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       # taz.de -- Tarifkampf der Krankenhausbeschäftigten: Dass nicht manche gleicher sind…
       
       > Die Labor Berlin GmbH von Charité und Vivantes drückt sich weiter um eine
       > Tarifbezahlung für alle. Alle Verhandlungen werden abgeblockt.
       
   IMG Bild: Schon länger im Arbeitskampf: Krankenhausbeschäftigte der Berliner Kliniken
       
       Berlin taz | Gleichen Lohn für gleiche Arbeit soll es bei der Labor Berlin
       GmbH, einer Tochter der kommunalen Krankenhäuser Charité und Vivantes, wohl
       weiterhin nicht geben. Während zwischen der Gewerkschaft Verdi und allen
       anderen der zahlreichen Vivantes-Töchter bereits seit Anfang des Jahres
       Tarifverhandlungen laufen, werden diese bei Labor Berlin bisher weiterhin
       konsequent abgeblockt.
       
       Hintergrund des Streits ist, dass Vivantes Arbeiten auf formal unabhängige
       Tochterunternehmen auslagert, wohl auch, um so eine Bezahlung nach dem
       Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) zu umgehen. Die Konsequenz:
       Beschäftigte, die Arbeitsverträge von vor der Auslagerung besitzen, werden
       nach TVöD bezahlt – und alle anderen nicht.
       
       Wie die [1][Berliner Krankenhausbewegung], ein Zusammenschluss der
       Beschäftigten von Charité und Vivantes, vorrechnet, können so bei Labor
       Berlin Lohnunterschiede von über 900 Euro monatlich entstehen. Eigentlich
       wollte Rot-Rot-Grün so was unterbinden.
       
       Doch die Krankenhausbewegung musste es in die Hand nehmen, die Umsetzung
       dieses Versprechens auch einzufordern: Am 12. Mai hat die Bewegung ein
       [2][100-Tage-Ultimatum] gestartet, neben dem „TVöD für alle“ auch einen
       [3][„Tarifvertrag Entlastung“] durchzusetzen. Letzterer soll für die
       chronisch überlasteten Pflegekräften Mindestbesetzungen definieren. Werden
       die Forderungen nicht erfüllt, droht ab dem 20. August Streik – nur wenige
       Wochen vor dem Superwahlsonntag am 26. September.
       
       ## Existenzbedrohende Tariflöhne
       
       Auf taz-Nachfrage, warum Labor Berlin noch nicht einmal Verhandlungen
       zulässt, verweist Kristina Tschenett, Vivantes-Pressesprecherin, auf eine
       Formalität: Da sich die Tochter nur zu 50 Prozent im Vivantes-Besitz
       befände, die derzeitigen Verhandlungen aber nur 100-prozentige
       Tochterunternehmen beträfen, seien Verhandlungen „nicht möglich“. Im
       Klartext scheint nicht klar zu sein, wer die Verhandlungen für die
       Arbeitgeberseite führen soll. Die restlichen 50 Prozent des Unternehmens
       gehören der ebenfalls kommunalen Charité.
       
       Labor Berlin sei „in seiner Existenz bedroht“, wenn tatsächlich alle
       Beschäftigten nach Tarif bezahlt werden müssten, so die Pressesprecherin
       weiter. Die Gesamtheit der 675 Arbeitsplätze würde „verloren gehen“, denn
       die drohenden Mehrkosten von 6 Millionen Euro seien „nicht finanziert“.
       Folglich müssten die Preise „deutlich angehoben“ werden – was den Verlust
       der Wettbewerbsfähigkeit zur Folge habe.
       
       Auch das Mutterunternehmen Vivantes, heißt es, könne nicht einspringen, da
       es sich selbst in finanziellen Schwierigkeiten befände. Schließlich bezahle
       Labor Berlin bereits über dem Branchenschnitt. Tim Graumann, der zuständige
       Verdi-Gewerkschaftssekretär, hält diese Argumentation für „völlig aus der
       Luft gegriffen“. Labor Berlin sei „die essenzielle Infrastruktur von
       Charité und Vivantes“, sagte er der taz, eine „Auslagerung auf andere
       Labore“ wäre „gar nicht ohne Weiteres möglich“.
       
       Tatsächlich scheint das „größte Krankenhauslabor Europas“ – wie sich das
       Unternehmen selbst bezeichnet – ein Branchenführer zu sein. Laut aktuellem
       Geschäftsbericht versorgt die GmbH 80 Prozent aller Berliner Klinikbetten
       und bearbeitet täglich mehr als 19.500 Proben. Der prominente Virologe
       Christian Drosten leitet die Abteilung Virologie, bundesweit wurden hier
       die ersten PCR-Tests ausgewertet.
       
       Im Jahr 2019 – also vor Corona – erwirtschaftete das Unternehmen einen
       Umsatz von rund 60 Millionen Euro und einen Überschuss von 1,5 Millionen
       Euro. Der Unternehmensbericht im Jahr 2020 nennt keine Umsatzzahlen,
       erwähnt aber, dass sich die Auftragslage in der Molekularbiologie im
       Pandemiejahr verneunfacht habe.
       
       ## Einschüchterungsversuche der Geschäftsführung
       
       Durch Tarifbezahlung würden deshalb höchstens „die Profitmargen kleiner
       werden“, so Gewerkschaftler Graumann. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass
       die von Vivantes vorgelegte Rechnung tatsächlich stimme, fordert er die
       Rückführung von Labor Berlin in den Mutterkonzern Vivantes. „Wenn auf dem
       freien Markt tatsächlich keine Bezahlung nach Tarif möglich ist, dann muss
       die Finanzierung eben öffentlich sichergestellt werden“, sagt Graumann.
       
       Auch bei den Beschäftigten gibt es Unmut. Am Telefon erzählt Julia Butter,
       medizin-technische Laborassistentin bei Labor Berlin, die Mehrheit der rund
       300 von der geringeren Bezahlung betroffenen Beschäftigten habe eine
       Petition unterzeichnet, in der die Geschäftsführung zur Aufnahme von
       Verhandlungen aufgefordert wird. Dazu kämen Kolleg:innen, die aus
       Solidarität unterschrieben hätten.
       
       Doch die Petition wird scheinbar nicht anerkannt. In einem der taz
       vorliegenden Schreiben an Verdi beklagt die Geschäftsführung unter anderem
       Doppelunterzeichnungen und spricht Deutschlands größter
       Dienstleistungsgewerkschaft kurzerhand ab, das nötige „Mindestmaß an
       Vertrauen“ an den Verhandlungstisch mitzubringen.
       
       Nach der Petition habe die Geschäftsführung „klare
       Einschüchterungsversuche“ betrieben, indem sie immer wieder mit
       Stellenabbau gedroht habe, berichtet Butter weiter. Auch die Pressestelle
       von Labor Berlin bestätigt der taz eine „interne Informationskampagne“, in
       der „die zwangsläufigen marktbedingten wirtschaftlichen Folgen sachlich
       dargelegt“ worden seien.
       
       ## Lange Arbeitszeiten, weniger Geld
       
       Butter sagt, mittlerweile hätten „mehrere Kolleg:innen ihre Unterschrift
       leider zurückgezogen, einige davon, weil sie sich von der Geschäftsführung
       unter Druck gesetzt fühlten“. Sie selbst sei in einer Videokonferenz
       eingeschüchtert worden. Nachdem sie gefragt habe, wann die Verhandlungen
       aufgenommen würden, habe ihr die Geschäftsführung vor allen Anwesenden
       vorgeworfen, sie persönlich warte darauf, dass 225 Menschen ihren Job
       verlieren.
       
       Der taz gegenüber betont die Geschäftsführung dagegen, man wolle nur
       „Transparenz für eine eigenständige Positionierung“ schaffen. Im Falle
       einer Unterzeichnung würden „keinerlei persönliche Konsequenzen“ drohen.
       Butter ist frustriert darüber, wie die Geschäftsführung mit den
       Beschäftigten umgeht. Dabei könne sie sich eigentlich „kein besseres Labor
       zum Arbeiten vorstellen“, sagt sie.
       
       Probleme machen würde aber neben der geringeren Bezahlung das
       Nachtschichtsystem: In diesem gelte der Tag, an dessen spätem Abend eine
       Nachtschicht beginnt, formal als frei. „Dadurch passiert es, dass ich
       teilweise bis zu 16 Tage am Stück im Labor bin“, erzählt Butter. Wegen der
       geringeren Bezahlung könne sie es sich aber nicht leisten, ihre Schichten
       zu reduzieren.
       
       Unterkriegen lassen will sich Butter aber nicht. „Ich werde weiter für
       meine Rechte eintreten“, sagt sie. Die Belegschaft sei dabei, sich zu
       organisieren. „Wir wissen: Unsere Arbeit ist gerade in Pandemiezeiten
       unverzichtbar“, sagt sie.
       
       5 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://berliner-krankenhausbewegung.de/
   DIR [2] /Streik-in-Berliner-Krankenhaeusern/!5766326
   DIR [3] /Protest-der-Pflegebranche-in-Berlin/!5765930
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Timm Kühn
       
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