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       # taz.de -- Polen und die EU: Rote Karte
       
       > Warschau will einstweilige Anordnungen des Europäischen Gerichtshofes in
       > Luxemburg nicht anerkennen, wenn sie polnische Gerichte betreffen.
       
   IMG Bild: Der Streit zwischen Polen und der EU steuert auf einen Eklat zu
       
       Warschau taz | Der Streit zwischen Polen und der EU steuert auf einen Eklat
       zu: „Die einstweiligen Anordnungen des Europäischen Gerichtshofes in
       Luxemburg haben keine Rechtswirkung in Polen, wenn sie polnische Gerichte
       betreffen“, verkündete Verfassungsrichter Stanislaw Piotrowicz am
       Mittwochnachmittag in Warschau.
       
       Piotrowicz, der in der kommunistischen Zeit Polens Staatsanwalt war, später
       als Politiker in der nationalpopulistischen Recht und Gerechtigkeit (PiS)
       Karriere machte, dabei federführend an der Deformation des polnischen
       Rechtsstaates durch die PiS mitarbeitete, sitzt nun der fünfköpfigen
       Richtergruppe des polnischen Verfassungsgerichts vor. „Die einstweiligen
       Anordnungen des EuGH sind nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar und
       haben daher keine Rechtswirkung in Polen“, so Piotrowicz abschließend.
       Polen wird also auch diese Anordnung nicht umsetzen.
       
       Keine Stunde zuvor durchlebten [1][die polnischen Verfassungsrichter] einen
       Schock: Da berieten sie stundenlang über die Frage, ob der Europäische
       Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg berechtigt ist, eine „einstweilige
       Anordnung“ zur umstrittenen Disziplinarkammer am Obersten
       (Berufungs-)Gericht zu erlassen.
       
       Doch kurz vor ihrem Urteil meldete sich Rosario Silva de Lapuerta, die
       stellvertretende Vorsitzende des EuGH, überraschend und lautstark zu Wort.
       Sie machte klar, dass Polen aufgrund der eingegangenen Verpflichtungen zur
       Rechtsstaatlichkeit in der EU dazu verpflichtet sei, die einstweilige
       Anordnung zur Disziplinarkammer umzusetzen. Die Kammer habe bis zum
       endgültigen Urteil aus Luxemburg ihre Arbeit vollständig einzustellen.
       
       ## Falsches T-Shirt
       
       Die [2][Disziplinarkammer], deren Richter ausschließlich von einem
       politisierten Neo-Landesjustizrat (NeoKRS) ernannt wurden, dient der
       nationalpopulistischen Regierungspartei PiS als Repressionsapparat
       gegenüber unabhängigen Richter:innen. Als Vergehen galt bislang schon, wenn
       Richter:innen in Schulen über die Verfassung informierten oder aber ein
       T-Shirt mit der Aufschrift „Konstytucja“ (Verfassung) trugen. Anderen
       Richter:innen wurde die richterliche Immunität aberkannt, um
       strafrechtlich gegen sie vorgehen zu können. In den meisten Fällen bedeutet
       dies das Ende einer Richterlaufbahn.
       
       Schon kurz nach der Gründung der Disziplinarkammer durch die PiS hatte die
       Vollversammlung aller Richter am Obersten Gericht Polens festgestellt, dass
       die neue Kammer keinen Gerichtsstatus habe und daher illegal sei, ebenso
       wie alle ihre Urteile und Entscheidungen.
       
       Doch die Kammer hatte sich nicht darum gekümmert und fleißig andere
       Richter:innen „diszipliniert“ oder ihnen die Immunität aberkannt. Ziel
       war es, die rund 10.000 Richter:innen in Polen so einzuschüchtern, dass
       sie von sich aus Urteile im Sinne der PiS fällten.
       
       Am Donnerstag stehen zwei weitere wichtige Urteile an: In Luxemburg wird
       sich der EuGH zum wiederholten Mal mit der umstrittenen Disziplinarkammer
       und dem nicht minder umstrittenen Neo-Landesjustizrat beschäftigen.
       
       Und in Warschau wird kurz nach dem Urteil in Luxemburg wahrscheinlich einen
       Gegenurteil im Verfassungsgericht fallen. Dann wird Brüssel entscheiden
       müssen, wie es in dieser verfahrenen Situation weitergehen soll.
       
       14 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Polnischer-Ex-Richter-ueber-EU-Recht/!5781309
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       ## AUTOREN
       
   DIR Gabriele Lesser
       
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