehrt.
       
       Als der 72-jährige Valentin Inzko in den Empfangsraum eingetreten war,
       wurde er in diesem Kreis herzlich begrüßt und für seine Tat beglückwünscht.
       Die Zivilgesellschaft hatte ja schon lange gefordert, die Verfälschung der
       Geschichte zu bestrafen. Aber allen war auch klar, dass Schmidt nun Mittel
       finden muss, das Gesetz auch gegen den Widerstand der Nationalisten
       durchzusetzen.
       
       500.000 junge Leute hätten in den letzten Jahren Bosnien verlassen, sagt
       Inzko. „Sie halten das Leben unter diesen Bedingungen einfach nicht aus.“
       Das sieht der Neue auch so. In einem Interview mit der Deutschen Welle
       sagte Schmidt, die Abwanderung der Jugend müsse durch wirtschaftliche und
       politische Reformen gestoppt werden.
       
       An diesem Braindrain ist auch Deutschland beteiligt. Viele gut ausgebildete
       Menschen würden als Krankenpfleger und Ärzte, aber auch als Ingenieure in
       Deutschland gerne genommen, diskutiert die Runde in Sarajevo. In den
       bosnischen Krankenhäusern dagegen fehle es an Personal, in der Pandemie sei
       das besonders deutlich geworden.
       
       Schmidt brauche wirklich starke Nerven, ist das Resümee: Er muss einen
       Rechtsstaat entwickeln, der Jugend Hoffnung geben, Hassreden unterbinden
       und eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen. Hat er genug Rückenwind? Der
       neue US-Botschafter kommt bald. Und der hat lange in Bosnien gearbeitet.
       Aber aus Deutschland, auch nach den Wahlen, wie wird es da aussehen?
       
       1 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
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